Nach ein paar Jahren Pause ist Kabarettist Mathias Tretter endlich wieder mit seinem satirischen Jahresrückblick "Nachgetrettert" zu Gast in der zweimal ausverkauften Disharmonie – gewohnt bissig, hochpolitisch und pointiert mit einer Frisur, die nach den letzten Wahlen in Bayern und Hessen geradezu en vogue ist.
Er ist mit dem Zug gereist und angekommen, ist ein Auserwählter also, wie er witzelt, der ansonsten an der Bahn kaum ein gutes Haar lässt. Verwundert ist der gebürtige Franke, der heute mit seiner Familie in Leipzig lebt, über die Leidensfähigkeit der doch zumeist witzigen Bahnreisenden, die wohl, vermutet er maliziös grinsend, gerne im Kollektiv Brüllyoga praktizieren.
Die alltäglichen Probleme eines Kabarettisten
Überhaupt ist so ein satirischer Jahresrückblick schwierig geworden, findet Tretter. Das kleinste Thema schon verursachte 2023 den maximalen Krawall. Was früher als Witz galt, wird heute als Terrorangriff gewertet. Alles wird auf die Waagschale gelegt und jeder weiß, meist aus einer Doku, alles besser: Von der richtigen Militärstrategie in der Ukraine, über die Erderwärmung und Lösung der Migrationsfrage bis hin zur Bildungspolitik und dem Funktionsprinzip der Habeck‘schen Wärmepumpe – "die Großtante des Heizpilzes" und einer der Running Gags im Programm.
Früher war einfach alles schöner: "Alexa" hieß zum Beispiel noch Mutti. Einst verbreiteten die Deutschen "Angst und Schrecken", heute werden wir, stellt der Kabarettist lakonisch fest, zu "Europas irren Verwandten", sind quasi diese eine Tante, deren Fleischsalat auf der Familienfeier nie gegessen wird.
Die einen haben Strom, die Deutschen die Moral, ob uns allerdings der "E-Thik" mit Nullreichweite irgendwo hinbringt, ist fraglich.
Die Fettnäpfchen des Jahres 2023
Es hagelt harte Fakten zu den Fettnäpfchen von 2023: Baerbocks "Diktator", Lamprechts Silvesteransprache und der Doppelwumms von Scholz. Dessen Augenklappe, vermutet Tretter, ist der Kuckuck vom Gerichtsvollzieher für das 60Milliarden-Loch im Haushalt der Ampel, die übrigens längst von der Schuldenbremse überfahren wurde. Doch neben den Ampel-Koalitionspartnern Tick, Trick und Track bekommen natürlich auch Merz, Söder, Aiwanger, Sahra Wagenknecht und die Polit-Opas Biden, Trump und Prinz Charles ihr Fett weg. Der Parteitag der in der Führungsetage tatsächlich mehrheitlich mit Wessis besetzten AFD: für den Kabarettisten ein Polterabend. Verzweifelt fragt Tretter das Publikum: "Wo sind denn die Profis?".
Das Bild, das der Jahresrückblick für Deutschland zeichnet ist erschreckend düster: miese Ergebnisse bei der Pisa-Studie und im Fußball, Schlusslicht bei Elektromobilität und Digitalisierung, Fachkräftemangel und eine marode Bundeswehr, doch wenigstens darüber ist Tretter froh als "alter Pazifist". Die Gesellschaft ist überaltert; der Übergang vom "jungen Hengst" zum Pflegefall nahtlos, dazwischen machen Senioren auf E-Bikes die Gegend als unkontrollierte Meteoritenstürme unsicher, während sich die Jugend lieber träge auf die Straße klebt, statt aktiv zu werden.
Das Publikum ist begeistert und der Applaus zum Ende des zweistündigen Programms frenetisch. Mit einem tröstlichen Blick in die Zukunft bis 2070 verabschiedet sich der Kabarettist, denn es gibt, wie er sagt, seit Jahren eine Aufbruchstimmung in Deutschland: "Überall geht’s morgen los und wenn nicht, dann kehrt zumindest wöchentlich die Euphorie wieder".
Mathias Tretter jedenfalls fängt 2024 ein neues Leben an. Gerne, solange er dabei weiter wie gewohnt "nachtrettert".