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GEROLZHOFEN
Mahnung gegen das Vergessen
So sehen Stolpersteine aus: Wirklich darüber stolpern können Passanten nicht, wenn sie einmal verlegt sind. Der Begriff ist symbolisch gemeint.
Foto: Stefan Polster | So sehen Stolpersteine aus: Wirklich darüber stolpern können Passanten nicht, wenn sie einmal verlegt sind. Der Begriff ist symbolisch gemeint.
Norbert Finster
Norbert Finster
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:10 Uhr

Wie in rund 820 deutschen Städten und Gemeinden (zuletzt Frankenwinheim) hält nun auch in Gerolzhofen die Erinnerungskultur in Form von Stolpersteinen Einzug. Zum Gedenken an die ehemaligen jüdischen Mitbürger, die in dem Haus wohnten und dem NS-Terror zum Opfer fielen, werden in der Marktstraße 7 vor der dortigen Boutique drei dieser Symbole gesetzt. Es sind quadratische, mit einer Messingplatte besetzte Steine, auf denen Geburts- und Todesdatum der Opfer eingeschlagen sind. Sie stammen von dem Kölner Künstler Gunther Demnig.

Drei Gegenstimmen

Mit 18:3 (Gegenstimmen Markus Reuß und Burkhard Wächter von der CSU sowie Heinz Lorz von Bürger für Geo) sprach sich der Stadtrat am Montag im Rathaus von Rügshofen für einen Antrag des KulturForums auf Verlegung dieser Steine aus. Bei allen weiteren Anträgen wird nicht mehr der Stadtrat entscheiden, sondern das schriftliche Einverständnis der betroffenen Hausbesitzer. Für die ersten Stolpersteine liegt dieses Einverständnis vor. Das Ehepaar Bacher, das Eigentümer des Anwesens ist, gehört sogar zu den Unterzeichnern des Antrags durch das Kultur-Forum.

Stadtrat Burkhard Tebbe (SPD), der gleichzeitig Vorsitzender des Kulturforums ist, begründete den Antrag. Zwar gebe es in der Schuhstraße eine Gedenkstätte für die Opfer des Nazi-Terrors, aber bedingt durch den Standort in dieser Durchgangsstraße finde diese nur wenig Beachtung. „Die Stolpersteine hingegen liegen mitten unter uns, so wie die betroffenen Menschen mitten unter uns gelebt haben“, sagte Tebbe.

Opfer noch einmal getreten?

Heranwachsende Generationen könnten Fragen stellen, um sich über die grausamen Geschehnisse zu informieren. Das Senken des Kopfes zum Lesen der Inschrift sei zudem ein kleiner Akt der Ehrerbietung.

Nicht viel hält Tebbe von dem Einwand, die Opfer werden im Nachhinein auch noch mit Füßen getreten. Ein Nachkomme eines Opfers habe dazu zwar etwas makaber, aber treffend formuliert: „Wenn man sie nur mit Füßen getreten hätte, würden sie noch leben.“

Kosten entstehen der Stadt durch die Erinnerungszeichen so gut wie keine. Durch Patenschaften des SPD-Ortsvereins, geo-net und Kultur-Forum werden sie fast ganz gedeckt, versicherte Tebbe.

Zur Verlegung der Platten hat ein Nachfahre der Familie Lichtenauer-Henle sich bereit erklärt, aus Argentinien nach Gerolzhofen zu kommen.

Das Kultur-Forum meint schließlich, es stehe einer weltoffenen Stadt wie Gerolzhofen mit mehreren internationalen Partnerschaften gut zu Gesicht, in der Erinnerungskultur nicht hintanzustehen.

In der niveauvollen Diskussion im Stadtrat ging es vorwiegend drum, inwieweit die Hauseigentümer bei der Entscheidung über künftige Stolpersteine miteinbezogen werden sollen. Arnulf Koch (CSU) bescheinigte Burkhard Tebbe zunächst einen beeindruckenden Vortrag und sprach sich persönlich ebenfalls für ein Wachhalten des Gedenkens aus, auch wenn dieses Thema in seiner Fraktion umstritten sei. Vor der Verlegung von Stolpersteinen müssten Hauseigentümer allerdings ihr Einverständnis schriftlich erklären und genau informiert werden, was da hinkommt. Niemand solle stigmatisiert werden.

Erinnerung an Mitbürger, denen großes Unrecht geschehen ist, hält auch Thomas Vizl (Geo-net) für notwendig, zumal rechte Parteien immer noch aktiv sind. Mit seiner Meinung, Besitzern von betroffenen Anwesen kein Vetorecht gegen die Verlegung einzuräumen, stand Vizl allerdings alleine da. Vizl meint, wenn ein Besitzer nicht zustimme, könne leicht der Eindruck entstehen, er habe sein Haus unrechtmäßig erworben.

Nachdenken über Geschichte

Birgid Röder (Geo-net) indes verstand die Debatte nicht: Wer einem Stolperstein begegne, denke zuerst an die Geschichte und nicht daran, ob jemand ein Haus rechtmäßig erworben habe oder nicht. „Aus dieser Zeit sind wir heraus.“

Markus Reuß begründete seine Ablehnung genau mit dem Argument, die Opfer werden nun noch einmal mit Füßen getreten. Auch Juden würden das so sehen. Dem widersprachen Birgid Röder und Burkhard Tebbe. Charlotte Knobloch, ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, habe eine diesbezügliche Aussage zurückgenommen. Und Dr. Josef Schuster, Präsident des Landesverbandes der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern und Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Würzburg und Unterfranken, schrieb bereits 2006 an Stadtrat Thomas Vizl: „Allerdings ist es gerade der Stolperstein im Alltag, der in meinen Augen auch Menschen zum nachdenken bringt, die nicht unmittelbar ein Mahnmal, eine Gedenkstätte oder ein Museum aufsuchen würden.“

Scheitern vor acht Jahren

„Wenn die Sorge besteht, dass indirekt die Opfer durch die Stolpersteine mit Füßen getreten werden, so möchte ich anmerken, dass die Tritte den Menschen während des Holocaust Schmerzen bereiteten. Auch ein heftiger Tritt auf einen Stolperstein bereitet allenfalls demjenigen, der ihn verursacht, Schmerzen“, so Schuster weiter. Er schrieb das zu einem ähnlichen Antrag im Gerolzhöfer Stadtrat vor acht Jahren, der damals noch gescheitert war.

 
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