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Gerolzhofen
Memoiren eines Gerolzhöfers: Als die Zehen vorne aus den Schuhen herausschauten
Der in Gerolzhofen geborene Caspar Klee wirkte im 16. Jahrhundert als evangelischer Pfarrer im Raum Straßburg. In seinen Büchern erinnert er sich an seine Kindheit.
Jacob Pfeffer (hier sein Grabstein in der Erlöserkirche) war der Gerolzhöfer Pfarrer in der Kindheit von Caspar Klee.
Foto: Archivbild Norbert Vollmann | Jacob Pfeffer (hier sein Grabstein in der Erlöserkirche) war der Gerolzhöfer Pfarrer in der Kindheit von Caspar Klee.
Klaus Vogt
 |  aktualisiert: 14.09.2022 02:39 Uhr

In Würzburg regierte Fürstbischof Julius Echter, als Caspar Klee als kleiner Bub notgedrungen seine Heimatstadt Gerolzhofen verlassen und sich als bettelarmer Vollwaise durchs Leben schlagen musste. Später wirkte er als evangelischer Pfarrer in Straßburg und starb dort hochbetagt. Die schriftlichen Erinnerungen Klees an seine beschwerte Kindheit im Gerolzhofen des 16. Jahrhunderts spiegeln die damaligen Lebensverhältnisse in der Steigerwaldstadt in höchst anschaulicher Weise wider. Der kleine Caspar erlebte auch die innere Zerrissenheit vieler Menschen zur Zeit der Reformation und der Gegenreformation hautnah mit. Dieser Konflikt prägte sein ganzes Leben.

Während es heute schier schon zum guten Ton gehört, dass irgendwelche D-Promis ohne Schulabschluss bereits im Alter von Anfang 30 ihre "Memoiren" veröffentlichen, bloß um ein paar Euro zu verdienen, war es im 16. Jahrhundert ein durchaus seltener Vorgang, dass jemand im betagten Alter seine Erinnerungen aus der Jugend zu Papier brachte. Caspar Klee tat dies – allerdings nicht aus reinem Selbstzweck, sondern er nutzte in seinen gedruckten Schriften die Erzählungen aus der eigenen Kindheit immer wieder als Aufhänger, um seine theologischen Anschauungen darzulegen. Für die Heimatforschung in Gerolzhofen sind die Reflexionen in Klees Werken heute eine höchst interessante Quelle.

So heruntergekommen war früher die Stadtpfarrkirche Gerolzhofen.
Foto: Stadtmuseum Gerolzhofen | So heruntergekommen war früher die Stadtpfarrkirche Gerolzhofen.

Caspar Klee wurde nach eigenen Angaben am 10. August 1565 in Gerolzhofen geboren. Urkundlich belegen kann man dieses Datum nicht, weil aus dieser Zeit keine Taufbücher der Pfarrei Gerolzhofen überliefert sind und auch danach die Angaben sehr löchrig sind. Zur damaligen Zeit – ehe Julius Echter mit dem eisernen Besen durchkehrte – war es mit der innerkirchlichen Organisation nicht zum Besten bestellt. Die mit dem Führen der Matrikel beauftragten Vikare legten zumeist eine recht schlampige Berufsauffassung an den Tag.

Bittere Not und die Pest

Caspar berichtet in seinen Veröffentlichungen mehrmals von der bitteren Armut und Not in seiner Kindheit. Dies lag auch daran, dass Gerolzhofen und seine Bürgerinnen und Bürger in den Jahrzehnten vor der Geburt von Caspar mehrfach ausgeplündert und erpresst worden waren. Brandschatzende Bauern (anno 1525) und marodierende Soldaten im sogenannten Markgräflerkrieg (1552) fügten dem Vermögen der Einwohner schwere Schäden zu. Hinzu kam, dass in all dieser Not auch noch der "schwarze Tod", die gefürchtete Pest, innerhalb der Stadtmauern grassierte. 

Caspar Klee schreibt, dass er statt des "grünen Krauts" manchmal als Ersatz das "abgeschnittene gelbe Rübkraut, gehackt, gekocht und schlecht zubereitet" essen musste. Da habe er "mit guten Zähnen – wie man sagt –übel beißen müssen". Immer wieder habe man notgedrungen "manch beschwerlichen Fasttag" halten müssen, wo es für die Familie überhaupt nichts auf dem Tisch gab. Um die Hygiene stand es auch schlecht. Klee erwähnt, dass er von der Krätze befallen war.

Löcher in den Schuhen

Auch seine Bekleidung scheint recht abgerissen gewesen zu sein. Klee spricht einmal von "meinen aufgeschürzten und zerrissenen Hosen". Er habe zudem in seiner Vaterstadt Schuhe tragen müssen, an denen vorne die bloßen Zehen herausschauten. Die Not machte aber erfinderisch: "Wenn ich an einem Feiertag in die Kirche ging, dann schwärzte ich die Schuhe und die Zehen." Gerade aber wenn es sehr kalt war im Gotteshaus, dann konnte dies durchaus schmerzhaft werden. Klee berichtet sinngemäß: "Wenn ich in der kalten Kirche bei der Messe, Vigilien, Metten und Kompleten zu lange verharren musste, dann sahen meine geschwärzten Zehen bald so aus wie ein schwarzer gesottener Krebs. Und sobald ich darauf wiederum in die warme Stube kam, wurde mir hinter dem Ofen ohnmächtig, dass ich für tot dahinsank." 

Diese seltene historische Postkarte zeigt die Stadtpfarrkirche in der noch 'kurzen' Fassung vor der Erweiterung in Richtung Westen.
Foto: Sammlung Klaus Vogt | Diese seltene historische Postkarte zeigt die Stadtpfarrkirche in der noch "kurzen" Fassung vor der Erweiterung in Richtung Westen.

Zwei religiöse Strömungen

Das Elternhaus von Klee war protestantisch geprägt. Er erwähnt in seinen Erinnerungen, dass er in seiner Jugend von den Eltern angewiesen worden war, es mit Martin Luther zu halten. Zugleich berichtet er aber auch, dass er den Katechismus des Petrus Canisius gelernt hat. Der Jesuit Canisius war als Theologe und Schriftsteller ein damals sehr einflussreicher Vorkämpfer der Gegenreformation. Mit den Werken des Canisius scheint der junge Klee in der Lateinschule von Gerolzhofen in Kontakt gekommen zu sein. Später, im hohen Alter, schreibt er, er sei im "finsteren Papsttum geboren".

  • Hier gibt es weitere Artikel aus der Gerolzhöfer Stadtgeschichte.

Als Klee geboren wird, war Jacob Pfeffer, dessen Grabstein sich heute im Foyer der evangelischen Erlöserkirche befindet, der hiesige Pfarrer. Der gebürtige Volkacher war 1556 nach Gerolzhofen gekommen. Im Jahre 1569 am 4. Tag des August starb er im Alter von 46 Jahren, nachdem er 13 Jahre lang hier gewirkt hatte. Pfeffer gilt als Gegner der Lehre Luthers. Er sorgte für eine Reorganisation des katholischen Pfarreilebens und schwärzte protestantische Amtsbrüder beim Fürstbischof an. Pfeffers Nachfolger Conrad Moltner war ebenfalls streng katholisch. 

Streng katholische Schule

Es lohnt auch ein Blick auf die damalige Situation in der Lateinschule der Steigerwaldstadt. Der aus Gerolzhofen stammende Melchior Silber war am 20. September 1564 mit Genehmigung von Fürstbischof Friedrich von Wirsberg als neuer lateinischer Lehrer verpflichtet worden. Schon bei seiner Einstellung wurde ihm angewiesen, er solle sich "der neuen verführerischen Lehr enthalten". 1570 heißt es dann aber, Silber gehöre jetzt der "widerwärtigen Religion" an. Pfarrer Conrad Moltner intervenierte beim Fürstbischof mit der Mitteilung, Silber sei nicht nur "unfleißig im Kirchen- und Schuldienst", sondern verhalte sich auch ungebührlich gegen den Pfarrer.

Die Intrige des Pfarrers führte zum Erfolg. Der Fürstbischof beurlaubte den Melchior Silber am 17. September 1570. Der Stadtrat, dessen meiste Mitglieder sich offenbar ebenfalls zu den Lehren Martin Luthers hingezogen fühlten, wehrte sich mit einer Bittschrift – aber erfolglos. Der Rat erhielt keine Antwort aus Würzburg, stattdessen kommt der Befehl des Bischofs, der bisherige Schulmeister müsse "unverlengt abgeschafft" werden. Seine Dienstbezüge wurden ihm entzogen.

Bereits zehn Tage später, am 27. September 1570, wurde der "wohlgelehrte Magister Andreas Leonhard Agricola von Miltenberg" als neuer lateinischer Schulmeister nach Gerolzhofen angewiesen. Dieser Agricola (latinisierter Familienname für Bauer) wird fortan der Lehrer von Caspar Klee. Obwohl auch bei Agricola die Lehre Luthers offenbar nicht spurlos vorübergeht, ist er ein treuerer Verfechter der Gegenreformation als sein Vorgänger. Als er bereits einige Jahrzehnte im Dienst ist, erhält er 1597 ausdrückliches Lob für seine qualifizierte Arbeit, als das Landkapitel Gerolzhofen einer Visitation unterzogen wird. 

Zahlreiche Prozessionen

In seinen Erinnerungen an die Kindheit im geliebten Frankenland spricht Caspar Klee auch von den zahlreichen Prozessionen und Wallfahrten, "als ich noch ein Knab war und in meinem Vaterlande zu Gerolzhofen als ein Schüler mit dem Kreuze gehen musste". Namentlich erwähnt er die Ziele dieser Prozessionen: Frankenwinheim, Mönchstockheim, Dingolshausen und den Kirchberg bei Volkach.

Dies lässt sich gut anhand historischer Archivalien bestätigen. Die Prozession ins Nachbardorf Frankenwinheim (erstmals urkundlich erwähnt im Jahr 1574) fand alljährlich an St. Markus (25. April) statt. Dort musste der Pfarrer eine Messe singen und predigen. Nach Mönchstockheim ging es früher jeweils am vierten Wochentag der Bittwoche. Diese "Peregrinatio" (Pilgerfahrt) wird ebenfalls anno 1574 erstmals erwähnt, ebenso wie die Prozession hoch nach Dingolshausen, die immer am dritten Tag der Bittwoche abgehalten wurde. Die Wallfahrt zum Volkacher Kirchberg ist bereits für das Jahr 1500 belegt, als 62 Gerolzhöfer Mitglieder der Marien-Bruderschaft sich auf den Fußweg machten.

So sah zu Zeiten von Caspar Klee die Westseite der Stadtpfarrkirche von Gerolzhofen aus. Später wurde hier der Erweiterungsbau angefügt. 
Foto: Stadtmuseum Gerolzhofen | So sah zu Zeiten von Caspar Klee die Westseite der Stadtpfarrkirche von Gerolzhofen aus. Später wurde hier der Erweiterungsbau angefügt. 

Bei diesen Wallfahrten hat der junge Klee offenbar gehörig Kilometer machen müssen. Später, als evangelischer Pfarrer von Fegersheim, erinnert er sich, dass er "mehr Messen und Kompleten, Prozessiones und Wallfahrten helfen verrichten, denn wohl der älteste Bauer von Fegersheim gethan hat." Doch auch bei diesen – typisch katholischen – Wallfahrten klang in Klees Kindheit schon der Geist Martin Luthers durch. Caspar Klee erinnert sich, wie er damals gehört habe, wie auch der Messpriester das Lied "Es ist das Heil uns kommen her..." gesungen hat, eines der ältesten lutherischen Kirchenlieder, das zum Kernbestand des reformatorischen Liedguts gehört.

Wer hat angestimmt?

Wer dieses Lied damals angestimmt hat, das weiß Klee nicht mehr. Es könne sein, so schreibt er, dass es möglicherweise jemand von den Evangelischen war, von denen aus jedem Haushalt mindestens eine Person mitgehen musste. Und der Priester habe es sich dann wohl einfach gefallen lassen und mitgesungen. Wer dieser Priester war, der protestantisches Liedgut auf einer Wallfahrt tolerierte, das schreibt Caspar Klee ebenfalls nicht. Der linientreue Pfarrer Moltner und sein Nachfolger Andreas Kissing werden es sicher nicht gewesen sein...

In Frage könnten zwei Vikare kommen, die während der Kindheit Klees neben dem Pfarrherren in der Stadt Gerolzhofen und in der Umgebung tätig waren: Balthasar Ulmer bekommt vom damaligen linientreuen Gerolzhöfer Vogt Peter Eisen ein sehr schlechtes Zeugnis ausgestellt. Ulmer sei ein Wanderpriester, der selten in seiner Pfarrei sei und sein Einkommen verschwende. Und dann gab es noch den Kaplan Daniel Dullmayer. Dieser wird vom Fürstbischof Echter höchstpersönlich als unfähig eingestuft – was ein Indiz sein könnte, dass er der Lehre Luthers anhing.

Eier und Weck waren wichtiger

Ob es damals lutherische Einflüsse auch bei den Wallfahrten gab, das war dem jungen Caspar Klee herzlich egal, wie er später in seinen Erinnerungen zugibt: "Ich hatte mehr Achtung auf meine gebratenen Eier und gelben Weck, die mir die Mutter (...) zum Proviant und Wegfutter gegeben hatte."

Im Alter von etwa elf Jahren wird Caspar Klee zum Vollwaise. Völlig verarmt packt er sein Bündel und geht als "Bachant", als fahrender Schüler, hinaus in die Welt. Ein Abenteuer beginnt. In sein geliebtes Gerolzhofen aber wird er nie mehr zurückkehren.

(Fortsetzung folgt.)

 
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