Wie geht es im Bürgerkriegsland Syrien weiter? Nahostexperte Michael Lüders glaubt, dass nun vieles von Russland abhängt.
Michael Lüders: Es ist schwer zu ermessen, ob diese Friedenslösung Bestand haben wird. Sehr wahrscheinlich ist das nicht. Man muss sich vor Augen führen, dass in Syrien über 1000 Grüppchen und Banden gegeneinander Krieg führen. Und darüber hinaus ist der Bürgerkrieg in Syrien auch ein Stellvertreterkrieg. Da wird es nicht die einfache und schnelle Lösung geben. Es ist aber immerhin gut, wenn sich Russland und die USA auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen.
Lüders: In der Tat muss man die Begriffe klären. Es ist ja im Westen vielfach von der syrischen Opposition die Rede. Aber wer ist damit genau gemeint? Eine sogenannte „gemäßigte Opposition“, die säkular orientiert wäre, gibt es in Syrien faktisch nicht.
Die Rebellen, Aufständische, Terroristen – wie auch immer man sie bezeichnet – gehören im Wesentlichen entweder dem IS oder der Al-Nusra-Front an. Oder einer anderen radikalislamistischen Gruppierung. Immerhin sind sich Russland und die USA darüber einig, den IS zu bekämpfen.
Lüders: Alle haben ihre eigene Agenda. Die Türkei hat insbesondere das Interesse, Assad zu stürzen – ein Ziel, das Ankara nicht erreichen wird. Zum anderen will man die Kurdenmilizen im Norden Syriens bekämpfen, um sie zu schwächen. Das ist ein großer Unruhefaktor, umso mehr, weil die Kurden als Verbündeter des Westens gelten. Ein Sturz des Assad-Regimes war auch lange ausgemachtes Ziel der westlichen Politik. Namentlich haben sich die USA nun davon verabschiedet, weil sie erkannt haben, dass es nicht funktionieren wird. Umso weniger seitdem Russland aktiv auf Seiten des Assad-Regimes eingreift. Insofern ist der vereinbarte Waffenstillstand eine Neuorientierung des Westens.
Lüders: Dafür gibt es kein Patentrezept. Mit Luftangriffen allein kann man den IS nicht besiegen. Die Strategie Russlands ist klar: Man will das Assad-Regime stärken, damit es weite Teile des Landes zurückerobert und dann gegen den IS vorgeht. Im Grunde hat Russland jetzt das Heft des Handelns in der Hand.
Lüders: Der größte Fehler war, dass sich die USA und in ihrem Gefolge die EU und Saudi-Arabien in der Idee verbissen hatten, das Assad-Regime um jeden Preis stürzen zu wollen. Um das zu erreichen, hat man verschiedene radikale Milizen unterstützt. Finanziell und militärisch. Damit hat man die Zerstörung Syriens vorangetrieben und so den Flüchtlingsstrom aus dem Land maßgeblich mit zu verantworten.
Lüders: Das einzige Land, wo die Dinge in eine gute Richtung weisen, ist der Iran. Nur dort gibt es stabile politische Strukturen. Und jetzt, nach der Aufhebung der Sanktionen, wird ein Wirtschaftsboom entfacht werden. Das wird große Auswirkungen auf die ganze Region haben: Der Iran kann zum Motor wirtschaftlicher Wiederbelebung werden – über seine Grenzen hinaus. Ungeachtet des repressiven Regimes in Teheran.
Lüders: Wer im Nahen und Mittleren Osten investiert, muss sich im Klaren sein, dass die Lage instabil ist. Und dass man gegebenenfalls Probleme bekommt, wenn Staaten kollabieren. Man muss vor diesem Hintergrund sein Engagement genau abwägen. Aber das geschieht ohnehin: Die meisten deutschen Firmen sind dort schon seit Jahrzehnten tätig. Einige haben aber auch Totalausfälle zu verzeichnen.
Lüders: Ich halte grundsätzlich nichts von einer Sanktionspolitik gegen Regierungen, die mit unseren Interessen nicht konform gehen. Sie treffen selten die Regime, aber in der Regel die Bevölkerung. Die Sanktionen gegen Moskau schaden vor allem deutschen Unternehmen. Wenn man sich ansieht, wie sich die Lage in der Ukraine entwickelt, wo offenkundig Oligarchen die Macht wieder fest in der Hand halten, stellt sich die Frage, welchen Zielen man im Westen gefolgt ist. Offenbar ist man relativ blind einer Agenda gefolgt, die vor allem in Washington gestaltet worden ist. Die Interessen Europas sind aber nicht zwingend identisch mit den Interessen der USA.
Lüders: Es kommt auf den Zusammenhang an. Natürlich ist die Interventionspolitik der USA als gescheitert anzusehen. Staaten wie Libyen, Afghanistan oder der Irak zeigen das. Diese Politik haben wir in Europa auszubaden, etwa in Form der Flüchtlingsbewegung. Mit Blick auf die Wirtschaft ist es sehr schwierig, die Welt in Gut und Böse aufzuteilen. Wer sind die Guten, wer die Bösen in Syrien? Alle Fraktionen haben dort Blut an den Händen. Russland hat aber als einzige externe Macht verstanden, wie Syrien funktioniert. Die Vorstellung, man könnte sogenannte gemäßigte Rebellen in Syrien bewaffnen und in den Kampf gegen Assad und gegen den IS schicken, war naiv. Das ist keine Parteinahme für diese oder jene Seite, sondern eine nüchterne Bestandsaufnahme. Natürlich gibt es genügend an russischer Politik zu kritisieren. Problematisch wird es nur, wenn man Moskau dämonisiert.
Michael Lüders
Der Nahostexperte Michael Lüders kommt am Dienstag, 1. März, auf Einladung der Buchhandlung Vogel zu einer Lesung nach Schweinfurt. Wie gefragt Lüders' Themen derzeit sind, zeigt, dass die Veranstaltung wegen der großen Nachfrage von der Buchhandlung in der Rathausdiele verlegt wurde. Die Lesung ist ausverkauft. Lüders ist Autor mehrerer Bücher, darunter „Wer den Wind sät – was westliche Politik im Orient anrichtet“. Immer wieder ist er im Nahen Osten unterwegs. Der 1959 geborene Bremer hat unter anderem in Damaskus arabische Literatur studiert, später in Berlin Islam- und Politikwissenschaft. Er ist Nachfolger von Peter Scholl-Latour als Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft. FOTO: C.H. Beck