Zum Artikel "Debatte um Sachs: Offenbarte freizügig seine Gesinnung“ am 24. November im Schweinfurter Tagblatt und am 26. November in der Main-Post Gerolzhofen erreichte die Redaktion folgende Leserzuschrift:
Ich habe die verschiedenen Leserbriefe und die Debatte um die Veränderung der Benennung des Willy-Sachs-Stadions schon einige Zeit verfolgt. Ich möchte folgende Überlegungen in die Diskussion einbringen:
1. Auch wenn Mitglieder der "sogenannten Altparteien" – eine Bezeichnung, die ich als einen Angriff auf das demokratisch legitimierte Parteiensystem unseres Landes betrachte – ehemals NSDAP-Mitglieder waren und natürlich dort auch mitgestaltend tätig waren, kann man dieses Argument aus meiner Sicht nicht als Gegenargument gegen die Umbenennung des Stadions benutzen. Hier müssen aus meiner Sicht die historischen Tatsachen im Vordergrund stehen.
Hierzu einige Schlaglichter: In dem oben angeführten Bericht wird geschildert, dass "weder Pösl noch der damalige Stadtrat demokratisch legitimiert" waren. Schon am 14. Juli 1933 waren alle Parteien mit Ausnahme der NSDAP verboten worden, die SPD war schon am 22. Juni 1933 verboten worden. Im "Gesetz gegen die Neubildung von Parteien" vom 14. Juli 1933 lautet Ziffer 2: Wer es unternimmt, den organisatorischen Zusammenhalt einer anderen politischen Partei aufrechtzuerhalten oder eine neue politische Partei zu bilden, wird mit Zuchthaus bis zu drei Jahren oder mit Gefängnis von sechs Monaten bis zu drei Jahren bestraft."
"Stadträte wurden verhaftet und einige ins Konzentrationslager verschleppt" ist weiter in dem Artikel zu lesen. Darüber hinaus wurden Betriebsratswahlen abgebrochen. Ob die Arbeiter darüber so erfreut waren, darf man sich fragen. Im Jahr 1935, ein Jahr vor der Ernennung zum Ehrenbürger von Willy Sachs, waren die Nürnberger Rassegesetze erlassen worden, wodurch die Juden zu Bürgern zweiter Klasse wurden. Die Ergebnisse der historischen Forschungen zeigen, dass er sich "gegen die demokratischen Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer" wandte, und dass er die Nazi-Ideologie teilte und offensiv vertrat. Vor diesem Hintergrund der vielfältigen Rechtsbrüche hätte es Willy Sachs gut gestanden, auf die ihm angetragene Ehrenbürgerwürde abzulehnen und sich für eine ordnungsgemäße Durchführung der Betriebsratswahlen einzusetzen. Das Risiko, verfolgt zu werden, wäre für ihn als wichtigen Vertreter eines wichtigen Industriezweiges gering gewesen.
2. Was in der Diskussion aus meiner Sicht zu kurz kommt: bis heute leiden noch immer viele Menschen an dem Verlust von Vätern, Brüdern, Geschwistern, die im Zweiten Weltkrieg starben und dem Verlust ihrer Heimat: Millionen Menschen wurden zur Flucht gezwungen. In vielen Gesprächen während meiner Tätigkeit als Ehe-, Familien- und Lebensberater wurde ich Zeuge dieser Leiderfahrungen, die sich durch Generationen fortsetzen.
Die Trauer der Mutter über den Verlust ihres Mannes, der in einem sinnlosen Krieg sein Leben lassen musste, wird auch von den Kindern wahrgenommen, macht auch sie traurig, um nur ein Beispiel zu nennen. Die Kinder, die nach einem gefallenen Bruder oder einer im Bombenhagel getöteten Schwester benannt wurde, um ihr Andenken weiterleben zu lassen, sind auch ein Zeichen dafür, dass das Leid weiterlebt, der Verlust schmerzt. Die Aberkennung der Ehrenbürgerwürde für Willy Sachs und die Umbenennung des Stadions könnten Zeichen dafür sein, dass das Leid der Menschen nicht vergessen ist, das durch die damaligen Machthaber verursacht wurde. Aberkennung der Ehrenbürgerwürde und Umbenennung des Stadions wäre ein Bekenntnis dazu, dass Hitler und seine Gefolgschaft einen Unrechtsstaat errichteten, der die Menschenwürde mit Füßen trat.
Erhard Scholl
97509 Gernach