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Schweinfurt
Mit Lagern die Reibung überlisten
Heinrich Hofmann und Klaus Merkle gehen in ihrem Buch der Geschichten des Kugellagers nach.
Foto: Karl-Heinz Körblein | Heinrich Hofmann und Klaus Merkle gehen in ihrem Buch der Geschichten des Kugellagers nach.
Karl-Heinz Körblein
Karl-Heinz Körblein
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:14 Uhr

Immer wenn Menschen schwere Lasten bewegen, müssen sie die durch die Erdanziehung bewirkte Reibung überwinden. Das galt beispielsweise auch, als vor rund 4000 Jahren in Ägypten die Steine für die riesigen Pyramiden, die wir heute noch mit großem Staunen bewundern, transportiert werden mussten. Man vermutet heute, dass die schwere Last auf Rollen, wahrscheinlich Baumstämmen, geschoben und damit die Reibung überlistet wurde.

Als 1767 ein 1500 Tonnen schwerer Stein für den Sockel eines Denkmals, das Peter dem Großen gewidmet sein sollte, in sechs Monaten von Finnland nach St. Petersburg auf die Reise und dabei auch über 28 Kilometer Landweg geschickt wurde, halfen Kugeln aus Bronze, die Reibungskräfte zu überwinden. Auf ähnlicher Basis entstanden die Lager für abertausende Windmühlen in Holland, im 18. Jahrhundert wurden bereits Wälzlager verbaut, die den heutigen durchaus ähneln.

Der große Durchbruch des Kugellagers gelang jedoch erst 1893 mit der Erfindung der Kugelmühle durch den Schweinfurter Friedrich Fischer, dem es gelang, exakt runde Kugeln von größter Härte in großer Zahl herzustellen. Damit war die Grundlage geschaffen, um Schweinfurt an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert zum Zentrum der Wälzlagerindustrie zu machen.

Zurück zu de Wurzeln

Die Geschichte ist hier hinlänglich bekannt. Mit ihrem Buch "Geschichte und Geschichten rund um Kugellager Co." zeichnen Heinrich Hofmann und Klaus Merkle diese Erfolgsgeschichte systematisch nach. Ihnen ist damit ein Buch gelungen, das für den Experten zurück zu den Wurzeln führt, und es gleichzeitig dem Laien deutlich macht, wie Ingenieure und Techniker sich immer vom Fortschritt getriebenen Herausforderungen gestellt und diese in der Produktion marktgerecht umgesetzt haben.

Hofmann und Merkle, die beiden gut über 80-Jährigen, sind dem Wälzlager Zeit ihres Berufslebens durch FAG Kugelfischer verbunden gewesen. Dort sind sie ausgebildet worden, dort haben sie nach ihrem Ingenieursstudium gearbeitet. Hofmann hat es auf über 170 Patente gebracht, wurde in einer Fernsehsendung (Galileo) zum "Kugellagerpapst" geadelt. Von 1990 bis 2005 leitete er bei Kugelfischer Entwicklung und Anwendung vom Kfz-Lagern. Der Ruhestand wurde 2009 und 2015 unterbrochen, als man ihm zum Berater berief. Mit dem zweiten Ruhestand 2021 ist für Hofmann die Kugellagergeschichte "noch lange nicht am Ende".

Wie Hofmann war Merkle auch international unterwegs, unter anderem als Technikvorstand und Werkleiter in Italien. Von 1989 führte er das Werk in Elfershausen, von 1995 bis 2000 den Maschinenbau in Schweinfurt.

Wahrer Fahrradboom

Die Autoren würdigen mit ihrem Buch die großen Unternehmerpersönlichkeiten mit deren Namen die Entwicklung und Fertigung von Lagern immer verbunden sein wird. In Schweinfurt waren dies Georg Schäfer, Wilhelm Höpflinger, Ernst Sachs, in den USA der Bremer Henry Timken, in Schweden Sven Wingqvist (SKF) und nach dem Zweiten Weltkrieg gesellte sich in Herzogenaurach Georg Schaeffler zu diesem Erfinderkreis.

Mit der Entwicklung einher ging um die Jahrhundertwende und in den Jahren danach ein wahrer Fahrradboom. Lager und Rad haben sich gegenseitig befruchtet. Es folgte die Motorisierung, zunächst für das Zweirad, dann für das Automobil, mit immer komplexeren Anwendungen.

Zu den "Geschichten" rund um das Kugellager gehören die Erinnerungen, dass sich Radfahrer mit den Reitern der durch Europa reisenden Buffalo-Bill-Show siegreich Wettbewerbe lieferten, der Bericht über eine vielbeachtete Mammuttour auf Fahrrädern von Berlin oder nach Wien sowie die Konstruktion von Lagern für ein geheimnisumwittertes Schiff des amerikanischem Geheimdienstes, mit dem ein sowjetisches U-Boot, das mit Atomwaffen bestückt war, aus 5000 Metern Tiefe geborgen werden sollte.

Großlager für Windkraft

Für das Wälzlager sehen die beiden Autoren trotz der erreichten hohen Standards eine "unbegrenzte Zukunft". Mit den Werken von Schaeffler und SKF gehört Schweinfurt nach wie vor zu den Fixpunkten der Branche weltweit. Heute sind es die Großlager vor allem für die Windkraft, die den Standort auszeichnen. Schaeffler und SKF haben nicht ohne Grund ihre weltweit führenden Prüfstände hier gebaut. Dass das Buch auf dem Titel das Großlagerdenkmal vor dem Theater zeigt, hat einen guten Grund.

Das gut 100-seitige Buch ist mit Unterstützung des Arbeitskreises Industriekultur (AKI) und der beiden Firmen SKF und Schaeffler erschienen. Es ist im örtlichen Buchhandel erhältlich, zum Preis von 15 Euro.

Die Kugelmühle von Friedrich Fischer wurde vor 125 Jahren patentiert.
Foto: Archiv/FAG | Die Kugelmühle von Friedrich Fischer wurde vor 125 Jahren patentiert.
Schweinfurt steht heute vor allem für Großlager. Im Inneren des Sven Wingquist Test Centers von SKF treibt der leistungsfähigste Großlager-Prüfstand der Welt unter anderem riesige Lager für Windenergieanlagen an ihre absoluten Belastungsgrenzen.
Foto: Hans Jürgen Landes | Schweinfurt steht heute vor allem für Großlager. Im Inneren des Sven Wingquist Test Centers von SKF treibt der leistungsfähigste Großlager-Prüfstand der Welt unter anderem riesige Lager für Windenergieanlagen an ihre ...
FAG Kugelfischer, heute Schaeffler, hat wesentlich an der Geschichte der Kugellagerstadt Schweinfurt mitgeschrieben. Im Bild: der Prüfstand für Großlager.
Foto: Schaeffler | FAG Kugelfischer, heute Schaeffler, hat wesentlich an der Geschichte der Kugellagerstadt Schweinfurt mitgeschrieben. Im Bild: der Prüfstand für Großlager.
 
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