Der DGB-Regionsvorsitzende und Sprecher des Bündnisses „Schweinfurt ist bunt“, Frank Firsching, hat am Ende des Vortrags von Martina Renner gesagt, was viele der über 60 Zuhörer dachten: „Ich bin vom Ausmaß entsetzt.“ Im Saal der Gewerkschafts-Zentrale am Zeughaus hatte die thüringische Landtagsabgeordnete der Linken auf Einladung des Bündnisses über die Recherchen des wegen der NSU-Morde und der Rolle der Verfassungsschützer gebildeten Landtagsausschusses in Erfurt gesprochen.
Sie war für den verhinderten MdL Bodo Ramelow eingesprungen, als stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses und innenpolitische Sprecherin ihrer Fraktion war sie aber ein sehr guter Ersatz. Der Saal im DGB-Haus war voll und prominent besetzt. Unter den Zuhörern sah man einige Pfarrer, viele Gewerkschafter, bekannte Lokalpolitiker der Grünen, Linken und SPD und auch viele junge Interessierte. Die Polizei war aus Sicherheitsgründen wieder mit zivilen Kräften präsent.
Die Entstehung heute „hoch aktiver“ Gruppen in Thüringen – als Beispiele nannte sie mit Saalfeld, Rudolstadt oder Sonneberg dem Frankenland nahe Orte – lastete Renner dem laschen Umgang der Polizei und Justiz gleich zu Beginn der Wende an. Aber auch danach sei eher vertuscht und verharmlost, statt aufgeklärt worden. Verwunderlich sei das nicht, weil Polizisten selbst in der Neonaziszene aktiv dabei waren, sagte Renner.
Der bekannte Neonazi im Heimatschutz Thüringen, der spätere Verfassungsschutzspitzel Tino Brandt etwa habe 35 Ermittlungsverfahren schadlos überstanden. Eine Schuld schob die MdL aber auch Kommunen zu, die Neonazis etwa in Jugendclubs „gewähren ließ“. Enge, auch persönliche Verbindungen nach Bayern und insbesondere nach Franken habe es gleichwohl sehr früh gegeben. Dafür nannte Renner zahlreiche Beispiele. Aber auch Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hatten beste Kontakte. 1996 waren sie bei einem Aufmarsch in Aschaffenburg dabei, Beate Zschäpe lebte teilweise in Bayern, listete Renner auf. Reagiert hätten bayerische Verfassungsschützer und die Polizei aber nicht.
Kontakte in die rechte Szene beider Länder haben „ziemlich sicher bestanden“, sagte Renner. Das den Nürnberger Nachrichten zugespielte NSU-Bekenner-Video sei der Zeitung nicht mit der Post geschickt, sondern „dort eingeworfen worden“. Die heutigen Neonazi-Gruppen bezeichnete Renner als überaus mobil, Thüringer Nazis träten in Bayern auf und umgekehrt.
Ausführlich schilderte Renner die Unterstützung der Neonazi-Szene durch die Verfassungsschutzbehörden aus Thüringen und Bayern. Das anfängliche Thule-Mailbox-System etwa, mit dem die Behörden glaubten, über dieses System mit V-Leuten in Verbindung treten zu können, habe der bekannte Neonazi Tino Brandt mit Hardware der Verfassungsschützer aufgebaut. Brandt nannte sie nur ein Beispiel dafür, wie Spitzel „aus dem Ruder laufen“. Und das „nicht nur in Thüringen“.
Ihr Landtagsausschuss, der bereits 28 Mal tagte, weiß heute, dass der Verfassungsschutz ihres Landes unter anderem den Thüringer Heimatschutz nicht nur logistisch unterstützt, sondern die Polizei vom Verfassungsschutz auch sabotiert worden sei. Auch Handys und Unterlagen aus polizeilichen Ermittlungsakten hätten Verfassungsschützer „zur Verfügung gestellt“. Beispielsweise Razzien seien so ins Leere gegangen. „Da kriegt man im Nachhinein eine Wut, wenn man von der Bespitzelung der demokratischen Linken liest“, der zugleich vorgeworfen worden sei, „das alles nur aufzubauschen“.
Renner bezeichnete den Verfassungsschutz Thüringens in ihrem Fazit „einen Fremdkörper der Demokratie“, der abgeschafft werden müsse, weil es „gefährlicher ist, das nicht zu tun“.
Jürgen Wilk vom Schweinfurter Bündnis und Renner waren am Wochenende zuvor auch zu Gast beim Treffen der Bunten-Bayern-Bündnisse in Nürnberg, wo von den „gleichen Erfahrungen“ (Wilk) mit dem Bayerischen Verfassungsschutz berichtet worden sei. Kritik übten beide aber auch an der bayerischen Polizei, die in die falsche Richtung ermittelt habe, obwohl es eindeutige Hinweise auf das „bundesweit aktive Neonazi-Netzwerk NSU“ (Renner) gab. Die seien aber nicht beachtet worden. Es erstaune, dass nach wie vor vertuscht werde, zugegeben werde nur, „was schon bekannt ist“, so Renner. Die Familie eines der ermordeten fünf Opfer in Bayern werde noch immer bespitzelt, auf eine Entschädigung warte diese Familie bis heute.