Man hört sie, und man sieht sie überall beim Spielen im Grünen. Wenn man durch das Ankerzentrum in den ehemaligen "Conn Barracks" geht, fallen einem sofort die vielen Familien mit Kindern auf. Das einstige Militärgelände ist randvoll belegt, aktuell mit 1394 Menschen aus Afghanistan, dem Nahen Osten oder Afrika. Es ist eine aufgewühlte Welt, die sich hier im Kleinen trifft. Vor allem die Kinder bekommen diese Unruhe zu spüren.
"Verlässlichkeit, Struktur, Begleitung, Wertschätzung": Für Erzieherin Barbara Finzel ist es genau das, was ihre heimatlosen Schützlinge brauchen nach harten Fluchterlebnissen. Sie seien oft reifer als ihre Altersgenossen hierzulande und es gewohnt, Verantwortung für jüngere Geschwister zu übernehmen. Im Durchschnitt werden 75 Schützlinge im Kinderhaus des Ankerzentrums betreut, ein Gemeinschaftswerk von Diakonie und Caritas. Bis 2019 war dieser pädagogische Zufluchtsort noch in den Schweinfurter Ledward Barracks untergebracht.
Es geht um die Altersgruppe zwischen drei und 13 Jahren, um "Schutzräume" auf dem weitläufigen Areal. "Die Sprache, das sind die Hände und die Füße", sagt Iva Morgenroth, die zusammen mit Kristin Zastrow das Kernteam ergänzt. Dazu kommt viel ehrenamtliche Unterstützung, auch durch Bewohnerinnen wie Muska aus Afghanistan. "Teacher, Teacher", so nennen die Kinder ihre Betreuerinnen. Sobald das Programm beginnt, läutet eine Klingel. Es geht um gemeinsame Spiele, ums Singen oder Bewegung an der frischen Luft. Vieles muss sich selbstredend erklären, "learning by doing" ist wortwörtlich gemeint.
Die Pädagoginnen haben Piktogramme auf den Boden gemalt, die zeigen sollen, in welchen Bereichen welche Beschäftigung möglich ist. Zu sehen ist etwa ein Legostein, eine Zone für Ballspiele oder eine Kegelecke. Außerdem stehen Gestaltungstische bereit. Ein Ziel ist Spannungsabbau, aber auch das spielerische Kennenlernen der fremden Umgebung. "Wir suchen weiter dringend Ehrenamtliche", sagt Finzel, für die Arbeit brauche es vor allem Geduld und ein offenes Auge für die Kinder. Auch Spenden sind willkommen.
Betriebsräte haben in der Belegschaft gesammelt
Aktuell geht es im Außenbereich aufwärts, dank Kletterturm und Sonnensegel – eine Spende der Oerlenbacher Baufirma Otto Heil im Gegenwert von 5000 Euro. Die Betriebsräte haben in der Belegschaft gesammelt, Geschäftsführer Peter Heil hat die Summe verdoppelt. Ein Freiwilligen-Team der Firma übernahm den Aufbau. Auslöser war das Elend des Ukrainekriegs, der Betriebsrat wollte etwas für Menschen auf der Flucht tun. Bei einem Besuch im Ankerzentrum lernte dessen Vertreter Marco Wunderlich Christian Birkmeyer von der Koordinierungsgruppe Asyl der Schweinfurter Polizei kennen. Rasch stellte sich heraus, dass vor allem Spielgeräte gebraucht werden.
"Trotz oder gerade wegen der hohen Belegung haben wir ein gutes Klima", betont Birkmeyer. Man spreche letztlich von der Größenordnung einer eigenen Gemeinde. Die Polizei ist mit einer kleinen Wache vor Ort, die wochentags von 8 bis 12 Uhr besetzt ist. Wichtig sei es, den Kindern den Aufenthalt zu erleichtern und sie sinnvoll zu beschäftigen, findet der Polizist.
Von Yener Yildirim, dem stellvertretenden Leiter der Einrichtung, gibt es eine Führung für die Firmenmitarbeiter. Die Liste der Herkunftsländer ist lang. Ende August waren 21 Nationen vertreten. Mehr als die Hälfte der Bewohnerinnen und Bewohner stammt demnach aus Afghanistan, gefolgt von Somalia (mit einem Anteil von fast 16 Prozent), Algerien (knapp 9 Prozent), Armenien (6 Prozent) oder der Elfenbeinküste (6,7 Prozent). Aber auch Syrien, Vietnam, Tadschikistan, Irak, Jemen, der Kongo und weitere, halbvergessene Konfliktzonen finden sich auf der Liste, ebenso 21 Menschen aus der Ukraine. Die ukrainischen Kriegsflüchtlinge verbleiben in der Regel nicht lange im Ankerzentrum, der Wechsel unter den Bewohnern ist auch sonst hoch.