Als sich Martin Steinbach 2004 nach 13 Jahren von seiner Christuskirche auf der Maibacher Höhe verabschiedete, um Dekan in Bad Tölz zu werden, drückten viele ihr Bedauern über „Steinis“ Weggang aus. Steini nannten – fast – alle den humorvollen, unkomplizierten und doch zielgerichteten Pfarrer. 1997 war das Dekanat Bad Tölz erst gegründet worden, weil die steigende Zahl an Protestanten – um die 140 000 – und die weiten Wege zwischen den Dekanaten Weilheim und Rosenheim die evangelischen Landeskirche dazu zwangen. Ein Dutzend Kirchengemeinden bildet jetzt das Dekanat Bad Tölz, rund 35 000 evangelische Christen gibt es zwischen Wolfratshausen, Bad Wiessee, Tegernsee und Miesbach. Ihr oberster Kirchenmann ist nun im achten Jahr der Schweinfurter Martin Steinbach.
Die Kirche rät ihren Seelsorgern zu einem Wechsel nach zehn bis 15 Jahren. Steinbach, damals schon stellvertretender Dekan, bewarb sich zunächst in Kitzingen. Als daraus nichts wurde, klopfte er an die Tölzer Kirchentüren an – „weil ich mal was anderes machen wollte“.
Der Empfang im Dekanat gleich neben dem Kurpark und den großen Kliniken ist herzlich. Steinbach hat sich nicht verändert, sofort stellt sich das hintergründige Grinsen ein, diese Offenheit im nie oberflächlichen Gespräch. Den Tapetenwechsel hat er nicht bereut, wenngleich er, der Franke, mittlerweile schon eine sehr spezielle Meinung über dieses immer noch ländlich geprägte Stückchen Oberbayern hat.
70 Prozent sind katholisch, nur rund 15 Prozent evangelisch, und man lebt das Bayerische. Dirndl und Lederhose werde nicht nur aus Tradition getragen, sondern auch, „um dazuzugehören, das ist ansteckend“, sagt Steinbach. Gar nicht negativ gemeint, spricht er vom derart ausgedrückten „Mir-san-mir-Gefühl“. Das sei identitätsstiftend und deshalb verlockend, aber es bedeute neben der Geborgenheit eben auch Enge. „Ich habe jedenfalls noch keine Lederhose“, sagt der Dekan. Die drei Steinbach-Kinder haben sich damals schnell eingelebt. Benedikt (19) tourt im Rahmen eines Travel- und Workjahrs durch Neuseeland. Judith (22) studiert – angesteckt von der Partnerschaft des Dekanats mit Palästina – unter anderem Arabistik. Nur Julius (14), der bis zum Stimmbruch der „einzige Tölzer beim Tölzer Knabenchor war“ (Steinbach), ist noch zuhause in Bad Tölz. Steinbach selbst hat zwei Arbeitsfelder: das des Dekans mit seinem Amtssitz im Schützenweg und das des Pfarrers der Tölzer Johannes-Kirche in der Schützenstraße gegenüber.
Wie seinerzeit in Schweinfurt ist der 56-Jährige für den angegliederten Kindergarten zuständig. Darum auch hat er den erfolgreichen Zappelphilipp-Gottesdienst mitgenommen. Das Angebot in Johannes kommt gut an, wenngleich es die gewachsenen Strukturen wie in der Gartenstadt, Haardt und der „reingewachsenen Eselshöhe mit den vielen jungen Familien“ in diesem Landstrich Bayern nicht gibt.
Steinbach spricht wegen der vielen Zuzüge und Touristen, die freilich „unsere Kirchen füllen“, von einem Mix, der noch zusammenwachsen müsse. Um für sie die richtigen Angebote zu finden, macht Steinbach „Probebohrungen“, wie er das nennt. Die ebenso erfolgreiche Schweinfurter Stammbuch-Reihe hat er angefangen, unter anderem war Pfarrer Jürgen Fliege zu Gast. Im Moment ruht sie.
Eine erfolgreiche Probebohrung ist ein spezielles Angebot für Schulkinder. „Kein Basteln mit der Schere, sondern einmal im Monat eine angemessene eigene Verkündigung“. Es fehlen ihm Bands wie die Living Colors. Zithern und Harfen gäbe es genug, aber das habe seine Grenzen.
Aus der Liebe zu seiner Geburtsstadt macht Steinbach kein Hehl, er drückt sie sogar in den Nummernschildern seiner Autos aus: „Vielleicht, weil ich da geboren bin, außerdem hatten wir da alles.“ Bad Tölz und Umgebung ist ein schöner Fleck Erde, aber es ist etwas anderes, ob man hier arbeitet und wohnt oder Urlaub macht, fügt er an.
Im Jahr 2014 wirkt er zehn Jahre in Bad Tölz. Nach der kirchlichen Zeitrechnung wäre da ein nochmaliger Tapetenwechsel angesagt. Steinbach überlegt eine Weile, rückt dann damit heraus, dass er sich eine einfache Pfarrerstelle in München zum Ausklang – bis 65 Jahre – durchaus vorstellen könne. Und danach? Eine Rückkehr nach Schweinfurt schließt er nicht aus. Allein der Eltern – sie leben heute im Augustinum – und einiger Freunde wegen kommen er und seine Frau Birgit ohnehin immer wieder und gerne nach Schweinfurt. Hier habe sich viel getan.
Dann spricht Steinbach über die fränkische Landschaft, die Weinberge, den Main: „Schweinfurt ist aus der Ferne betrachtet wirklich eine Heimat.“