Vielleicht ist es völlig normal, dass wir Unbekanntes und Neues immer mit dem vergleichen, was wir schon kennen, dass wir Bilder benutzen, die uns vertraut sind. Was aber, wenn wir nichts Vergleichbares finden, auch heute noch, wo es eigentlich keine terra incognita mehr geben dürfte?
Die Bilder und Klänge von Sedaa sind sehr neu für westlich geschulte Ohren, und es scheint schier unglaublich, was männliche Stimmen, männliche Klangorgane alles vermögen. Kehlgesang, Unter- und Obertongesang, da berührt Musik nicht nur die intellektuelle Wahrnehmung oder die Füße, sondern den ganzen Körper. Da schwingen Töne, Gesänge und Klänge körperlich wahrnehmbar, vielleicht in der Bauchgegend, vielleicht im Herzen und ganz sicher die Wirbelsäule hinauf und hinunter. Wenn schon eine normale Geige die Nervenstränge entlangtanzen kann, dann berührt die Pferdekopfgeige den Körper auf eine viel erdigere Weise.
Gute Musik vermag immer, Bilder und Landschaften heraufzubeschwören, aber Sedaa schafft es, mit seinen mehrschichtigen Klangwerken ganz neue Gegenden, Naturerscheinungen, Dimensionen und Gefühle hervorzurufen. Da gibt es natürlich Bilder der Steppe, da brüllen Tiere ebenso intensiv wie der Wind von den Bergen die Haut streichelt, da kommen aber auch Klänge aus schier unglaublich weiten Entfernungen, sowohl zeitlich als auch räumlich. Und dann tauchen natürlich auch die mongolischen Pferde auf, aber hier geht es zum Beispiel um die Wahrnehmung des Windes, der im vollen Lauf mit dem Schmuck der prächtig ausgestatteten stolzen Tier spielt – welch ein Unterschied im Sehen von Bildern und Spüren von Ereignissen!
Alle Empfindungen, Freude, Trauer, Abenteuerlust, Romantik, Schmerz, Sehnsucht und Verlust klingen wuchtiger, erdiger, geräumiger und tiefer als je zuvor gehört. In der ganzen männlichen Art des Musikmachens klingt Zartheit und vollkommene Hingabe mit. Der Hunger nach "live" ist groß, sagt Omid Bahadori, und dass es nun drei Jahre her ist, dass Sedaa in Schweinfurt gespielt hat. Nun verzauberten sie im Rahmen des Schweinfurter Kultursommers einen Donnerstagabend in eine Liebesnacht.
200 Konzerte habe die Gruppe vor Corona im Jahr gegeben, und eins der ersten Lieder des Abends hieß coming home, bezogen auf die Zeiten, als man sich noch sehr gefreut hat, wieder nach Hause zu kommen. In Bezug auf die Liedertexte und Instrumente ist Bahadori sehr sparsam in seinen Erklärungen, aber vielleicht gehört das zum Zauber, vielleicht macht die Unvoreingenommenheit die Sensoren ganz weit auf? Was, wenn sowieso jedes Ereignis, jede Begegnung und Berührung im konkreten Sinn immer wieder neu ist? Der ganze Körper ein Klangkörper und Weltmusik wie aus einem Mund. Dann wird Liebe eine Haltung zur Welt, die rund ist.
Naraa Naranbaatar spielte die Pferdebassgeige, Nasaa Nasanjargal die Pferdekopfgeige, Ganzorig Davaakhuu das mit 120 Saiten bespannte Hackbrett und Bahadori unter anderem Gitarre und Trommel. Eine Trommel aus echter Tierhaut, die bleich wie der Mond von der dunklen Bühne leuchtete.