
Improvisation ist eine Kunst für sich, nicht nur in der Politik. Eigentlich war ein Duo angekündigt, zum Jahresauftakt-Konzert im Museum Otto Schäfer. Theaterleiter Christof Wahlefeld musste in der Judithstraße die Erwartung des Publikums dämpfen, seitens des Veranstalters: Barbara Kelber, Sängerin aus Langenzenn, mit unterfränkischen Wurzeln, war kurzfristig erkrankt. Merlin Weller, junger Singer-Songwriter aus Erlangen, übernahm beherzt ihren Part mit, fast anderthalb Stunden lang. Das Ticket gilt weiterhin, es soll einen Nachholtermin für Kelber geben.
Entsprechend herrschte der Charme des Unvollkommenen, in der gut besuchten Albrecht-Dürer-Abteilung des Museums. Ein Kontrast, der irgendwie passte: Der weltberühmte Renaissancestar hat sich nach einer Theorie womöglich selbst im spontanen Komponieren versucht. Einige Relikte werden als Noten gedeutet, ähnlich wie heutzutage manch "echter" Liedermacher seine Kreationen nachts auf Papierfetzen verewigt. So auch Endzwanziger Weller - "Lieblingstier Milka, Lieblingsfarbe Grün". Es muss nicht immer Hase sein.
Die Mischung aus Eigenkompositionen und Coversongs passte. Los ging es mit Bob Dylan, Johnny Cash und dem "Girl from the North Country": Bedrohte Liebe war schon 1969 ein Thema, in Zeiten kalten Winterwinds. Ebenso für Gitarrist Merlin, der bei den "Dying Hummingbirds" spielt: Große Gefühle sterben wunderschön, wie die Kolibris. Nach durchzechter Nacht umwehte den Musiker einst der Duft des Weißweins, was der Freundin missfiel. Ihr neuer Mann roch dann nach Erdnussbutter, berichtet Merlin augenzwinkernd und zaubert den Song "Peanut Butter" auf die Saiten.
Es geht immer wieder um die wahre Liebe, die Suche danach und die Angst vor deren Ende
Auch Reggae-Größe Bob Marley war in der Singer-Songwriter-Szene unterwegs: "Is this love?" fragt er sich zusammen mit den "Wailers". Blues, Folk, aber auch Grunge-Rock a la "Nirvana": Die Vorbilder der Wellersongs sind hörbar vielfältig. Es geht immer wieder um die wahre Liebe, die Suche danach und die Angst vor deren Ende, um widersprüchliche, gelegentlich rätselhafte Gefühle. Darum, der Richtigen die Handynummer zu geben - die der Bassist bei den Bandkonzerten im Publikum verteilt, als Running Gag.
Einen Song zum Ukrainekrieg hat Merlin ebenfalls geschrieben. Als die Panzer gerollt sind, 2022, da hatte er das Gefühl, "als ob man aus dem Fenster schaut und alles fängt zu brennen an". Die Abrechnung mit dem Abnutzungskrieg nennt sich "Stillborn", "Totgeboren". Die Menschen sind doch eigentlich gleich, findet der Balladensänger. Oder sollten es sein, mit ihren gleichen Bedürfnissen.
Am Ende ergreift Bertolt Brecht das Wort, in Zitatform, mit ihm Antikriegssänger Hannes Wader: "Weil der Mensch ein Mensch ist. Drum braucht er was zum Essen, bitte sehr". Weller sagt "Fressen", die Zeiten sind härter geworden. Bekanntlich kommt die Moral erst nach dem Fressen, bei Brecht.
Weller covert Nina Hagen: "Du hast den Farbfilm vergessen". Populär ist die Anklage an Micha und das graue DDR-Leben heute durch den Zapfenstreich für Angela Merkel (was Punkgöttin Nina etwas irritierte). Ein Song dreht sich um das Erwachen nach einer wilden Nacht voller Mescal. Ein anderes Mal geht es ironisch um "700 Pillen der Liebe", inspiriert von der Auswahl an profanen Aufputschmitteln, die der Sänger mal angeboten bekam.
Auch die Furcht vor dem "Ausgebranntsein" schwingt mit. Bill Withers ("Ain't No Sunshine") war so authentisch, dass er irgendwann nichts Neues mehr schreiben wollte - weil er schon alles gesagt zu haben glaubte.
Am Ende erklingt Merlins jüngste Komposition "Why angels fly". Das Lied soll in drei Tagen entstanden sein, ohne viel Technik: Das Ziel war, so ehrlich und "roh" zu sein, wie es ein Künstler nur sein kann. Auch wer als Neujahrskonzert anderes erwartete, das Publikum klatscht zuletzt warmherzig mit. Es gibt ihn noch, den Platz für das Unangepasste, Anfang 2025.