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Schweinfurt
Löten, Hämmern, Schrauben im Kampf gegen die Wegwerfmentalität
Recycling im gemütlichen Ambiente: Elisabeth Sulzinger mit einer Geige, die ebenfalls repariert wurde.
Foto: Uwe Eichler | Recycling im gemütlichen Ambiente: Elisabeth Sulzinger mit einer Geige, die ebenfalls repariert wurde.
Uwe Eichler
 |  aktualisiert: 27.05.2022 02:23 Uhr

Das mit dem Repair Café im Pfarrzentrum St. Kilian hat sich herumgesprochen. Aus dem südindischen "Silicon Valley" Bengaluru, hierzulande besser bekannt als Bangalore, stammt der Mechatronik-Student, der Alois Karch sein Fahrrad vorbeischiebt. Irgendetwas stimmt mit der Bremse nicht, also wird das Hinterrad vom Zweirad-Spezialisten der Repariertruppe zerlegt.

Seit 2015 trifft sich die Schweinfurter Selbsthilfewerkstatt halbjährlich, anfangs in St. Anton. Eingeladen hat die "Ökumenische Umweltgruppe" des Dekanats, in Zusammenarbeit mit der Abfallberatung der Stadt. Der Kampf gegen Müllflut und Wegwerfmentalität ist kein Nischenthema für Idealisten mehr, seitdem die holländische Umweltaktivistin Martine Postma 2009 das erste Recycling-Café in Amsterdam eröffnet hat.

"Heute war's extrem", sagt Dekanatsumweltbeauftragte Emmi Sengfelder, die zusammen mit Georg Pfennig und Kristina Rumpel zum harten Kern des Organisationsteams zählt. 136 Werkstücke werden am Ende begutachtet oder repariert. Ein gutes Dutzend Reparateure schiebt ob des Andrangs Überstunden.

Von Spielzeug bis Nähmaschinen

Spielzeug, Textilien, Lampen, Nähmaschinen, Drucker, Schlagbohrmaschinen, es gibt nichts, was nicht wieder auf Vordermann gebracht werden könnte. Oft werden Erinnerungsstücke von ideellem Wert vorbeigebracht. Händeringend gesucht sind Fachleute. "Wir brauchen Elektriker, Feinmechaniker und Uhrmacher", sagt Sengfelder, "und Messerschleifer." Bei Computertechnik war Voranmeldung gewünscht. Es sei allgemein sinnvoll, sich vorab mit seinem Anliegen zu melden, sagt Ehemann Kurt Krause, dann könne man Ersatzteile und Werkzeuge bereithalten.

Alois Karch nimmt das Rad eines indischen Studenten unter die Lupe.
Foto: Uwe Eichler | Alois Karch nimmt das Rad eines indischen Studenten unter die Lupe.

Die gemischt-konfessionelle Kirchentruppe gilt als Pionier der Repair-Szene in der Region, mit zahlreichen Ablegern. Im Jahr 2022 darf sie sich bestätigt fühlen, in Zeiten weltweit strapazierter Lieferketten, teurer und knapper werdender Rohstoffe oder langer Wartezeiten, für einen Termin beim Handwerker.

Erfolgsquote liegt bei 50 Prozent

Trotz gestiegener Akzeptanz gibt es auch Rückschläge. Früher habe die Erfolgsquote noch bei zwei Dritteln der Objekte gelegen, sagt Emmi Sengfelder, nun bewege man sich wieder bei "Fifty-Fifty". Gerade kleine Elektrogeräte seien oft fein säuberlich verschweißt und nur mit Spezialwerkzeug zu bearbeiten.

Während bei größeren Produkten mittlerweile auf Recycelbarkeit geachtet werde, sehe es bei Kleinware immer noch schwierig aus, sagt die Dürrfelderin. Größter Feind ist die "geplante Obsoleszenz", das eingebaute Verfallsdatum, das Produkte aller Art schneller altern und obsolet lassen werden soll, im Dienste des Konsums. Wer gleich noch mit verfällt, ist der Planet, angesichts wachsender Müllberge zwischen Schweinfurt und Bangalore.

Gerade erst hat das EU-Parlament mit einer Erklärung das "Recht auf Reparatur" gefordert, zu Gunsten der Verbraucher. Handys und Computer, die auf bestimmte Akkus oder Updates angewiesen sind, lassen die Schrotthalden ebenfalls anwachsen. Letztlich sei die ehrenamtliche Arbeit der Repair Cafés da doch nur ein "Tropfen auf dem heißen Stein", sagt Krause.

Reparaturen kostenlos, Spenden erwünscht

Während die EU neue, andere Seiten im Kampf gegen Müll (mit)produzierende Konzerne aufziehen will, sind es in St. Kilian auch die alten Saiten, die erfreuen: Reparateurin Elisabeth Sulzinger hat für eine Bekannte eine Geige mitgebracht, die saniert werden soll – keine Stradivari, aber doch ein schönes Sammlerstück. Thomas Kerzel nennt sich der Fachmann, der kleinere Arbeiten an Musikinstrumenten durchführt.

Die Aktion ist kostenlos, Spenden werden gerne angenommen. Last but not least versteht man sich zugleich als (barrierefreies) Café, wo die Wartezeit bei Kaffee und Kuchen verkürzt wird. So ist es auch das soziale Miteinander in Schweinfurt, das bei Kaffee und Kuchen "recycelt" wird, nach der Obsoleszenz des Vereinslebens in der Coronazeit.

Am 22. Oktober soll es an gleicher Stelle weitergehen, mit dem Repair Café, von 10 bis 14 Uhr.

 
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