Ich hätte ihn gern wieder mal in seiner kleinen Bude besucht: Jacques Matéos, Scherenschnitt-Künstler, Weltenbummler, Fabulierer, Charmeur. Aber er war schon seit ein paar Jahren nicht mehr da. Dem Vernehmen nach hat er sich, inzwischen Ende 70, zur Ruhe gesetzt.
Eigentlich hätte er in Paris Briefträger werden sollen. Aber Montmartre war spannender als sein Zustellbezirk, also ließ er sich als Briefträger vertreten, um die Kunstwelt erkunden zu können. Als er dann in die Provinz versetzt werden sollte, quittierte er den Dienst.
Als er anfing, war Scherenschnitt noch eine anerkannte Kunstform, und Matéos beherrschte sie bald perfekt. Während ich mich mit ihm unterhielt, schnipselte er in wenigen Sekunden ein perfektes Selbstporträt. „Ich kenne meine Rübe“, grinste er.
Er hat im Laufe der Jahrzehnte viele Prominente porträtiert. Henry Kissinger, Helmut Kohl, Willy Brandt, Lew Kopelew, Barbara Stamm. Letztere kannte er gar nicht. „Irgendjemand sagte, die ist wichtig, also habe ich es gemacht.“ Das Bild von Barbara Stamm hat er deshalb immer nur ausgestellt, wenn er seine Bude in Unterfranken aufbaute.
Er war im Fernsehen, als dort Rudi Carrell und Chris Howland den Ton angaben. In den USA wollte ihn ein Manager groß rausbringen, im Rumänien Ceaucescus wäre er beinahe für zwölf Jahre hinter Gittern gelandet, weil er keine Papiere hatte. In den 1970ern ging er auf die Kanaren, ein altes Zeitungsbild zeigt ihn auf den Händen laufend. „500 Kilometer habe ich in meinem Leben auf den Händen zurückgelegt“, erzählte Matéos, und spätestens da war klar, dass das Fabulieren auch zu seinen Talenten gehörte.
„Auf den Kanaren nannten sie mich den Millionär“, erzählte er, die Geschäfte liefen gut. 1983 stand er sogar im Guiness-Buch der Rekorde: 485 Scherenschnitte in drei Stunden, das hatte bis dahin noch niemand geschafft.
Doch zuletzt liefen die Geschäfte nicht mehr so gut. Um die Kunst der Silhouette zu würdigen, muss man innehalten und ein wenig Fantasie aufbringen. Mehr Fantasie jedenfalls, als man braucht, wenn man das eigene Antlitz per Internet in eine Comicfigur, etwa der „Simpsons“, umwandeln lässt.
Ich habe das spaßeshalber übrigens auch mal versucht. Der Rechner hat dazu wesentlich länger gebraucht als Jacques Matéos für ein gutes Dutzend Scherenschnitte. Und ähnlich war es mir auch nicht.