Hübsch, blond, schlank und zierlich steht die 16-jährige Irina da und strahlt: „Operation gut verlaufen“ heißt die Botschaft. Das Mädchen aus der Ukraine ist jetzt nicht mehr so entstellt, wie bei ihrer Ankunft in Deutschland vor drei Wochen. Denn eine plastische Operation an der Uniklinik Würzburg, vermittelt durch den Wernecker Kinderarzt Dr. Hans Ibel, gab dem Mädchen wieder seine linke Gesäßhälfte zurück – und ein Stück Lebensfreude.
Einfach hatte es Irina Hrebeniuk in ihrem jungen Leben nicht, ebensowenig ihre Familie in Tscherkassy, 200 Kilometer südlich von Kiew. Bei der damals Sechsjährigen wurde 2004 ein gutartiger Tumor im linken Oberschenkel entdeckt. Punktion und Chemotherapie waren ergebnislos, so dass 2006 in Kiew operiert wurde.
„Wie bei einem Schinken wurde da ein großes Stück Fleisch einfach halbrund herausgeschnitten“, beschreibt es Brigitte Rösch-Ibel. Drei tiefe Schnitte quer am Oberschenkel und Gesäß zeigt ein altes Foto. Die Haut wurde einfach wieder über die Höhle gelegt und zusammengezogen. Riesige Narben hatte Irina am Bein. „Wie wenn man einen Sack zuzieht.“
Der Wernecker Kinderarzt engagiert sich seit vielen Jahren gemeinsam mit Erwin Koch aus Unfinden für dessen Organisation „Hilfe für Tschernobyl-Kinder“. Jedes Jahr besucht er die Region, auch die Provinzhauptstadt Tscherkassy in der sogenannten Zone 4, wo erhöhter radioaktiver Niederschlag nach der Explosion des Kernkraftwerks Tschernobyl niederging.
Bei seinem Besuch 2013 wurde ihm Irina vorgestellt mit der Hoffnung, dass nach der aggressiven Fibromatose vielleicht in Deutschland etwas gegen die extreme narbige Hautveränderung unternommen werden könnte. „In der Ukraine wäre so etwas überhaupt nicht möglich“, übersetzt die ukrainisch stämmige Marina Seufert aus Poppenhausen die Antwort von Irinas Mutter Olga.
Darüber hinaus wäre das für die heute 48-jährige Mutter nicht finanzierbar gewesen. Denn eine Krankenversicherung gibt es nicht in der Ukraine, Operationen müssen privat bezahlt werden. Und ihr Mann, Irinas Vater, war noch dazu ein Tschernobyl-Invalide, der nach der Atomkatastrophe zehn Tage bei den Aufräumungsarbeiten in nächster Nähe dabei war. Olga pflegte den Schwerkranken, bis er im vergangenen Dezember starb.
Durch persönliche Kontakte fand Hans Ibel den plastischen Chirurgen Dr. Raphael Jakubietz an der Uniklinik Würzburg, der sich zur OP bei Irina bereit erklärte. „Wir haben dann viele Bettelbriefe geschrieben“, erzählt Brigitte Rösch-Ibel. Für die Übernahme der Kosten von etwa 6000 Euro fanden sie schließlich einen privaten Sponsor, der die Operation zahlte, sowie die Franz-Beckenbauer-Stiftung, die Marianne-Strauß-Stiftung und die Sparkasse Schweinfurt, die die restlichen Kosten schultern. Das Ehepaar Ibel sorgte für Kost und Logis im eigenen Haus, übernahm sämtliche Fahrten und die Organisation für den Aufenthalt von Irina und ihrer Mutter. Die Anreise aus der Ukraine bewerkstelligten die zwei Frauen allein.
Etliche bürokratische Hürden musste das Ehepaar Ibel nehmen, vor allem bei der deutschen Botschaft in Kiew. „Da gingen sehr viele Briefe hin und her“, sagt die Werneckerin. Und das bei einer Brief-Beförderungsdauer von 20 Tagen in die Ukraine. Denn Fax und E-Mail allein waren nicht gültig.
Als Mutter und Tochter Hrebeniuk am 20. Februar in Deutschland landeten und zur ersten Untersuchung in die Uni-Klinik kamen, sah der Chirurg, dass bei der 16-Jährigen nicht nur eine Narbenverbesserung, sondern auch eine Aufpolsterung des fehlenden Gesäßstückes durch ein Implantat möglich wäre. Das Mädchen entschied sich dafür, auch wenn der unterste der drei tiefen Schnitte im Oberschenkel dadurch noch nicht verschönt werden konnte. „Sie sagte, das am Po sei ihr jetzt wichtiger“, lächelt Brigitte Rösch-Ibel.
Nur eine dünne Linie ist nach der erfolgreichen Operation von der ursprünglich hässlichen und tiefen obersten Narbe geblieben. Eventuell kann in einem weiteren Schritt im nächsten Jahr auch der Rest noch operiert werden, meint die Werneckerin. So dass das Mädchen problemlos auch zum Baden gehen kann, und neugierigen Blicken oder Fragen über ihre Entstellung ausweichen kann.
Mutter Olga treibt es die Tränen in die Augen, als sie ihre Dankbarkeit an die Familie Ibel, die Sponsoren, Mediziner und andere Helfer ausdrückt. Sie seien so glücklich, eine solche Chance zu bekommen, übersetzt Marina Seufert, die ebenfalls feuchte Augen bekommt.
An diesem Sonntag werden die beiden Ukrainerinnen von Würzburg aus mit dem Reisebus 35 Stunden lang zurück nach Tscherkassy fahren. „Daheim ist daheim“, meinen sie, auch wenn es ihnen schwer fällt, Deutschland zu verlassen. Sie haben Angst angesichts der Situation in ihrem Land. „Wir sehen von unserer Wohnung aus auf eine Hauptstraße, auf der oft Militärfahrzeuge und Panzer fahren“, erzählt Olga Hrebeniuk. „Die jungen Männer werden einfach zuhause abgeholt und mitgenommen. Sie sitzen da oben, auf den offenen Lkw“. Und beide wissen von 19- und 21-jährigen Toten, um die Bekannte in ihrer Stadt trauern.
Irina will nach ihrer Heimkehr ihre Mittelschule beenden und ihr Englisch verbessern. Damit sie danach ihren Traum von einem Aufenthalt in den USA wahr machen kann.