Der Schock über die Erstürmung des Kapitols sitzt ihnen auch Tage später noch in den Knochen. "Entsetzt", "traurig", "wütend" – so kommentieren im Raum Schweinfurt lebende US-Bürger den Sturm von Trump-Anhängern am vergangenen Mittwoch auf das Kongress-Gebäude in Washington, als dort gerade der Wahlsieg von Joe Biden bestätigt werden sollte. Aufgestachelt hatte den Mob der noch amtierende Präsident Donald Trump. Bei einer Kundgebung im President's Park South am Weißen Haus hatte er seine Anhänger aufgerufen, vor das Kapitol zu ziehen und gegen seine Abwahl zu protestieren.
"Das ist nicht mein Land", waren die ersten Gedanken von Suzanne Häublein, als sie "die schrecklichen Bilder" im Fernsehen sah. Dem Ruf nach einer sofortigen Amtsenthebung von US-Präsident Donald Trump in Washington DC kann sie sich nur anschließen. Denn ein Präsident dürfe seine Anhänger nicht zu solchen Taten anstiften. Die 76-Jährige fordert nicht nur Trumps Entmachtung, sondern auch juristische Konsequenzen. Denn der Sturm auf das Kapitol forderte neben der Verletzung der demokratischen Integrität der USA auch fünf Todesopfer. "Das muss bestraft werden."
Schaden für das Ansehen von Amerika
Schon vor den Wahlen hatte die in Niederwerrn lebende Amerikanerin mit Sorge die aufgeheizte Stimmung und die zunehmende Radikalisierung in den Staaten verfolgt. "Ich hätte aber nicht geglaubt, dass so etwas geschieht", sagt Suzanne Häublein. Die radikalen Demonstranten hätten mit ihrem Gewaltausbruch am Kapitol auch dem Ansehen von Amerika geschadet und die Spaltung des Landes weiter befördert. Für den neu gewählten Präsidenten Joe Biden werde es schwer, das amerikanische Volk wieder zu vereinigen.
Damian Greenwell glaubt nicht, dass das Land so gespalten ist, wie allgemein vermutet wird. "Man hört und sieht halt die Lautesten, aber das ist nicht die Mehrheit." Der Schweinfurter Baseball-Trainer, der in Bad Neustadt lebt und arbeitet, hat sich die Fernsehbilder vom Sturm aufs Kapitol bewusst nicht live angesehen, sondern im Nachhinein versucht, die Ursachen zu recherchieren. Es sei aber nicht nachzuvollziehen, "was das passiert ist". Ein Amtsenthebungsverfahren sieht er zwiespältig. Es würde zwar ein Zeichen setzen, aber möglicherweise noch mehr Unruhe in die Amtsübergabe bringen. "Aber schlimmer kann es auch nicht mehr werden."
Chris Nicolich sieht das anders. Die 76-jährige Amerikanerin, die in Dittelbrunn lebt, hält ein Amtsenthebungsverfahren für richtig, auch wenn es dafür zeitlich eng wird. Denn der Senat kommt zu seiner nächsten regulären Sitzung erst am 19. Januar zusammen, das Verfahren könnte also frühestens am 20. Januar, dem Tag der Amtsübergabe, beginnen. "Besser spät als gar nicht", meint Chris Nicolich vor allem im Hinblick darauf, dass Trump dann bei der Präsidentenwahl 2024 nicht mehr antreten könnte. In jedem Fall sollte Trump haftbar gemacht werden.
Schlag gegen die amerikanische Demokratie
Auch Mary Ritzmann hält eine Amtsenthebung für "absolut richtig". Trump habe in den vier Jahren seiner Präsidentschaft so viele Lügen verbreitet und nichts sei passiert. "Jetzt sind Menschen gestorben, da müssen sie doch etwas machen." Die 47-jährige Reserve-Offizierin, die mit Ehemann und fünf Kindern in Schweinfurt lebt, ist noch immer erschüttert. Sie hatte an besagtem Mittwoch die Stichwahl um die Sitze Georgias, ihrem Heimatstaat, im US-Senat verfolgt. Nachdem sich die Demokraten beide Posten gesichert hatten, schaltete sie den Fernseher ab, um bei klassischer Musik erst einmal eine Pause von den nervenaufreibenden Nachrichten aus den Staaten einzulegen.
Als ihre Schwester aus South Carolina dann ein Foto von dem Mann schickte, der im Kongresszentrum auf dem Stuhl der Vorsitzenden des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, saß und seine Beine auf ihren Schreibtisch gelegt hatte, dachte sie an "Fake-News". Doch der Nachrichtensender CNN bestätigte das Unglaubliche: Die Trump-Anhänger waren mit Gewalt ins Kongresszentrum eingedrungen.
"Das war zwar ein starker Schlag gegen die amerikanische Demokratie", meint Mary Ritzmann, "aber es ist nicht gelungen, sie zu untergraben." Sie hofft, dass mit Joe Biden als neuem Präsidenten wieder Ruhe einkehrt. Denn Trump habe nur die emotionale Wahrheit gespiegelt, nicht aber die realen Tatsachen. "Ich habe Hoffnung, dass es wieder ruhiger wird", sagt Mary Ritzmann. Vielleicht gehe mit dieser Eskalation auch das Zwei-Parteien-System in den USA dem Ende entgegen, denn nicht alle Republikaner würden hinter Trump stehen, die Partei ist gespalten. Eine dritte Partei, "das wäre nicht schlecht, das wäre crazy".
Mit Entsetzen haben auch die in der Region lebenden Veteranen die Vorfällen in Washington verfolgt. "Trump muss dafür zur Verantwortung gezogen werden", fordert Charles J. Glover, der Sprecher des US-Rentner-Stammtisches, der sich regelmäßig in der DJK-Gaststätte in Niederwerrn trifft. Drastischer drückt es ein 79-jähriger Veteran aus: "Trump gehört eingesperrt, er hat fünf tote Menschen zu verantworten."
Mehrheitlich wird in der dt. Presse seit Jahren so getan als würden die Leute in den USA solche "politischen Anfälle" in großer Mehrzahl verurteilen. Sicher entspricht das vielfach einem Wunschdenken in Europa und Deutschland.
Dagegen wird selten darauf eingegangen, dass auch jetzt under diesen Umständen und einer eigentlich "unmöglichen Person im Form des Präsidenten" knapp die Hälfte der Wähler die Republikaner gewählt hat!
Laut aktuellem Spiegel (Seite 10) zweifeln 72% der Republikaner die Korrektheit der Wahlergebnisse an; lediglich 3% der Demokraten zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses.
95% der Demokraten halten das Wahlergebnis für korrekt aber lediglich 24% der Republikaner.
Das zeigt doch die Zerisseneheit des Landes und nicht die Stimmen einiger weniger US-Bürger in SW.