Antibiotika gegen Durchfall und Nabelentzündung, Betäubungsmittel zur Enthornung, ein Medikament gegen Selenmangel: In sechs Fällen soll ein Tierarzt aus dem Kreis Main-Spessart einem Milchviehhalter aus dem Landkreis Schweinfurt zwischen September 2011 und Juli 2012 Medikamente für die Behandlung von 42 Kälbern abgegeben haben, die nicht mehr in seinem Bestand waren.
Dem Tierarzt droht Entzug der Approbation
Das ist für den 60-jährigen Tierarzt zum ernsten Problem geworden. Das Amtsgericht Schweinfurt hatte ihn im Oktober 2014 wegen unerlaubter Abgabe von Arzneimitteln für zur Lebensmittelgewinnung bestimmte Tiere zu einer Geldstrafe von 27 000 Euro (180 Tagessätze a 150 Euro) verurteilt worden. Zugleich läuft laut seinen beiden Anwälten bereits ein Approbationsentziehungsverfahren gegen ihn.
Der Angeklagte legte Berufung gegen das Amtsgerichtsurteil ein
Der Tierdoktor legte Berufung ein: das Amtsgerichtsurteil sei rechtsfehlerhaft mit einseitiger Sichtweise zu seinen Lasten. Auch die Staatsanwaltschaft legte Berufung ein mit dem Ziel einer härteren Bestrafung. Der Angeklagte sei seiner hohen Verantwortung nicht gerecht geworden. Also wurde der Prozess am Dienstag in zweiter Instanz vor dem Landgericht neu verhandelt.
Die Kernfrage: Wie kann es sein, dass der Angeklagte in sechs Fällen für insgesamt 42 Kälber Arzneimittel an den Viehhalter abgegeben hat, obwohl die Tiere zum Zeitpunkt der Behandlung entweder bereits verkauft oder verendet waren. Das ist - sozusagen als Zufallsfund – bei einer umfassenden Betriebsprüfung aufgefallen, die aufgrund von Antibiotikarückständen in der Tankmilch dieses Betriebes durchgeführt wurde.
Ohne Ohrmarken-Nummer kein Überblick über die behandelten Tiere?
Erst nach sehr eindringlicher Befragung durch den Oberstaatsanwalt kam heraus, dass der Angeklagte die erkrankten Tiere eben nicht individuell anhand der Ohrmarken identifiziert, behandelt und bei der Nachkontrolle sicher wiedererkannt hatte. Laut Anklagevertreter hatte er damit überhaupt keinen Überblick über seine „Patienten“: Wie hätte er ein Kalb bei der Nachuntersuchung auch wiedererkennen können, wenn nicht an seiner Ohrmarke?
Von 22 zur Enthornung vorgesehenen Kälbern 16 nicht mehr im Bestand
Ein besonders anschauliches Beispiel dafür ist der Fall Nummer sechs. Der Arzt gab im Februar 2012 für 22 Kälber ein Medikament zur Enthornung ab, von denen laut Register 16 der Tiere schon nicht mehr vorhanden waren. Der Angeklagte konnte das nicht erklären.
An keinem der sechs Medikamentenverabreichungstermine waren so viele Kälber im Bestand, wie der Tierdoktor behandelt haben will. An einer Stelle räumte er bei der Hauptverhandlung vor dem Berufungsgericht er ein, dass er die tatsächlich behandelten Tiere bei der Nachschau, ob das Medikament wie gewünscht wirkt, zum Teil nicht identifizieren konnte.
Der Sorgfaltspflicht "wahrscheinlich nicht richtig" nachgekommen
Er habe sich dabei auch auf Angaben des Landwirts verlassen und sei seiner Sorgfaltspflicht damit „wahrscheinlich nicht richtig“ nachgekommen: „Ich bin vielleicht ein zu gutmütiger Trottel.“ Ohne Identifizierung anhand der Ohrmarken könne ein Arzt nicht wissen, welche Tiere er behandelt habe, sagte als Zeugin die Veterinärmedizinerin des Landratsamts Schweinfurt, die den Betrieb 2012 genauer unter die Lupe genommen hatte.
Medikamentenüberschuss kann der Halter nach eigenem Gutdünken einsetzen
Dieser war damals zum zweimal Mal wegen Antibiotika-Rückständen in der Tankmilch aufgefallen. Die Ärztin sagte auch: Medikamente für mehr Tiere als da sind, könne der Halter ohne ärztliche Verordnung und Kontrolle nach eigenem Gutdünken im Betrieb einsetzen. Dieser Verdacht steht im Raum.
Der Vorsitzende Richter will vor einer Entscheidung noch einen Sachverständigen zu der Frage hören, ob ein Tierarzt die Behandlungskontrolle vornehmen muss. Das Verfahren wird am Donnerstag, 28. April, um 14 Uhr fortgesetzt.