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Schweinfurt
Mathias Tretter mit völkisch für Anfänger
Nazis & Schmollmund: Mathias Treter befasste sich in der Disharmonie mit den Auswirkungen der Popomoderne.
Foto: Uwe Eichler | Nazis & Schmollmund: Mathias Treter befasste sich in der Disharmonie mit den Auswirkungen der Popomoderne.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 05.01.2019 02:15 Uhr

Wir schreiben das Jahr 2122. Würzburg wurde von "Google" abgerissen, um Platz für weitere Server zu schaffen. Als das erste selbstfahrende Auto durch die Geburtsstadt des 150 Jahre jungen Mathias Tretter gekurvt ist, wurde es noch mit Bocksbeuteln beworfen. Nun ist die ganze Welt digital geworden, dank der Internetgiganten. Die schwache menschliche Natur von einst wurde optimiert oder wegrationalisiert: Kinder schlüpfen aus Kunststoffbehältern, unsterbliche Menschen flirten mit smarten Küchengeräten. Jeder Slip ist intelligenter als der Träger.

Die Nerds an der Spitze von Amazon, Google, Facebook & Co basteln schon heute an der "transhumanen" Welt des 22. Jahrhunderts: eine Leben, das ohne Tod, aber mit unendlich viel Freizeit, womöglich gar nicht lebenswert ist? Egal. Geschlechtsverkehr zum Beispiel ist längst ein Auslaufmodell. Bei Kabarettist Tretter schon seit dem Jahr 2017, da bekam er eine Brille. Ein Gestell, das wenigstens intellektuell aussieht, sogar zu Markus Lanz wurde er schon eingeladen. Nun steht der Spötter auf der Bühne der randvollen Disharmonie und blickt mit Andy Warhol-Frisur und rotgeschminkten Crossgender-Lippen in die Glaskugel: "Ein Künstler muss sich ständig neu erfinden." Wie die übrige Menschheit offenbar auch.

Echtes Opium für das Volk 

"Pop" nennt sich das Programm des Wahl-Leipzigers, diesmal ohne Nachgetretter, dem Jahresrückblick: "Ich will nicht über Donald Trump reden. Ich bin selber Komiker, ich rede doch nicht über die Konkurrenz". Das mit dem Lippenstift ist weniger "homo" als Hommage an den 2016 verblichenen David Bowie. Seitdem ist alles Pop, vor allem die Politik. Wo dank des Populismus das "Zeitalter des Amateurs" in voller Blüte steht. "PoP" nennt sich auch die Protestpartei von Kumpel Ansgar, der als ewiger Philosophiestudent einen Uni-Job bekommen hat, als Hausmeister. Seine "Partei ohne Partei" fordert echtes Opium (Koks, Cannabis) fürs Volk und Nietzsches Atheismus, im Kampf gegen islamischen (jüdischen, christlichen) Fundamentalismus. Vielleicht gibts dafür ja sogar Rubel aus Moskau? Die Russen zahlen Wahlkampfkostenerstattung wenigstens schon vor den Wahlen. Der Slogan "Der Russe kommt" hat sich bislang aber ebensowenig bewahrheitet wie "Die Bahn kommt."

Der Postpost- oder Popomoderne ist alles "scheißegal". Bio-Deutsche laufen in Freilandhaltung herum. Rassisten nennen sich "Ethnopluralisten", Identitäre leugnen die Wandelbarkeit des Individuums. Dabei könnte selbst ein Griesgram wie Thilo Sarrazin mit etwas guter Laune noch zum Typ "Karl Dall" mutieren. Linguist Tretter präsentiert "Völkisch für Anfänger", die Rest-Sprache der Artikulationgestörten, in der es nicht einmal einen Plural gibt. Es heißt nicht mehr "Die Investmentbanker kassieren Topboni", sondern "der Afghane, der Syrer, der Jude" ist an allem schuld. Eigentlich müssten die rechten Hetzbürger froh sein, wenn immer nur "einer" zu ihnen kommt, flachst der gelernte Germanist.

Wie eine Tomatendose von Warhol entzieht sich das Trettersche Pointen-Popcorn jeder Art von Deutung, die über die Abbildung banaler Realität hinausgeht. "Pop" bietet ebenso deliziöse wie maliziöse, aber auch schwere Feiertags-Kost, in Zeiten von Übersättigung und Sinnleere. Erlösung verspricht die digitale Selbstvergöttlichung des Menschen, im nahenden Smarthome-Paradies, das allein von dieser Welt sein wird. Oder erneute Unterwerfung vor dem Göttlichen, in seligem Irrationalismus?

Am Ende verdunkelt sich die Bühne, schwebt glaubenstrunkener Gesang auf Kirchenslawisch empor. Eine Zugabe kann es nach so einem russisch-orthodoxen Choral nicht mehr geben.

 
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Kommentare
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  • eboehrer@gmx.de
    Ich finde den Beitrag von Herrn Eichler sehr gut.
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  • alfred-breunig@gmx.de
    Könnte der Kritiker hier nicht so schreiben, dass es nicht alle, aber zumindest viele verstehen? Am Ende ein Bombardement an Fremdwörtern, die das Lesen zur Qual werden lassen.
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  • Lebenhan1965
    Wie soll

    der Kritiker jetzt die Sprache Tretters denn jetzt vereinfachen ohne den Wert des Vortrags zu zerstören?
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  • alfred-breunig@gmx.de
    Der Kritiker wählt seine Worte doch selbst und zitiert nicht aus Tretters Vortrag.
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