Mit einem Paukenschlag beginnt das Gastspiel des "North West Dance Projects" im ausverkauften Theater. Die Company aus Portland (Oregon) hatte sich bereits im November 2016 als Teil der Internationalen Tanzgala "Dance is the Key" vorgestellt. Diesmal ein vierteiliger Abend mit neuen, nicht immer substanzvollen Werken. Doch die vier Tänzerinnen und fünf Tänzer führen sie mit tänzerischem Können und sichtbarer Lust am Tanzen zum Erfolg.
"You are all I see" des Choreografen Wen Wei Wang eröffnet den Abend. Wenn sich der Titel auch nach einem Lovesong aus dem Great American Songbook anhört – weit gefehlt. Vielmehr empfangen uns Ohren betäubende Punk/Metal-Klänge von David Frost. Dazu passend entwickeln die Tänzer eine Art Weltuntergangs-Szenario, Bilder einer Welt, in der die Gewalt herrscht.
Zwei Männer bemächtigen sich einer Frau, die nach kurzen Fluchtversuchen zu einer Puppe erstarrt, sich dann mühsam zu befreien versucht. Im Hintergrund wird ein Mensch trotz heftiger Gegenwehr zum Spielball dreier gewalttätiger Individuen. Metallisches Knirschen, krachende Geräusche, passend zu den expressiven, ekstatischen und roboterhaften Bewegungen. "I create pictures, in which the audience can read their own stories", sagt einmal Wei Wang. (Ich entwerfe Bilder, in denen sich das Publikum wiedererkennen kann)?
Plädoyer gegen die kollektive Lähmung im Kampf gegen den Klimawandel
In "All's been said" hält Felix Landerer ein Plädoyer gegen die kollektive Lähmung im Kampf gegen den Klimawandel. In einer kahlen Landschaft treffen sich zwei weiß gekleidete Männer und eine Frau. Lähmende Stille, dann eine stampfende Geräuschkulisse. Einer der Tänzer streift sich eine Eisbär-Maske über, wendet sich per Mikrofon an das Publikum: "Wenn etwas vor Ihren Augen verschwindet, dann ist das kein Trick, sondern Realität. Entweder Sie haben nicht richtig hingeschaut oder Sie wollen es gar nicht wissen oder Sie wollen für dumm verkauft werden." Ein anderer Tänzer schleppt sich auf allen Vieren wie ein Tier in einem beweglichen Käfig vorwärts. Mühsam, nach vielen Ansätzen gelingt es ihm, sich zu befreien und sich aufzurichten. Unbeteiligt, regungslos wie Statuen schauen die anderen zu.
Die künstlerische Leiterin der Company Sarah Slipper hat die Choreografie "Memoryhouse" geschaffen, zur farbig klangmalerischen Musik des (Filmmusik) Komponisten Max Richter. Ein Pluspunkt des Abends. Zu harmonischen Klavierarpeggien finden Andrea Parson und Franco Nieto allmählich zu einem Pas de deux, zu dem Sarah Slipper ein neues dynamisches und spannendes Bewegungsvokabular entwickelt hat. Da gibt es nach Momenten kühler Abwehr überzeugende Szenen voller Leidenschaft und zärtlicher Hingabe. Doch solche großen Gefühle konterkarieren die beiden schnell: Mit ihrem skurrilen Spiel mit einer weißen Küchenschürze und einem verstörenden Lachen.
Ungetrübten Spaß vermittelt "Le File Rouge" von Ihsam Rustem, zu dem uns vor geschlossenem Vorhang ein Tänzer im gestreiften Clownshemd gestenreich einlädt. Mit Überraschungen, Humor und Slapstick entsteht ein getanztes Song-Revival. Zu "Ne me quitte pas" gibt es einen wunderschönen Schatten-Pas de deux, zwei Herren zelebrieren Doris Days "Perhaps, Perhaps, Perhaps" und drei Tänzer mit leuchtend roten Mündern bekennen mit Edith Piaf "Non, je regrette rien".
Bevor das alles zu besinnlich wird, geben heiße Mamboklänge das Signal zu mitreißenden Formations-Tänzen des Ensembles. Mit solch furiosem Wirbel geht es ins Finale. Hatte das Publikum schon vorher jede einzelne Choreografie mit großem Applaus gewürdigt, feiert nun die große Tanztheater-Gemeinde ihre Gäste aus Portland: mit stehenden Ovationen, Begeisterungspfiffen und Beifallsstürmen.