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Schweinfurt
Mit dem Projektor an den Bernsteinstrand
Abgeschlossene Zeit an der Ostsee: Isabelle Mariett Richter (links) und Janina Sachsenmaier brachten die Geschichte der 'Letzten O.' auf die Schulbühne.
Foto: Uwe Eichler | Abgeschlossene Zeit an der Ostsee: Isabelle Mariett Richter (links) und Janina Sachsenmaier brachten die Geschichte der "Letzten O." auf die Schulbühne.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 31.07.2024 02:44 Uhr

Schon die Geschichte der "Käthe O." klingt nach Bühnenstoff: Der Erzfrachter ist, laut Internet, unter wechselnden Flaggen und Namen gefahren, mal als Lazarettschiff, mal als Kriegsbeute. 1942 versenkte ihn eine Mine bei Sassnitz. Käthe O., die Namensgeberin des Schiffs, war die Urgroßmutter von Janina Sachsenmaier.

Die Würzburger Theaterpädagogin und Schauspielerin hat die Familiengeschichte zum eindringlichen "Theaterstück im Klassenzimmer" verarbeitet: "Die letzte O." Per Doppelvorstellung wird Neunt- bis Elftklässlern eine Fluchtgeschichte erzählt, im Olympia-Morata-Gymnasium, eine Stunde lang.

Käthes Ehemann Horst, letzter Besitzer des Frachters, war Schiffsmakler im westpreußischen Danzig. Es geht vor allem um das Schicksal der Tochter, Irmelin Rose, Janinas Großmutter. Die Zeitzeugin spricht aus dem Off, oder wird als junge Frau auf der Bühne angerufen, von der Enkelin. Der Mädchenname, der aus dem Polnischen eingedeutscht wurde, soll ungenannt bleiben.

Flucht und Vertreibung war ein Schicksal von Millionen. "Wir waren nicht so politisch damals, wie heute alle sind", sagt Oma Irmelin. Es sei viel befohlen worden, und gehorcht. Graubräunliche Bilder von Naziaufmärschen leuchten auf: Es ist die Welt der "Blechtrommel", mit der Günter Grass dem alten Danzig ein Denkmal gesetzt hat.

Für das Bühnenstück wurde ein Overhead-Projektor reaktiviert. Dessen Schattenspiel hilft dabei, in die Welt vor 80 Jahren einzutauchen: Familienfotos, Sand und Wassertröpfchen entrücken an einen Bernstein-Strand, in unbeschwerte Tage am Meer. Am 31. August 1939 feiert Vater Horst Geburtstag, es wird der letzte glückliche Familientag. In der Nacht bombardiert Nazideutschland die polnische Westerplatte, der Weltkrieg beginnt vor den Augen der jungen Frau: "Es war, als wäre ein Karussell stehen geblieben." Aggressives Rot dominiert, Bilder werden zerschnitten. Im nahen KZ Stutthof beginnt das Massensterben, von Nichtdeutschen und Juden. Das Wort "Vergasen" fällt. Niemand kann oder will sich etwas darunter vorstellen. Selbst der Vater, der SPD nahe stehend, denkt an Übertreibung.

Nachricht aus der Vergangenheit: Mit Kofferradio und Overhead-Projektor ging es in die Schattenwelt der letzten Kriegstage.
Foto: Uwe Eichler | Nachricht aus der Vergangenheit: Mit Kofferradio und Overhead-Projektor ging es in die Schattenwelt der letzten Kriegstage.

Irmelin wird 1944 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, als Telefonistin, flüstert mit einer Gleichaltrigen über die Weiße Rose, deren Mitglieder Flugblätter gegen Hitlers Mordregime verteilt haben und hingerichtet wurden. Wäscheklammern liegen wie Angriffskeile auf der Karte des sterbenden Reichs, meinen aber ein Gespräch in der Wäschekammer. Bei Kriegsende flieht ein Teil der Familie nach Hamburg, der Vater stirbt in sowjetischer Gefangenschaft, an Typhus. Irmelin will Ärztin werden, kommt in Würzburg in Kontakt mit Luigi Malipiero, der 1950 das Torturmtheater Sommerhausen gegründet hat. Zum Klang des Swing, aus dem Kofferradio, beginnt die neue Zeit. Nach dem letzten Telefonat mit der Enkelin verlässt die Großmutter die Bühne, eine starke Szene. Die Vergangenheit geht nicht so ganz.

"Kriegsenkel" ist in der Sozialpsychologie ein fester Begriff. Jede vierte oder fünfte deutsche Familie hat eine Fluchtgeschichte, sagt Janina, 31, die in wechselnden Rollen auftritt. Sie findet, dass mehr darüber gesprochen werden sollte. Irmelin wird von Julia Höhfeld, 29, oder, wie an diesem Tag, Isabelle Mariett Richter, 27, gespielt.

Kriegsangst, extreme Parteien, Fluchterfahrungen, Identitätsfragen: Es ist nicht so, dass dies der heutigen Generation fremd ist. "Ich hatte immer viel Verständnis für Menschen, die fliehen mussten", sagt Oma Irmelin. Krieg kenne nur Verlierer. Im Anschluss dürfen Fragen per Zettel gestellt werden, nach dem Textlernen etwa oder Irmelins weiteren Lebensweg. Es klappt weder mit der Schauspielerei noch der Medizin so ganz, eine Familie wird gegründet. "Abgeschlossene Zeiten" nannte Janinas Oma ihre "Heimaten". Im letzten Jahr ist sie im Alter von 96 Jahren gestorben.

 
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