Das Rathaus hat Kriege und Luftangriffe überstanden. Leichtsinn hätte das Wahrzeichen der Stadt 1959 fast zerstört. „Ein Funke fiel in den Staub der Jahrhunderte", titelte diese Zeitung am 22. April 1959 über den „schwärzesten Tag der Nachkriegsgeschichte“. Gemeint war der durch einen Installateur ausgelöste Rathausbrand zwei Tage zuvor.
Marga Wenzel war damals nicht nur dabei, sondern gemeinsam mit ihrer Schwester Renate die vermutlich Erste, die das Feuer entdeckte. Erzählt hat die heute 71-Jährige diese Geschichte öffentlich noch nie, nur im Freundeskreis.
Warum jetzt? „Weil einige bisher immer wieder aufgestellten Behauptungen einfach nicht stimmen“, sagt sie. Zuletzt erst wieder in einem großen Bericht in dieser Zeitung zum 57. Jahrestag. Das wolle sie „korrigieren“.
Aber der Reihe nach. Marga Wenzel und ihre Schwester Renate, damals 13 und 15 Jahre jung und mit Nachnamen Ort, hatten sich vom Zuhause in der Wilhelmstraße 16 wegen der Rotkreuz-Losbude auf den Weg zum Marktplatz gemacht.
Sie hatten das Geld für drei Lose in der Tasche und Marga das Versprechen ihrer Schwester, dass – sollten sie gewinnen – der Preis ihr Geburtstagsgeschenk wird. Marga hatte wenige Tage später am 28. April 1959 ihren 14. Geburtstag.
Mehr zufällig entdeckte die erst 13-jährige Marga das Feuer auf dem Rathausdach
Sie erinnert sich trotz der langen Zeit genau an einen fast menschenleeren Marktplatz. Es war gegen 18 Uhr. Während die Schwester die Lose kaufte, habe sie „mal kurz zum Rathaus geblickt“ und ein wenig Rauch auf der rechten Seite des Rathausturms gesehen.
Ihre Vermutung („Zigarettenrauch“) nannte Schwester Renate falsch. „Sie meinte gleich, dass es brennt“. Die Frau in der Losbude verwies, weil sie kein Telefon hatte, auf den Taxistand. Marga rannte hin, aber der Taxifahrer „glaubte mir erst nicht“.
Wegen der strengen Eltern rannten die Mädchen erst noch nach Hause
Was tun? Marga und Renate entschieden sich, nach Hause zu rennen. Auch weil die Eltern, Urban und Christine Ort, die Ausgehzeit auf 19 Uhr beschränkt hatten. Die Töchter berichteten vom Erlebten und durften mit elterlicher Erlaubnis zurück auf den Markt.
Der Taxifahrer muss mittlerweile reagiert haben, denn die Feuerwehr war eingetroffen und der Markt sei „voller Leute gewesen“.
Marga Wenzel streut an dieser Stelle ein, dass sie sich mit ihrem Anruf in der Redaktion nicht wichtig machen wolle. Aber der zum 57. Jahrestag im Tagblatt erschienene Bildbericht habe halt wieder Abläufe so beschrieben, wie sie nicht stattfanden.
Sie zitiert: „Schon kurz nach 20 Uhr sahen Passanten eine Rauchsäule über dem alten Rathaus aufsteigen. Die Gefahr wurde jedoch nicht richtig erkannt. Niemand alarmierte zunächst die Feuerwache. Die Feuerwehren wurden erst eine gute halbe Stunde nach dem Ausbruch des Feuers von einem Taxifahrer verständigt, der beim Vorbeifahren Rauch und Flammen aus dem Dachgeschoss schlagen sah“.
„Nein, das war nicht so“, sagt Marga Wenzel und blättert dabei in ihren Aufzeichnungen. Die Löscharbeiten begannen schon um 19.30 Uhr und der Taxifahrer sei nicht am Rathaus vorbeigefahren, sondern habe am Taxistand in Richtung Brauhaus auf Fahrgäste gewartet. „Der konnte den Rauch gar nicht sehen.“
Vielleicht lebt der Taxifahrer noch?
Marga Wenzel ist auch überzeugt, dass der Schaden damals geringer ausgefallen wäre, hätte der Taxifahrer sofort reagiert. „Vielleicht lebt er noch und kann das alles bestätigen“, sagt sie unter Hinweis darauf, dass er vielleicht 35 Jahre alt war.
Die Ursache des Brandes wurde damals schnell ausgemacht und damit auch das wegen Hitlers Geburtstag (20. April) kursierende Gerücht eines Sabotageaktes beendet: Der Geselle einer Installationsfirma war am Nachmittag mit Schweißarbeiten im direkt unter dem Dachstuhl liegenden Stockwerk des Rathauses beschäftigt.
Dabei entzündete sich ein Durchzugsbalken, den der Installateur mit einem Eimer Wasser löschte. Vermutlich hatten sich aber einige Funken in den Balkenritzen festgesetzt, die dort in besagtem „Staub der Jahrhunderte“ zu einem Brand auswuchsen, hieß es im damaligen Bericht im Schweinfurter Tagblatt.
Übrigens: Marga Wenzels Schwester Renate, die 26-jährig einem Krebsleiden erlag, hatte damals an der Los-Bude gewonnen: Eine Tüte Plätzchen. Die Hälfte habe ihre Schwester vielleicht wegen der Aufregung aufgegessen, ihr aber die andere Hälfte überlassen, lacht Marga Wenzel. Es war schließlich „mein Geburtstagsgeschenk“, sagt die heute in Dittelbrunn lebende Zeitzeugin des Rathausbrands von 1959.