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NIEDERWERRN
Museumsbesuch: Wo Persil-Dame auf Marlboro-Man trifft
Kolonialwarenmuseum Im ehemaligen „Einkaufsmarkt Maul“ in Niederwerrn wird deutsche Alltags- und Kulturgeschichte der letzten hundert Jahre lebendig.
Er liebt Lebensmittel: Winfried Mauls Kolonialwarenmuseum ist längst über die Niederwerrner Ortsgrenzen hinaus bekannt.
Foto: Uwe Eichler | Er liebt Lebensmittel: Winfried Mauls Kolonialwarenmuseum ist längst über die Niederwerrner Ortsgrenzen hinaus bekannt.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 27.04.2023 00:04 Uhr

Ich habe in der Branche alles erlebt“, erzählt Winfried Maul in seinem Kolonialwarenmuseum, „von Pferdefuhrwerken, wie bei den Buddenbrooks, bis hin zum Computerzeitalter“. 79 Jahre alt ist der Einzelhändler jetzt, der seine Ausbildung kurz nach dem Zweiten Weltkrieg begonnen hat. Ein gebürtiger Rhöner, der seit einem halben Jahrhundert für den „Einkaufsmarkt Maul“ in Niederwerrn lebt, auch als Seniorchef. Kaum jemand kennt ihn in der Stadtrandgemeinde von Schweinfurt ohne seinen weißen Edeka-Kittel.

Im Museum in der Flemingstraße 4, gleich neben dem Getränkeshop, spiegeln Produkte und Werbetafeln fast die gesamte deutsche Alltags- und Kulturgeschichte der letzten hundert Jahre wider. In den frühen Jahren wurden durch die Dorfhändler auch noch wichtige Telefonmeldungen weitergegeben, erinnert sich Maul: „Sonst hatte ja kaum jemand Telefon.“

Für Kinder müssen sie ein Paradies gewesen sein, die alten Tante-Emma-Läden, wie auch Winfried Mauls Großmutter einen betrieben hat, bis ins hohe Alter hinein, in Welkers bei Fulda. Eine buntglänzende, duftende Wunderwarenwelt, die sich kleinen wie großen Besuchern mit dem Bimmeln der Türklingel aufgetan hat: „Wenn Sie reingekommen sind, dann hat es nach allem gerochen.“ Nach Gewürzen in den sorgfältig mit Emailleschildchen etikettierten Schubladen, nach Seife, Waschpulver, Tabak, Reis, Essig, Kaffee, Tee und natürlich Schokolade, erinnert sich Maul.

Im Mittelpunkt des kleinen Museums stehen der große Eichenschrank und die Ladentheke: Hundert Jahre alt ist das unverwüstliche Mobiliar aus Schweinfurt, mit dem die aus allen Richtungen zusammengetragene, mit Spenden unterstützte Sammlung Maul einmal begonnen hat. 1993 wurde das Kolonialwarenmuseum bei den Unterfränkischen Kulturtagen eröffnet.

Klasse Kasse: Ein frühes historisches Modell aus dem 19. Jahrhundert.
| Klasse Kasse: Ein frühes historisches Modell aus dem 19. Jahrhundert.

Auf der Theke steht eine verschnörkelte Messing-Registrierkasse aus dem Jahr 1896, ein amerikanisches Fabrikat, das für den deutschen Markt mit Mark- und Pfennig-Anzeige ausgestattet wurde: Die Erfindung des Gastwirts James Ritty aus Ohio, der sich über diebische Angestellte geärgert hatte, kurbelte 1879 das Geschäft buchstäblich an. Inspiriert wurde der Unternehmer von einer Umdrehungen zählenden Schiffsschraube, die er auf Reisen kennengelernt hatte. Seitdem klingeln weltweit die „Casheries“.

Ein ganzes Regal widmet sich den ursprünglich bleischweren Kästen, neben ihren sensiblen Schwestern, den Waagen, schlichtem DDR-Gerät sowie modernen Elektro- und Scanner-Systemen. Eher bescheiden war da ein großer Senftopf konstruiert, mit dem man Senf nach gewünschtem Pfennigbetrag zapfen konnte.

Apropos: „Wir haben nie so günstig gelebt wie heute“, sagt Maul, der mit seinem Museum nicht allein Nostalgie pflegen, sondern auch ein Gespür für den heutigen Wohlstand wecken will. „Nur die Eierpreise sind seit dem Kaiserreich gleich geblieben.

“ Kleine Paketchen zeigen, wie kostbar Südamerikas Kakao und Afrikas Kaffee einst waren, letzterer oft noch mit Ersatz gestreckt und gefärbt, Zichorienpulver etwa, ein Produkt der Wegwarte.

Die große Weltgeschichte, an den Ladentheken forderte sie immer als erstes ihren Preis. Keine Kolonialwaren etwa ohne Plantagen in Übersee. „Edeka“ meint eigentlich die 1907 eingetragene „Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler“ – „EdK“. Im Ersten Weltkrieg wurde vom Backpulverkönig Dr. Oetker dann vollmundig eigene Speise-Stärke beschworen: „Deutsche Hausfrauen! Kauft Gustin, nicht das englische Mondamin.“ Maul zeigt ein altes Schmunzel-Werbegedicht: Der Sohnemann darf sich auf Maggi-Suppe bei der Truppe freuen. Die berühmte rotgelbe Würze-Flasche gibt es übrigens bereits seit 1887 und sie hat sich seither kaum verändert.

Altes Not- und Inflationsgeld ruft die Krisen der Weimarer Republik in Erinnerung, als die Deutschen über Nacht zu Millionären geworden sind. Lebensmittelmarken aus dem Zweiten Weltkrieg finden sich ebenso in der Sammlung wie die in den USA gedruckten Ur-D-Mark-Scheine von 1948. Eine Kiste der berüchtigten Trockenkartoffeln steht noch so im Laden, wie sie kurz vor Kriegsende in Breslau zugenagelt worden war – geschmacklich konnte hier nicht viel verderben.

Tausende Exponate aus der Vor-Supermarkt-Ära stapeln sich noch im Keller: Ata-Pappgussflaschen, teilweise ebenfalls noch originalverpackt in der Kiste, alte Schachteln mit der weißen Persil-Dame, eine vor 80 Jahren gezimmerte, noch immer rollende Sackkarre, die Werbeschilder untergegangener Schweinfurter Brauereien, einschließlich des jetzt geschlossenen Brauhauses. Sogar Winfried Maul selbst ist verewigt, auf einer Reklametafel für „Sunlicht Seife“: Als Hauptgewinn eines Händler-Preisausschreibens wurde hier sein Name und Konterfei abgebildet, im Retro-Stil der „guten alten Zeit“.

Es fehlt ansonsten an Platz: Ein erweitertes Museum in Oberwerrn ist angedacht, im Schulgebäude. In der Abstellkammer finden sich noch Relikte der jüngeren Konsumgeschichte: Sombreros von „mexikanischen Wochen“, ein Stapel Cowboyhüte des Marlboro Man, eine Palmenattrappe oder ein puppengroßer, mittlerweile politisch unkorrekter „Sarotti-Mohr“. Längst ist das Kolonialwarenmuseum Maul über die Ortsgrenzen hinaus bekannt. Das Fernsehen war schon da, Führungen sind gegen Voranmeldung möglich. Winfried Maul hat in seiner Schatzkammer so manches Geschichtsbonbon parat.

Kolonialwarenmuseum

In Niederwerrn, Flemingstraße 4, befindet sich das Kolonialwarenmuseum von Winfried Maul, im Gebäude des Getränke-Shops Maul, unweit des Einkaufsmarkts in der Hainleinstraße 56.

Ansprechpartner ist Winfried Maul: Tel. (0 97 21) 7 40 17. Führungen sind nach Vereinbarung möglich, der Eintritt ist frei, Spenden sind ausdrücklich erwünscht, insbesondere Sachspenden in Form von historischen Lebensmitteln und deren Verpackungen werden dankbar angenommen. Mehr Informationen im Internet unter: www.kolonialwarenmuseum.de

 
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