
Seit 1960 hat sich das Leben auf dem Dorf radikal verändert. Die Landwirtschaft wurde technisiert. Das Mantra "Wachse oder weiche" hat Spuren hinterlassen. Die Massenmotorisierung ermöglichte, in der Stadt zu arbeiten und "im Grünen" zu wohnen. Während die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe in den Dörfern immer weiter sank, stieg die Zahl der "Auspendler" und der Einfamilienhaussiedlungen an den Ortsrändern.
Durch Massenmedien wie Telefon und Fernsehen wurden das persönliche Weitergeben von Informationen, wurden persönliche Kontakte immer unbedeutender. Auch viele Einrichtungen der Daseinsvorsorge verschwanden. Lebensmittelgeschäfte beispielsweise. Ihre Zahl ging allein zwischen 1990 und 2010 um 80 Prozent zurück. Bei Gasthöfen, Bäckereien, Bankfilialen und selbst bei Pfarrern schaut es nicht anders aus.
Unter dieser Entwertung des ländlichen Raums leiden vor allem die Dorfkerne, wo vielerorts nur noch ältere Menschen leben. Wir haben vier Dorfälteste befragt. Sie alle wurden zwischen 1934 und 1940 in Michelau geboren und sind auf einem landwirtschaftlichen Hof im Dorfkern aufgewachsen. Dort leben sie heute noch – entweder mit Partner oder mittlerweile alleine. Die Landwirtschaft haben alle im Laufe ihres Erwerbslebens aufgegeben. Wir nennen sie so beim Namen, wie sie auch im Dorf genannt werden.
Die Roths Irmgard: "Es fehlt die Jugend"

"Den Hof haben wir von den Eltern übernommen. Erst sind wir noch mit den Kühen raus auf's Feld gefahren, dann haben wir einen Traktor gekauft und eines Tages haben wir aufgehört. Irgendwann fingen mein Mann und ich an, in der Fabrik zu schaffen. Das hieß: Früh um fünf raus zum Futterholen. Und im Herbst nach der Fabrik Rüben und Kartoffeln heimfahren. Heute mache ich nur noch meinen Weinberg, 800 Stöcke. Und wenn eine schwere Arbeit ansteht, wie Pflöcke reinschlagen, dann muss mein Sohn aus München kommen.
Ich spiele seit 65 Jahren die Orgel im Dorf. Aber wir haben keinen Pfarrer mehr. Nur alle acht Tage ist mal Kirch und es gibt auch keine ewige Andacht mehr. Sonst waren die Kirchen voll und auch die Rosenkränze. Ich könnte auch öfter spielen, ich habe ja Zeit. Aber es fehlt die Jugend und auch wegen der schlechten Nachrichten über die Kirche bleiben viele weg."
Der Leys Ottmar: "Was ich vermisse, sind die vielen kleinen Kontakte im Alltag"

"Mein Vater ist im Krieg geblieben. Das heißt, ich musste Landwirt machen, obwohl ich gerne einen anderen Beruf gelernt hätte. 1978 fing ich an, für das Bürgerspital in Würzburg zu arbeiten. Meine Landwirtschaft lief dann nur noch nebenher. Das würde die heutige Generation nicht mehr auf sich nehmen. So was wie Urlaub, das haben wir nicht gekannt – aber auch nicht gebraucht, weil bei uns der Druck und der Stress noch nicht so groß waren. Wir sind in eine Zeit reingewachsen, da warst Du noch mit den Pferden oder Kühen unterwegs und wenn Du draußen auf dem Acker angekommen bist, warst Du ausgeruht. Es war ja auch kaum Verkehr.

Als die Musik aufkam, sind wir auch mal fortgefahren, für ein oder zwei Tage. Wenn ich nicht bei der Heimatkapelle gewesen wäre, wäre ich nicht auf Hamburg oder Berlin gekommen. Das habe ich der Musik zu verdanken.
Was ich vermisse, sind die vielen kleinen Kontakte im Alltag. Zum Beispiel die Ständerle nach dem Kirchgang. Da ist man auf dem Heimweg stehen geblieben und hat geplaudert. Bis man daheim war, gab es drei, vier Ständerle. Heute ist man froh, wenn mal einer des Wegs kommt, dass man mal ein paar Worte reden kann, weil man ja den ganzen Tag alleine ist."
Der Behra Hans: "Heute leben in vielen Häusern nur noch einer oder zwei."

"Wenn früher eine Kuh gekalbt hat, ist man durchs Dorf und hat Hilfe geholt. Die Leute haben dann alles stehen und liegen lassen, da hat es nichts anderes gegeben. Wir waren aufeinander angewiesen. Heute hat jeder alles oder er kann es sich kaufen. Früher hatten wir nicht das Geld.
Als Kinder hatten wir noch nicht mal einen Fußball. Die Mädels aus der Landjugend hatten einen Handball. Den haben wir manchmal ausgeliehen, um damit Fußball zu spielen. Aber wir hatten alles, was wir zum Leben brauchten. Zwei Schuster, einen Wagner, zwei Schreiner, einen Schmied, einen Schneider, eine Hebamme, zwei Gasthöfe, eine Brauerei.
Wir waren Selbstversorger. Zugekauft haben wir nur Zucker und Waschmittel. Und das gab es im Dorfladen. In den 1950er und 60er Jahren bei der Flurbereinigung hieß es "Es muss produziert werden". Selbst die feuchten Äcker wurden entwässert. Jetzt werden gute Äcker für Siedlungen und Straßen zugebaut. Ich bin alt, für mich langt das Essen noch. Aber für die Jugend?

Früher lebten in jedem Haus sechs, sieben Leute. Und nach dem Krieg bekamen wir Flüchtlinge zugewiesen. Die Häuser waren voll. Heute leben in vielen Häusern nur noch einer oder zwei. Oder sie stehen leer. Die Leute gehen lieber naus und bauen neu. Und wir hier im Dorf hocken direkt an der Straß und bekommen den Verkehr ab. Früher ist sonntags so gut wie kein Auto gefahren. Auch nachts war das eine Seltenheit. Jetzt, ob zehn Uhr oder drei Uhr nachts, es fahren Pkw und Lkw."
Die Röders Klara: "Einerseits wird es lauter im Dorf, andererseits ruhiger"

"Was Michelau für mich ausmacht: meine gute Nachbarschaft und die schöne Landschaft außen rum. Vor allem der Eulenberg und der Taubenherd. Früher – als noch weniger Verkehr war – sind wir am Sonntag oft die Steig Richtung Geusfeld hochspaziert, haben uns ins Gras gesetzt und haben gesungen. Oder die Leute sind hoch zur Waldesruh. Der Verkehr hat schon arg zugenommen und das stört. Schlimmer war es nur in der Zeit, als die Amerikaner noch mit ihren Panzern hier durchgerollt sind. Und an die Geschwindigkeitsbegrenzung im Dorf hält sich kein Mensch.

Einerseits wird es lauter im Dorf, andererseits ruhiger. Sonst sind zum Beispiel der Kerwesbaum und der Maibaum im Dorf aufgestellt worden. Jetzt sind alle Festli am Ortsrand an der Vollburghalle. Da kriegt man gar nichts mehr mit. Die Kerwesnacht war immer unruhig, aber das hat man gerne in Kauf genommen, weil das war die Tradition. Da war Leben im Dorf. Das fehlt mir. Traurig war ich auch, als die Raiffeisen und Post zumachten. Das konnten wir gar nicht glauben. Plötzlich musste man auswärts fahren für eine Überweisung. Solange man fahren kann, ist das alles gut, aber dann?"