Musizieren mit alten Menschen, ihnen musikalische Bildung vermitteln – das umreißt der Begriff Musikgeragogik. „Musikgeragogik gehört heute zum Portfolio jeder Musikschule“, sagt der Geschäftsleiter des Zweckverbands Sing- und Musikschule Würzburg, Thomas Kühner. Auch die Musikschule Schweinfurt nimmt sich dieses Themas an. Die Lehrkräfte Doris Kreppel und Jörg Wiedersich haben jetzt ein Programm gestartet, das sie einmal wöchentlich in drei Altenheimen in Schweinfurt und Geldersheim umsetzen.
An diesem Dienstag wartet auf die Musiklehrer in St. Elisabeth in Schweinfurt eine große Runde. 25 Senioren sitzen im Aufenthaltsraum im ersten Stock. Ganz so viele Besucher sind es sonst nicht. Die ideale Gruppenstärke liegt bei zwölf bis 15 Personen.
„Halli, hallo, schön, dass sie da sind“, singt Doris Kreppel zur Begrüßung und verteilt mit Jörg Wiedersich Namensschilder, denn in den folgenden 60 Minuten wird ein jeder, egal ob er aktiv ist oder „nur“ zuschaut, mit seinem Namen angesprochen. Als die Senioren zur „Begrüßung mit Händen und Füßen“ klatschen, sind alle bei dem Freizeitprogramm angekommen.
Was alles in den Rucksack kommt
An diesem Sommertag spricht Wiedersich über die Sonne. Er wirft den Senioren den gelben Sonnenball zu und kündigt ein Sonnenlied an. Nachdem geklärt ist, ob im Urtext Sonnenniedergang oder Sonnenuntergang steht, wird gesungen, ehe man sich „Im Frühtau zu Berge...“ auf in den Tag macht.
Zur Vorbereitung auf das Volkslied hatte Doris Kreppel Strophe für Strophe den Text aufgesagt und ihn mit der Gruppe wiederholt. Nach dem Singen holt sie einen Rucksack hervor, den es zu packen gilt. Sie fragt jeden, was rein soll. Rein kommt: Mineralwasser und gekühltes Bier, Brot und Wurst, Birne und gekochte Kartoffeln, und in den Rucksack des einen Seniors„gar nix“. Kreppel lässt sich von dieser Art der Zurückhaltung nicht entmutigen und sorgt dafür, dass noch ein Sonnenhut, Sonnencreme und ein Taschenmesser in den Rucksack wandern.
Zu „Es klappert die Mühle...“ spielt Musiklehrer Wiedersich auf der Ukulele, einem kleinen Zupfinstrument mit nur vier Saiten, und verteilt Holzstäbe, mit denen die Senioren kräftig klappern können, ehe Kollegin Kreppel ein Sommergedicht vorträgt, in dem es nach dieser Jahreszeit riecht, schmeckt und klingt. Im zweiten Durchgang sollen die Senioren das letzte Wort der Reime ergänzen, was klappt.
Musikgeragogik soll Spaß machen und Erinnerungen wecken, Brücken zu den Mitbewohnern schlagen. Zu „Trink, trink, Brüderlein...“ sind Getränke verteilt, denn es ist heiß, – und frisch gestärkt wird mitgesungen, als Klara Zeißner von der Sozialbetreuung des Hauses „In Schweinfurt steht ein Seniorenheim...“ anstimmt. Auch kommen die Senioren in Bewegung mit „Vor und zurück...“
Diesmal gibt es auch Musik aus der Konserve, aus einer betagten. Mit „Schenkt man sich Rosen...“, gesungen von Rudolf Schock und Erika Köth, blüht so manche Erinnerung auf, ehe die Ukulele nochmals und diesmal zu „Im Frühtau...“ erklingt. Nach dem „Halli, hallo“ wartet das Mittagessen auf die Bewohner.
Als Hits bei den Schweinfurter Senioren haben Kreppel und Wiedersich neben „Trink, Trink...“ und „Es klappert...“ sowie die „Tulpen aus Amsterdam“ ausgemacht.
Schnuppern und sich erinnern
Tulpen haben diesmal zwar keine Rolle gespielt, doch Rosen, an denen die Senioren schnuppern konnten. Sie vermittelten Erinnerungen an die ehemals eigenen Gärten. Singen und Riechen als Einstieg in Lebensgeschichte – das kann vor allem für Demenzkranke hilfreich sein. Auch in der Demenzstation des Schweinfurter Wohnstiftes Augustinum musizieren Kreppel und Wiedersich mit alten Menschen – hier ist die Gruppe allerdings deutlich kleiner.
Im Gespräch berichten die beiden Lehrkräfte und Heike Kromer von der Hausleitung von „sehr, sehr großen Unterschieden“ bei den einzelnen Aktivitäten, bei den Persönlichkeiten, bei den stets anders zusammengesetzten Gruppen und bei der jeweiligen „Tagesform“.
Qualifiziert haben sich die Lehrer durch den Besuch eines Musikgeragogik-Seminar, das unter Anleitung mehrerer Hochschulen zusammengestellt und an der Bayerischen Musikakademie in Hammelburg an mehreren Wochenenden gehalten wurde.
Das Thema werde Musikstudenten aber auch schon im Studium vermittelt, sagt Thomas Kühner von der Musikschule Würzburg. Er berichtet von musikgeragogischen Einsätzen in Altenheimen in Kürnach und Estenfeld. Die Kosten übernehme jeweils der Träger des Altenheims. Mitarbeit: Gerlinde Schlereth