"Fränkische Lebensfreude", "Lebenslichter", "Erzähl' doch mal, wie's früher war, vor 80 Jahr'" – Man kennt sie in Niederwerrn, die vielen Bücher der Heimatdichterin Gisela-Bartenstein-Eschner, die im Februar vom Werntal an die Westküste der USA ausgewandert ist. In der "guten alten Zeit", in der manche Geschichte der Mundart-Autorin spielt, war die Fahrt über den Großen Teich noch ein Abenteuer. Statt Stürmen und Indianerpfeilen warten heutzutage ganz eigene Herausforderungen auf Einwanderer aus dem "lieblichen Frankenland", wie die gebürtige Schweinfurterin ihre bisherige Heimat nennt.
"Ein alter Baum verpflanzt sich gern", mit diesem Titel hat sie ihren Bericht überschrieben, mit Grüßen aus dem Bundesstaat Washington. Mit 78 Jahren noch einmal den Lebensmittelpunkt zu wechseln, das sei keine leichte Entscheidung gewesen, sagt Bartenstein-Eschner, die nun mit der einzigen Tochter Sandra und Hund Lucy in einem südlichen Vorort von Seattle wohnt. 2017 ist Ehemann Siegfried verstorben, Sandra Eschner lebt bereits seit zwanzig Jahren in den Staaten und arbeitet als Medizin-Informatikerin.
"Es waren zwei Jahre der Ungewissheit." So beschreibt Bartenstein-Eschner die Ummelde-Bürokratie und das Ringen um die "Green Card", die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung für die USA. Auch beim Verkauf von Haus und Auto gab es Komplikationen. "Än alt´n Baum verpflanzt mä net", diesen Ratschlag bekam sie öfters zu hören. Als die Wartezeit immer länger wurde, rief sie beim US-Konsulat an. "Mein hilfreicher Nachbar Edgar und seine Frau Siegrid fuhren mich am frühen Morgen mit ihrem Auto nach Frankfurt." Dort gab es eine internistische Untersuchung, inklusive AIDS-Test. Später wurden vom Konsulat ein Leumundszeugnis und weitere Dokumente angefordert.
Die Konsulatsangestellten waren sehr freundlich.
Die Besucherin kam sich zwischen Kameras, Stacheldraht, Scheinwerfern und Schleusen vor wie auf der Gefängnisinsel Alcatraz: "Wachposten, mit Maschinengewehren im Anschlag, rannten sofort auf unser Auto zu. Dabei wollte unser Fahrer nur seinen Wagen zum Parken wenden." Das Gelände beherbergt schließlich auch das FBI und die Spionage-Abwehr. Die Konsulatsangestellten waren dafür sehr freundlich. Die goldene Bürgermedaille der Gemeinde Niederwerrn, für zahlreiche Benefizaktionen, erwies sich als "Türoffner". Die Dame hinter der Glasscheibe sei tief beeindruckt gewesen, erinnert sich Bartenstein-Eschner. Die Einreise-Erlaubnis kam nicht nach den üblichen drei Monaten, sondern nach drei Wochen: "So wirkungsvoll sind Ehrenzeichen in Amerika."
Mitte Dezember trat der Container mit dem Hausrat seine große Reise an, von Hamburg aus Richtung Panama-Kanal, bis rauf in den amerikanischen Nordwesten. Nach einem heftigen Infekt mit Fieber folgte eine "traurige Weihnacht" im fast leeren Haus. Am 1. Februar, nach einer feierlichen Verabschiedung im Niederwerrner Rathaus, hieß es dann endgültig "Good Bye, Deutschland". Im zehnstündigem Nonstop-Flug ging es über Grönland entlang der Rocky Mountains zum Flughafen Seattle-Tacoma.
Die Weite und Schönheit der USA präsentierten sich sofort im XXL-Format, wie später die Restaurant-Teller und Supermärkte: "Nach 20 Minuten Autofahrt sahen wir eine Bucht vor uns liegen. Da es schon auf Abend zu ging, breitete sich glutrot die untergehende Sonne übers weite Meer aus. Davor reckte sich ein mächtiger Leuchtturm ins Licht der Abendsonne. Und innerhalb weniger Sekunden versanken die malerischen Fischerdörfer im Dunkel der Dämmerung." Sehr wohltuend sei die Stille und das Essen, inklusive Mais, Bohnen und fangfrischem Lachs, im grünen "Evergreen State" mit seinen Zedern, Kiefern, Ahorn- und Mammutbäumen, Feigen, Hortensien, Rhododendren und sogar Palmen im milden, gesunden Klima.
Im März kam der Container. Wenig später folgte allerdings Corona, mit Ausgangsbeschränkungen und Mundschutzpflicht. Zum Glück sei der Lieferservice auf Zack. "Um uns wohnen lauter freundliche, hilfsbereite ältere Nachbarn. Wenn sie hören, dass ich aus Germany komme, strahlen ihre Augen." Merkel sei bei ihnen hoch angesehen. Selbst von den Unruhen in Seattle, mit "Black Lives Matter"-Protesten und einer zwischenzeitlich von Demonstranten besetzten "Autonomen Zone", haben die Eschners wenig mitbekommen. Dafür gibt es Natur pur, mit dem Zug der Wildgänse im Frühling und Herbst, oder Kolibris, die ihren Saugrüssel in jede Blüte stecken. Durch den bunten Hang-Garten schwirren Libellen.
Eine Online-Lesung der Autorin gab es auch schon, für den Deutschkurs von Mr. Ward an der "VHS" in Seattle, mit einer Geschichte über den Sommer und dem Gedicht "Ä unruhig´s Läm". Dank Internet ist der Kontakt nach Franken nicht abgerissen. Ab und zu gönnt sich die frischgebackene "Frankoamerikanerin" auch noch Mehlklöß, Kartoffelbrei und Spargel. "Ein alter Baum verpflanzt sich gern", lautet ihr Resümee: "Deshalb mein guter Rat, wenn natürlich alles passt, traut Euch mal was Neues. Wir leben auf einer Erde und überall gibt’s gute, hilfsbereite Menschen".