Die Magd Minna ist bekannt für ihr loses Mundwerk. Ob 1630 oder heute, die Schweinfurter haben noch nie ein Blatt vor den Mund genommen, wenn sie ihre Meinung sagen wollten. Minna weiß Geschichten zu erzählen, schlagfertig, humorvoll und mit einem Augenzwinkern. Über die Familie Höfel, den vornehmen Advokaten und seine Frau Anna Rüffer. Über das Leben in der Stadt im 17. Jahrhundert am Zeughaus, am Rathaus, am Schrotturm oder der alten Reichsvogtei. Und, ganz wichtig, über die Würzburger, die heute nur noch für Kabbeleien taugen, früher aber bei den stolzen Bürgern der Freien Reichsstadt Schweinfurt nicht gern gesehen waren.
David gegen Goliath, und wer aus Minna's Sicht der Gute ist, dürfte klar sein. Gästeführerin Martina Barth hat die Minna 2010 erfunden und auf Anhieb den Geschmack ihrer Zuhörer bei den Führungen getroffen. Denn die Magd vereint, was schon seit über 15 Jahren, als die ersten Nachtwächter-Führungen aufkamen, der Trend bei Gästeführungen ist: seriöses Infotainment. Lebendige, mit Esprit dargebotene Führungen, bei denen Führer und Gäste gleichermaßen ihren Spaß haben und am Ende auch etwas mitnehmen. Denn eines ist ganz wichtig bei Minna und Co.: Die Fakten stimmen.
Seit 2000 als Führerin tätig
Martina Barth ist prädestiniert für solche Führungen. Die 51 Jahre alte Rechtspflegerin, auch privat ein offener und redseliger Mensch, kam 2000 zum ersten Mal mit dem Thema Gästeführung in Kontakt, als sie im Museum Georg Schäfer anfing. 2004 begann sie mit Gästeführungen in der Stadt – von der Schweinfurter Industriegeschichte über Spaziergänge durch die Stadt bis zu Wirtshausgeschichten oder Friedhofsführungen bietet sie ein breites Portfolio. Schon in den 2000er begann sich der Markt für Stadtführungen zu wandeln, als die ersten Nachtwächter aufkamen. Natürlich gibt es auch in der Kugellagerstadt einen, seit zehn Jahren verkörpert ihn Christoffer Wunder. Sein Erfolg und der der Kostümführungen generell war groß, nicht nur Touristen, auch Einheimische wollen die Stadt aus einer anderen Perspektive erleben. 2010 überlegte auch Martina Barth, was man noch anbieten könnte.
Geschichtslehrer fragte nach
Die Idee zur Minna hatte sie, nachdem sie vom Celtis-Geschichtslehrer ihrer Söhne gefragt wurde, wie man die Auswirkungen des 30-jährigen Krieges zwischen 1618 und 1648 auf Schweinfurt bei einer Führung zeigen könnte, um das Thema den Schülern auch „live“ nahezubringen. Ihr Kostüm nähte Barth selbst, das Konzept und die Anekdoten entwickelte sie in tagelanger Kleinarbeit im Stadtarchiv. Das Standardwerk zur Stadtgeschichte von Hubert Gutermann, „Alt-Schweinfurt in Bildern, Sagen und Geschichten“, kennt sie auswendig. Dass es nicht die Perspektive des Adels, sondern die der Magd sein muss, war Barth schnell klar: „Ich kann da auch viel besser daher plappern und es ist viel authentischer.“
Schon als Kind gab es für Martina Barth nichts Schöneres als mit der Mutter in die Stadt zu gehen. Wenn sie beide loszogen, hing sie an den Lippen ihrer heute 92 Jahre alten Mutter, die erzählte, wie es früher in Schweinfurt war. Geschichten aus dem Alltag, über die Schweinfurter, über die Häuser und wer da gewohnt hatte, über die Geschäfte und was sie verkauften, über den Markt und die Verkäuferinnen dort. Natürlich auch über den Zweiten Weltkrieg und die Bombardierungen der Stadt 1943.
Martina Barths Mutter ist ein Quell schöner Anekdoten. Und so ist es irgendwie kein Wunder, dass Barth Jahrzehnte später wurde, was man werden muss nach dieser Prägung in der Kindheit: Stadtführerin.
Steigende Zahlen
„Es hat mich immer fasziniert, sehr geprägt“, sagt die 51-Jährige, die von ihrer Heimatstadt mit einer Leidenschaft schwärmt, wie das nur jemand kann, dem das am Herzen liegt. Das Image von Stadtführungen hat sich in den letzten Jahrzehnten grundlegend zum Positiven gewandelt. Wo früher trockene Fakten und Zahlen im Vordergrund standen und man eher stadtgeschichtliche Proseminare erlebte, als erinnerungswürdige Anekdoten zu hören, hat sich das heute komplett gewandelt. Stadtführungen sind deutschlandweit in, hinterlassen Eindruck. Man sieht das auch in Schweinfurt an steigenden Zahlen: 2014 organisierte die Touristinformation Schweinfurt 360° in Stadt und Landkreis 346 Führungen pro Jahr, 2015 waren es 500, 2016 615, auch dieses Jahr wird das Angebot sich in etwa in dieser Größenordnung bewegen.
Das Geheimnis des Erfolgs? Einfach: Wer seine Stadt sowohl Touristen als auch Einheimischen schmackhaft machen will, der sollte sein Metier fachlich verstehen, vor allem anderen Empathie für Schweinfurt aufbringen. Martina Barth und ihre Kolleginnen und Kollegen als Führer in Stadt und Landkreis erzählen alle voller Leidenschaft und Fachkompetenz. „Ohne diese Leidenschaft für die Sache geht es ja gar nicht“, betont die Leiterin der Touristinformation, Elisabeth Jäger.
Führer werden selbst aktiv
Die Kostümführungen sind zu einem wichtigen Pfeiler der Gästeführungen der Touristinformation geworden und decken ein breites geschichtliches Spektrum vom späten 16. Jahrhundert bis ins frühe 19. Jahrhundert ab. Neben Nachtwächter und Magd Minna erfreuen sich Stadtknecht Lorenz, die Ratsherrenfrau Anna Dorothea und der Pfarrer Frey Beliebtheit. Über das Engagement der Führer in Stadt und Landkreis, wo zum Beispiel der Wipfelder Zehntgraf durch die Weinberge führt, ist Elisabeth Jäger natürlich sehr froh. „Es begann mit dem Nachtwächter und hat sich dann immer weiterentwickelt auf Initiative der Führer. Die müssen sich ja auch im Kostüm und mit ihrer Rolle wohlfühlen.“
Ein wichtiger Aspekt für Jäger ist die profunde Ausbildung der Gästeführer. Die ist Grundvoraussetzung, um für die Touristinformation tätig zu werden. Im Herbst ist auch wieder ein neuer Kurszyklus mit der Volkshochschule als Partner geplant. Der schönste Lohn für einen Stadtführer ist ein Lob der Gäste. Martina Barth und ihre Kollegen bekommen es oft zu hören, an manche erinnert man sich aber doppelt gerne. Vor ein paar Monaten führte Barth eine Gruppe Ingenieure durch die Stadt. Sie waren die ersten Absolventen des Ingenieur-Studiengangs an der Fachhochschule in den 1970er-Jahren. Viele waren Jahrzehnte nicht mehr da und begeistert von der Entwicklung von der hässlichen Industriestadt zu einem Kleinod am Main. „Es hat sich so viel getan und das zeige ich als Schweinfurterin natürlich sehr gerne“, erzählt Barth, deren Lieblingsort im Sommer der Wohnhof Krumme Gasse ist. Lauschig und voller Geschichte: Da ist das Haus, in dem Moritz Fischer 1865 die Fahrradtretkurbel erfand und das Gebäude, in dem die erste Schweinfurter Schlachtschüssel stattfand.
Weltgästeführertag
„Reform – Zeit für Veränderung“ ist das Motto des deutschlandweit vom Bundesverband für Gästeführer veranstalteten Weltgästeführertags am Sonntag, 19. Februar. Natürlich beteiligt sich auch die Touristinformation Schweinfurt 360° – Tourismus rund um Stadt und Land an der Aktion. Angeboten werden drei Führungen.
Bereits ausgebucht ist die Führung in Schweinfurt mit Pfarrer Frey im 16. Jahrhundert „Wie Schweinfurt zu evangelischer Lehr und zum Glauben kam“
Noch Plätze gibt es bei folgenden Führungen:
„Ein neues Sehen – Realistiche Landschaftskunst in enger Verbundenheit mit der Natur“ im Museum Georg Schäfer. Führerin Colleen Reuss zeigt ab 15 Uhr die Besonderheiten der Sonderausstellung der Ausstellung mit Werken von Johann Georg von Dillis. Dessen Werke zeigen Landschaften des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts (Ölskizzen, Aquarelle und Feder- und Bleistiftzeichnungen).
„Mächtige Fürstbischöfe und ihre Reformen“ ist der Titel der Führung ab 14 Uhr in Maibach. Margit Markert zeigt die von Julius Echter im Zeichen der Gegenreformation veranlasste prächtige Kirche in Maibach sowie die von Adam Friedrich von Seinsheim gebaute fürstbischöfliche Chaussee mitten durch Maibach.
Infos unter www.schweinfurt360.de