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Schweinfurt
Mehr Licht, Luft und Sonne für Schweinfurt: Was die Gartenstadt schon immer ausmacht
Der Entwurf für eine 'Straßenflucht' in der Schweinfurter Gartenstadt - eine Idee von Theodor Fischer, 1919.
Foto: Architekturmuseum der TU München | Der Entwurf für eine "Straßenflucht" in der Schweinfurter Gartenstadt - eine Idee von Theodor Fischer, 1919.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 21.12.2024 02:34 Uhr

Stadtluft macht Menschen nicht zwangsläufig frei, im Schatten der Schornsteine: Seit Beginn der Industriellen Revolution hauste die Arbeiterschaft meist in trostlosen Massenquartieren. Theodor Fischer war Stararchitekt im Kaiserreich und der Weimarer Republik. Der gebürtige Schweinfurter, Jahrgang 1862, versuchte den Missständen Abhilfe zu schaffen, am Übergang zwischen dem Historismus, der die "gute alte Zeit" architektonisch konservieren wollte, zur Moderne.

Rund 140 Gäste folgten zwei Vorträgen in der Rathausdiele: Es ging um den größeren Blickwinkel auf Fischer und die Gartenstadt-Idee zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zwei Fachleute des Instituts "Entwerfen im Bestand und in der Denkmalpflege" der Technischen Universität (TU) Graz befassten sich mit dem Stadtplaner, der in Schweinfurt die Schulbank gedrückt hat: Leiter Professor Matthias Castorph und Svenja Hollstein.

Ein Blick auf die Gartenstadt, aus Sicht zweier Stadtbau-Experten der Universität Graz: Professor Matthias Castorph (von links) und Svenja Hollstein mit Gregor Metzig, Leiter des Schweinfurter Stadtarchivs.
Foto: Uwe Eichler | Ein Blick auf die Gartenstadt, aus Sicht zweier Stadtbau-Experten der Universität Graz: Professor Matthias Castorph (von links) und Svenja Hollstein mit Gregor Metzig, Leiter des Schweinfurter Stadtarchivs.

Als 1917, gegen Ende des Ersten Weltkriegs also, der Bauverein Schweinfurt als Genossenschaft gegründet wurde, war Wohnraum für Arbeiterfamilien knapp. In den 1920ern entstand gemäß Fischers Plänen die Schweinfurter Gartenstadt, im Geist einer weltweiten Bewegung: Als Vordenker gilt der britische Sozialreformer Sir Ebenezer Howard.

Es ging um Selbstversorgung und kollektives Wohnen im Grünen, für eine darbende Bevölkerung, die vom Dorf in die Stadt strömte. Oder an den Stadtrand: Urbanes und ländliches Flair sollten sich dort verbinden, anstelle trister, eintöniger Mietskasernen und Straßenschluchten.

Ein Mehrfamilienhaus der Mustersiedlung, aufgenommen 1929.
Foto: Stadtarchiv Schweinfurt | Ein Mehrfamilienhaus der Mustersiedlung, aufgenommen 1929.

Oberbürgermeister Sebastian Remelé erinnerte daran, dass es neben den Behörden der Weimarer Republik auch die Stadt und Hospitalstiftung war, die das Projekt Gartenstadt mit Flächen ermöglicht habe. Förderer waren Industrielle wie Ernst Sachs oder Engelbert Fries.

Der Bauverein habe damals das Versprechen abgegeben, sich 150 Jahre lang um die Häuser zu kümmern, stellte Remelé fest. Aufsichtsratschef Ralf Hofmann gab nonchalant zu, dass manch Arbeiterhäuschen schon nach wenigen Jahrzehnten marode geworden sei.

Kern der Gartenstadt als Denkmal: Das begeistert nicht alle

Der historische Kern der Gartenstadt steht mittlerweile auf der Denkmalliste, was angesichts des Renovierungsbedarfs nicht nur für Begeisterung sorgt. Wie fern ist heute Fischers Denken - das ein zeitgenössischer Kritiker laut Wikipedia schon mal als "fränkisch verknödelt" bezeichnet hat? Gregor Metzig vom Stadtarchiv, das in Kooperation mit dem Architektenverein eingeladen hatte, wies darauf hin, dass durch den Pionier eine ganze Stadtplanergeneration geprägt worden sei.

Kurz vor seinem Tod 1938 legte sich Fischer mit den Nazis an, als er den frischen Bauhausstil verteidigte. Die Idee der begrünten Gemeinschaftssiedlung lebte später im israelischen Kibbuz weiter, auch daran erinnerte Metzig.

Was die Schweinfurter Gartenstadt mit Rom zu tun hat

"Licht, Luft und Sonne": Das war das, was Gartenstädte Anfang des vergangenen Jahrhunderts bieten sollten, so Svenja Hollstein. Fischer sei es um Anpassung an Bestehendes gegangen, anstelle der Umsetzung von Dogmen oder formaler Ideen.

"Harten Realismus, Hingabe an das Seiende, Dienst am Wirklichen", forderte er 1926. Die Ingenieurin zeigte am Beispiel der Piazza di Sant`Ignazio in Rom, wie sich öffentliche Räume durch Gebäudeanordnung spannend gestalten lassen.

"Stadtbaukunst" stand um 1900 hoch im Kurs, als sich Städte wie München ins Umland hinaus vervielfachten. Theodor Fischer gestaltete die Hauptstadt maßgeblich mit, nicht einheitlich, sondern per Staffelbauplan, sorgte für eigenständige Quartiere und versetzte Baukörper, für abwechslungsreiche Blick- und Straßenführung. Elemente, die sich auch in der Schweinfurter Gartenstadt finden.

Die Schweinfurter Gartenstadt aus der Flugzeugperspektive, 1938.
Foto: Stadtarchiv Schweinfurt | Die Schweinfurter Gartenstadt aus der Flugzeugperspektive, 1938.

Professor Matthias Castorph stellte ein weiteres Fischer-Projekt vor: Gmindersdorf bei Reutlingen, eine Arbeiterkolonie, die ab 1903 im Auftrag des Textilunternehmens Ulrich Gminder emporwuchs. Verbundene Doppelhäuser, Fachwerk und versetzte Eingänge brachen mit den Konventionen der damaligen Architektur.

Es gab eine "Dorfmitte" und den sogenannten Altenhof, in Hufeisenform: Mitarbeiter Bruno Taut verewigte sich später mit der ähnlichen Hufeisensiedlung Britz in Berlin, heute eine Ikone des sozialen Wohnungsbaus.

Ehemalige Anwohner der Gartenstadt erinnern sich

"Es geht nicht darum, Retro-Verhältnisse zu zementieren", betonte Castorph in der Debatte mit Blick auf den Ensembleschutz für Teile der Gartenstadt. Moderne Architektur sollte auf dem aufbauen, was bereits vorhanden ist, so der Stadtplaner - gemäß aktuellem Stand der Technik, ohne dabei ästhetisch aus der Reihe zu fallen.

Ehemalige Anwohner erinnerten sich an das Leben in der Ur-Gartenstadt, das, mit WC über dem Hof, nicht nur sozialromantisch war. Allerdings: "Es herrschte eine besondere Atmosphäre", lobte Bernd Suckfüll das Werk von Fischer. "Der Mann hat sich etwas dabei gedacht." Diese Atmosphäre, mit "Schleichwegen" für die Kinder und freiem Himmel, sollte man bewahren.

 
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