Es ging ein entsetztes Raunen durch die Besucherreihen im Konzertsaal der Musikschule. Victoria Voss eröffnete nämlich den musikalisch-literarisch-politischen Abend im Rahmen der Frauenwochen mit Sätzen, die Anton Rubinstein vor etwa 150 Jahren verfasst hat: Frauen fehle es an „Subjektivität, Instinkten und Denkkraft“. Deshalb könnten sie im Umgang mit der Kunst weder etwas schaffen noch reproduzieren.
Von wegen. Wer den Abend mit der Schauspielerin Victoria Voss und der Konzertpianistin Agnes Krumwiede erlebte, schätzte einmal mehr die geistige Emanzipation der Frau während der letzten zwei Jahrhunderte und bekam einen Einblick in den mühsamen Prozess, der in manchen Bereichen bis heute andauert.
Auf der Bühne saßen zweifellos zwei starke Frauen. Victoria Voss überzeugte mit ausdrucksstarker und präsenter Sprechstimme. Ausgewählte Textpassagen von Anton Rubinstein, Clara Schumann, Fanny Hensel und George Sand brachte sie plastisch rüber. Ihr Rezitationsstil lässt die Welt von damals aufleben und erahnen, wie starke Frauen an der Seite von großen Komponisten ein Schattendasein führten. Victoria Voss schlüpft in die Rollen der Verfasserinnen, identifiziert sich mit ihnen. Auch bei den aktuellen Literaturpassagen, wie „Nachbeben“ von Meiko Matsudaira zu Fukushima 2011 oder dem Brief der japanischen Pianistin Mayako Kubo an Agnes Krumwiede. Darin weist sie auf den gesellschaftlichen und politischen Anlass ihres Werkes „Berlinisches Tagebuch“ von 1990 hin.
Zwei Kostproben daraus gönnte Agnes Krumwiede ihrem Publikum. Spannend, wie sie außermusikalische Geräusche in Klavierklänge packt. So werden bei „Die Mauer“ Todesschüsse suggeriert oder bei „Berliner Luft“ die Euphorie der Menschen über die neu gewonnene Freiheit. Die Pianistin hat ein Händchen dafür, Klänge in Szenen zu setzen. Davon profitierten auch Maurice Ravels „Trauernde Vögel“ aus „Miroires“. Mit sprechenden Klangkaskaden und Platz für leise Töne malt sie ein musikalisches Bild. Berauschend schön.
Überhaupt hat Agnes Krumwiede eine ansprechende Art, Klavier zu spielen. Einerseits zeigt sie geschliffen virtuosen, packenden Zugriff mit herrlichen dynamischen Entwicklungen und satten runden Fortissimo-Stellen. Andererseits spürt man ihren eher poetischen Zugang zu den Werken. Und genau diese Mischung machte das Zuhören so spannend. Da konnte man nur staunen, welch anspruchsvolle Musik Clara Schumann und Fanny Hensel aufs Papier brachten, und deren harmonische Strukturen und Melodieverläufe einfach nur genießen. Musik vom Feinsten, exzellent rübergebracht.
Auch Frederic Chopins Des-Dur-Prelude op.28 Nr.15 kam äußerst facettenreich zur Geltung. Hier war die Pianistin mehr als Interpretin präsent und überzeugte mit einer spannungsvollen Deutung. Ein starker Abend. Heike Blum