
Wenn Theaterleiter Christian Kreppel vor Beginn einer Vorstellung vor den Vorhang tritt, dann verheißt es meistens nichts Gutes. Und darum hat er beim Gastspiel des Bayerischen Staatsschauspiels gleich abwehrend und beruhigend die Hand gehoben. Er wolle das nachliefern, was er bei der Absage von Pinters „Hausmeister“ noch nicht sagen durfte: Hauptdarsteller Hans-Michael Rehberg ist schwer erkrankt. Ihm galten Kreppels mit Beifall bedachte Genesungswünsche.
Innerhalb kürzester Zeit haben die Münchner für Ersatz gesorgt. Und das war mehr als Ersatz. Ein Theatererlebnis. Fünf Lastzüge waren erforderlich, um das Bühnenbild (Maja Ravn) nach Schweinfurt zu bringen. Bis hoch hinauf in den Schnürboden erhob sich nun eine Pyramide aus vielleicht 40 oder 50 Betten, wild übereinander geworfen, mit schlaffen Matratzen, strapazierter Wäsche.
Hier zeigt Katrine Wiedemann Christopher Hamptons „Gefährliche Liebschaften“. Das Stück basiert auf dem Briefroman Choderlos de Laclos, der vor der Französischen Revolution die (Sexual-)Moral des Adels dermaßen scharf kritisierte, dass sein Buch lange Zeit verboten war.
Es geht um Lust und Leidenschaft. Es geht um Verführung, um die Gier, andere zu beherrschen, an sich zu ziehen und dann erbarmungslos fallen zu lassen. Das ist das Leben der Marquise de Merteuil, die ihren ehemaligen Geliebten Valmont dazu bringt, die Verlobte eines ihrer anderen Verflossenen, die Klosterschülerin Cécile, zu verführen, um billig Rache zu nehmen.
Wiedemann nimmt den Stoff aus der Zeit, erzählt ihn mit einer Menge komödiantischer Einfälle, bricht den Fluss immer wieder einmal, wenn Cécile wie von einer Tarantel gestochen irre herumhüpft oder Philip Dechamps den Chavalier Danceny zum völligen Trottel macht.
Obwohl sehr viel in den Betten gelegen, gefummelt, gestöhnt und gehechelt wird, bleibt die Inszenierung merkwürdig frei von erotischer Ausstrahlung. Wiedemann geht es nicht darum und schon gar nicht um Sex, und so stecken ihre Frauen in strengen, aseptischen Strumpf- und Miederhosen. Ihr geht es um die Macht schlechthin, um das Spielen damit.
Michaela Steiger zeigt eine Marquise de Merteuil, die ihre Figuren eiskalt wie an Fäden zieht. Niemand ist ihr gewachsen, allenfalls Valmont, den Michele Cuciuffo als Latin Lover angeht, ein Zocker, der um des Eroberns willen erobert und dann auf die nächste Fuhre Urlauberinnen wartet. Friederike Ott ist eine Cécile in Kniestrümpfen und Chucks, ein Kind noch und doch schon interessiert, Genija Rykova eine Présidente de Tourvel, deren Prinzipienfestigkeit unter seinem Werben sehr schnell ins Rutschen kommt. Großartig, wie sie diesen inneren Kampf mit sich selbst führt.
Das dauert mehr als zweieinhalb Stunden, von denen keine Minute ermüdend ist. Einige Bravo-Rufe am zweiten Abend des Gastspiels.