Ein Dienstag im November, morgens, kurz vor halb sieben in Werneck. Es ist noch stockdunkel, schon ziemlich kalt, doch auf dem Gelände der Wernecker Brauerei wird kräftig gewerkelt. Rainer Brätz steht an seinem Lastwagen, kontrolliert die Ladung. 15 Stationen fährt er heute an, gerade ist noch jemand dazu gekommen, der am Vorabend kurzfristig bestellt hat. Brätz geht ins Büro, holt sich die Schlüssel-Tasche für die Sportheime und auf geht's. Ein Tag als Bierfahrer in der Region.
35 Jahre ist Brätz bei der Wernecker, ein alter Hase im Geschäft, hochgelobt von seiner Chefin Christine Lang. Die über 400 Jahre alte Brauerei ist seit 1861 im Besitz der Familie Lang, legt Wert auf Tradition und handwerkliches Brauen. Und auf ein familiäres Miteinander. Schon der Opa und die Mutter des 56 Jahre alten Brätz arbeiteten bei der Brauerei. Kein Wunder, dass der gelernte Bäcker nach der Lehre zur Firma kam, als sein Betrieb wegen des Todes seines Meisters nicht weitergeführt wurde. Er stieg als Bierfahrer ein, kennt jede der zehn Routen, die pro Woche gefahren werden, auswendig. Seit zehn Jahren macht er hauptsächlich den Festbetrieb für die vielen Vereine, hilft aber aus, wenn, wie heute, Fahrer frei haben.
Gute Planung ist wichtig
Brätz ist ein gelassener Mensch, den nichts so schnell aus der Ruhe bringt. Er mag das Lkw-Fahren mit seinem MAN-Truck, findet es gut, dass er sich seinen Tag einteilen kann. Die körperlich anstrengende Arbeit macht ihm nichts aus. Rückenprobleme? „Gar nix, alles in Ordnung“, sagt er mit einem Lächeln. Alles nur eine Frage, wie man richtig hinlangt. 268 Kästen mit Bier, Wasser oder Limonaden und 29 Fässer mit Pils oder Hefe haben wir geladen – ich werde ein wenig blass um die Nase, als ich den Lieferschein sehe.
Bierfahrer müssen sich in der Region – die Wernecker liefern im Umkreis von 50 Kilometern bis nach Bad Neustadt und Würzburg – auskennen, vor allem aber gute Planer sein. Das geht beim Laden los, wenn man sich überlegen muss, wohin man als erstes fährt. Firmen, Getränkemärkte, Gaststätten, Sportheime, das ist die Klientel, die Ware bekommt.
Unser erster Stopp ist ein Kartonagen-Hersteller in Grafenrheinfeld. Gegen 7 Uhr kommen wir an, im Haupthaus ist alles dunkel, im Büro in der Werkhalle aber Licht. „Versuchen wir's“, ist Brätz zuversichtlich, springt aus der Fahrerkabine, ist flugs im Büro verschwunden. Glück gehabt, die Dame dort schließt auf und Brätz weiß sofort, wo's hingeht. „Den Gang nach hinten, da ist ein Vorhang, dahinter stellen wir die Getränke ab. Das Leergut ist in der Halle daneben.“ Also, frisch an's Werk: 18 Kästen Wasser, Ploppel Spezi und Apfelschorle laden wir ab, zwölf Kästen Leergut wieder auf.
Im Getränkemarkt ordentlich stapeln
Als nächstes geht's nach Schwebheim, einer von fünf Getränkemärkten auf der Tour, wartet auf 50 Kisten Bier verschiedener Sorten. „Ach, Wernecker ist da, wunderbar“, werden wir freundlich begrüßt. Der Förstina-Mann kommt nur wenige Minuten nach uns auf den Parkplatz. Er muss warten, die Zufahrt zum Lager ist zu eng für zwei Lastwagen.
Wir springen auf die Ladefläche des Lkw, Brätz fährt die Rampe hoch und wirft die „Ameise“ an, ein elektrischer Stapler, ohne den bei den großen Paletten gar nichts ginge. Routiniert holt er die Palette vom Laster, fährt sie genauso elegant zwischen den tausenden Getränkekisten im Laden durch bis zu dem Platz, wo sie hingehören.
Bierfahrer der Wernecker bringen die Sachen dahin, wo sie der Kunde haben möchte – ins Lager oder eben in den Verkaufsraum wie in den Getränkemärkten. Wir laden immer fünf Kisten hoch ab, schieben sie in die Lücken, achten darauf, dass alles ordentlich ausschaut. Brätz erzählt von einem generellen Problem in seiner Branche, wo es schwierig ist, Fahrer zu finden: „Alle wollen immer nur fahren, aber keiner will abladen.“
Der Trick mit dem Strich
Weiter geht's über Grettstadt nach Gerolzhofen. Zunächst an eine Tankstelle, wo es ein interessantes Phänomen gibt: Leere Kisten ohne Leergut. Durchaus logisch, denn wer kauft sich schon in einer Tankstelle ein Fläschlein Bier und bringt es des Pfandes wegen dorthin zurück?
Noch interessanter aber der Trick mit dem Strich. An einem der größeren Einkaufsmärkte Gerolzhofens müssen wir an die Rampe des Lagers fahren, rückwärts. Für einen alten Hasen wie Brätz keine Herausforderung, doch die Frage, wo genau die Ladekante der Rampe des Lastwagens liegt, ist von Fahrzeug zu Fahrzeug unterschiedlich. Also haben sich die Fahrer farbige Striche auf den Asphalt gemalt. Wenn das Vorderrad da steht, weiß der Fahrer, dass er stoppen kann, der Abstand passt.
In Untertheres geht's in den Keller
Wir fahren weiter, ich schaue auf die Uhr, kurz vor 10 Uhr. Während die Kollegen so langsam im Büro eintrudeln, haben Brätz und ich schon dreieinhalb Stunden hinter uns. Über einen Stopp im Steigerwald geht's ins Maintal, nach Untertheres. Das erste Mal, dass ich leise vor mich hin stöhne und froh bin, dass ich Journalist bin und kein Bierfahrer.
Das Gasthaus, das wir mit elf Fässern Pils und Weizenbier beliefern, hat sein Lager im Gewölbekeller. Also muss jedes 20-Liter-Fass die enge Treppe hinunter in den Keller gewuchtet werden. Brätz erzählt, wie er am Anfang seiner Zeit als Bierfahrer mit Kollegen 75-Liter-Fässer nach Würzburg gefahren hat. So ein modernes 20-Liter-Fass kann ihn nicht mehr schrecken.
In Untertheres ist mir auch die Sache mit den Schlüsseln aufgefallen. Wir haben vier dabei, von der Gaststätte sowie verschiedenen Sportheimen in der Nähe von Schonungen. Ziemlich clever, denn ein Bierfahrer kann nie genau sagen, zu welcher Uhrzeit er wo ist. Die meisten Gaststätten öffnen erst am späten Nachmittag, die meisten Vereinsheime nur ein oder zwei Mal unter der Woche abends.
Zwei Kästen mit dem Laster
Ein Schmankerl gibt's zum Schluss. Ein Kunde hat zunächst nur einen Kasten Limonade bestellt. Auf die berechtigte Frage des Disponenten, ob da eine Lkw-Fahrt nicht ein wenig übertrieben sei, antwortet er: „Gut, dann nehme ich noch eine Kiste.“ Uns macht's nichts aus, daneben ist ein weiterer Kunde, der Fässer bekommt, es ist kein allzu großer Aufwand.
Gegen 14 Uhr sind wir auf dem Weg zurück Richtung Werneck. Rainer Brätz schaut auf die Uhr: „Das hätte ich nicht gedacht, dass wir so schnell sind.“ Na, da bin ich aber froh, denk ich mir, dass meine Hilfe beim Abladen ihm wenigstens einen früheren Feierabend eingebracht hat.