Eigentlich ganz schön, diese Ruhe. Keine röhrenden Trucks, keine fauchenden Panzer. Nur ab und zu rollt gemächlich ein orangefarbener Kleinlaster vorüber. Ein, zwei Werkstätten sind noch in Betrieb. Ansonsten liegen Lagerhallen, Garagen, Unterkünfte und Verwaltungsgebäude in den Ledward und den Conn Barracks friedlich und verlassen in der drückenden Sommersonne.
Am 30. September verlässt der letzte Angehörige der US Army die Militärgelände. Seit Monaten schließt eine Einrichtung nach der anderen, seit Monaten wird ein Gebäude nach dem anderen leergeräumt und zugesperrt. Dann kommt ein roter Punkt auf das Schloss, der anzeigt, dass es bereit ist für die Übergabe an die BImA, die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, Eigentümerin aller amerikanischen Militärgelände in Deutschland.
Die Bowlingbahn in den Conn Barracks ist schon lange Geschichte. Inzwischen sind auch das Theater und die Kirche in den Ledward Barracks zu. Und der PX, der Supermarkt, jahrzehntelang zentrale Versorgungseinheit für die ganze Garnison. Vorne ist abgeschlossen, die Hintertür steht offen. Drinnen der riesige Verkaufsraum mit verspiegelten Stützen und Teppichboden – ebenso leer wie die Lagerräume nebenan. An einer Stütze lehnen gerahmte Filmplakate – Marilyn Monroe, Patrick Swayze, Tom Cruise.
Ein paar Leute werkeln hier noch. Diana Norton, zum Beispiel. Die Deutsche hat 30 Jahre in Würzburg für die Army gearbeitet, und als dort vor sechs Jahren dichtgemacht wurde, kam sie nach Schweinfurt in den PX. Mit ein paar Kolleginnen räumt sie nun noch den Rest leer – alles, was nicht fester Bestandteil der Wand ist, muss raus. Auch die Bronzetafel im Eingangsbereich, die darauf hinweist, dass der Supermarkt 1989 im Dienste der Kunden renoviert wurde. Wie es für sie weitergeht, weiß Diana Norton noch nicht. „Mal schauen – wir hier sind doch zu alt, um noch eine neue Stelle anzutreten. Die wollen da draußen keine Leute, die fast 60 sind.“
Dabei würden ihr 22 Stunden die Woche reichen. Den Rest zahlt der Bund über den TASS, den „Tarifvertrag zur sozialen Sicherung der Arbeitnehmer bei den Stationierungsstreitkräften im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland“ aus dem Jahr 1971. Als Bedienstete des Konsumgüterversorgers AAFES (Army & Air Force Exchange Service) ist Diana Norton keine direkte Army-Angestellte und kommt deshalb nicht in den Genuss der Auffanggesellschaft für die Kollegen, die das sind.
„Es ist schon traurig“, sagt Diana Norton, „am 19. September 2008 habe ich den Schlüssel in Würzburg abgegeben, am 19. September wird hier die Flagge eingeholt.“ Dann sperrt sie die Vordertüre des PX hinter den Besuchern wieder zu. In wenigen Tagen wird auch hier der rote Punkt kleben.
Der Vorplatz des Supermarkts bedeckt sich allmählich mit totem Laub – wie alle Wege, über die keiner mehr geht. Die Blumenkübel sind verschwunden. Schräg gegenüber, hinter einer verlassenen „smoking area“, lädt ein Gabelstapler geduldig dutzende Betonpoller auf einen Sattelschlepper.
Die Rasenstücke entlang der Betonpisten sehen frisch gemäht aus. Nur auf den riesigen, meist eingezäunten Abstellflächen vor Garagen und Gerätehallen kämpft sich allmählich das Unkraut durch die Ritzen.
„Es ist fast schon alles zu. Und was zu ist, ist zu“, sagt Johannes Herpich. Herpich war 33 Jahre lang Fotograf der Garnison. Er hat die Übungen an den Brennöfen fotografiert und militärische Zeremonien. Er hat die Porträtfotos der Soldaten in Uniform vor der Flagge gemacht und unzählige Passbilder. Mit dem Abzug seines Arbeitgebers wird er erstmal zwei Jahre arbeitslos sein und dann in Rente gehen. Sein letzter Fototermin ist jener 19. September.
Viele Jahre hatte Johannes Herpich sein Studio draußen in den Conn Barracks. Ein kleines Gebäude, lauschig unter Bäumen gelegen. Seit einigen Monaten muss er alle paar Wochen umziehen. Jetzt ist er im Building 206 angekommen, dem ehemaligen Hauptquartier in den Ledward Barracks, vor dem im Advent immer der große Christbaum stand. Hier sammeln sich sozusagen die Letzten, die bis zum Schluss da sind. Soldaten sind kaum noch welche da.
Ein klein wenig mehr los ist draußen in den Conn Barracks. Die Poststelle arbeitet noch und das Building 40, ein flacher Verwaltungsbau, in dem die Soldaten ihren gesamten Papierkram in einem Aufwasch abwickeln können. Viel Parteienverkehr ist hier aber auch nicht mehr, ein einziger Uniformierter schlendert vorüber.
In einer Nische ein paar Häuser weiter leuchten zwei Geldautomaten der Community Bank. An der längst ausgeräumten Burger-King-Filiale rottet das geschindelte Deko-Vordach vor sich hin, drinnen sind noch die schwarzweißen Schachbrettmuster-Streifen an den Wänden zu erkennen. Um die Bestellsäule des Drive-In-Schalters wächst halbhohes Unkraut.
Dann wieder eine offene Hintertür, ein Gang mit Licht, Popmusik in der Ferne. Das Finney Fitness Center im ehemaligen Hangar des Flughafens ist noch in Betrieb. Bob Bausums Reich. Bausum ist seit neun Jahren in Deutschland, er hat schon Kitzingen, Giebelstadt und Würzburg leergeräumt. Ja, er sei mittlerweile so etwas wie ein Experte im Läden dichtmachen, gibt er zu. „Ich würde damit nicht unbedingt hausieren gehen“, lacht er, „aber es ist ein Job. Viele Leute haben keinen.“
In einer Ecke der großen Halle, die Raum genug bot, um bei schlechtem Wetter etwa Kommandowechsel zu feiern, bauen sie gerade eine Art Multi-Funktions-Fitness-Gerät ab. Bausum bedauert das ebenso wie seine Mitarbeiterin Kelly Navarrete. Das Gerät war beliebt, aber am 15. August muss eben auch hier alles leer sein. Die Basketballkörbe werden hängen bleiben. „Die gehören zum Gebäude“, sagt Bausum.
Die Kalifornierin Kelly wird bleiben: Sie ist mit einem Deutschen verlobt und hat eine kleine Tochter. Zuerst will sie richtig Deutsch lernen. Danach könnte sie sich vorstellen, mit Kindern zu arbeiten, wie sie das schon bei der Army getan hat.
Bob Bausum kehrt in die Staaten zurück. In Fort Drum im Norden des Bundesstaats New York hat seine Frau bereits einen Job. Er selbst wird sich noch einen suchen. Er würde gerne auch bleiben – „Deutschland gefällt mir“, sagt er auf Deutsch. Fort Drum ist 30 Meilen von der kanadischen Grenze entfernt. „Da gehen die Soldaten zum Kalt-Wetter-Training hin“, sagt Bausum und schüttelt sich.