Auf einer Länge von acht Kilometern stapeln sich im Archiv des Leopoldina Krankenhauses die Patientenakten. Jetzt wächst der Papierberg nicht weiter. Das Krankenhaus hat auf die digitale Patientenakte umgestellt – und damit den "Oskar der Gesundheitsbranche" gewonnen.
Nach vier Jahren sind jetzt auf fast allen Stationen mit Computern (Akkubetrieb) bestückte Visiten- und Pflegewagen unterwegs. Über eintausend Krankenschwestern und Pfleger sind geschult; ebenso die Ärzte. Installiert sind 300 WLAN-Punkte für die drahtlose und ausschließlich interne Nutzung. Die 22-Zoll-Monitore stehen zudem in den Behandlungs- und Untersuchungsräumen, in den Arztzimmern und Operationsräumen wie auch in den Büros der Verwaltung. Wer an welche Informationen kommt, ist geregelt, so dass etwa der Krankenpfleger nur Zugriff auf die Akten der Patienten seiner Abteilung hat. Dokumentiert wird in Echtzeit. Das System erlaubt zudem Benachrichtigungen an zuständige Stellen – also etwa an die Apotheke sowie zwischen Pflegepersonal und Ärzteschaft. Selbst im OP kann ein Arzt um Rat gefragt werden.
Quantensprung der Medizintechnik
Thomas Balling, Leiter der Informationstechnologie am Leopoldina Krankenhaus, spricht von einem "technologischen Sprung", Geschäftsführer Adrian Schmuker gar von einem "Quantensprung". "Alles habe sich vor allem für die Mitarbeiter geändert", fährt Schmuker fort. Das Personal ist nicht mehr mit den grünen und grauen Mappen unterwegs, die schon während einer Woche Aufenthalt auf eine Stärke von drei bis vier Zentimeter angewachsen waren. Auch der Patient muss diese nicht mehr durch die Gänge zu den Untersuchungszimmern tragen.
Vitalwerte, Ergebnisse der Visiten, Eingangsdaten, Verschreibung von Medikamenten und Verbänden, Diagnoseberichte, Eintragungen der Therapeuten, OP-Berichte, Bilddokumente und vieles mehr aus dem jetzigen wie aus einem früheren Aufenthalt sind in der digitalen Patientenakte. Auch weil sich das Leopoldina Krankenhaus für eine multimediale Version und gegen ein abgekoppeltes System für Bilddokumente entschieden hat, summierte sich eine "siebenstellige Summe" (Thomas Balling) für die Umstellung auf die digitale Patientenakte.
Mehr Datenschutz durch neue Technik
Gewährleistet ist so der stete Zugriff auf die Daten, da der Patient nicht irgendwo im Hause mit den Mappen unterwegs ist; gewährleistet ist auch, dass bei Medikamentengabe keine falsche Dosis eingetragen ist. In einem solchen Fall warnt der Computer, der auch mitteilt, sollte die Verträglichkeit mehrerer Medikamente untereinander nicht stimmen.
Im Alltag hatte das Auffinden alter Akten im Archiv keine Probleme bereitet – das Finden der gesuchten Diagnose aber schon. Jetzt gibt es ein detailliertes Inhaltsverzeichnis und auch eine Suchmaschine. Da alle Daten jeweils in zwei getrennten Rechenzentren abgelegt werden, gilt die Aufbewahrung zudem als besonders sicher.
Bei der Präsentation im Pressegespräch ging es auch um den strengen Datenschutz im Gesundheitswesen, der bei dem "Ein Klick Wunder" (Titel der Präsentation) eingehalten und überprüft sei. Der Reporter, der sich per Unterschrift an die ärztliche Schweigepflicht band, erlebte dann, dass (die selbst durch die EDV unveränderbaren) Schriftdokumente sowie auch die Bilder einer Magenspiegelung in Sekundenschnelle aufgerufen sind.
Auf die Frage, ob der Quantensprung dem Pflegepersonal Zeit erspart, antwortete Elsbeth Baumann-Banzhaf (Organisation/Qualitätsmanagement) "sehr zurückhaltend". Auch Schmuker räumte ein, dass die Anlage der Patientenakte aufwendig sei. Unter dem Strich erhöhe jedoch die perfekte und umfassende Information den Alltag im Krankenhaus.
Das Leopoldina Krankenhaus ging gemeinsam mit dem Software-Hersteller Apenio als Sieger bei der Verleihung des diesjährigen dfg-Awards hervor. Gewürdigt wird damit die Einführung der umfassenden digitalen Dokumentation in der Kategorie "Herausragende digitale Innovationen und Zukunftsprojekte in der Pflege". Die Nominierung für den sogenannten "Oscar der Gesundheitsbranche" liegt in den Händen einer Fachjury. Die Leser der Branchendienste "Dienst für Gesellschaftspolitik" und "Ambulant und Stationär" wählen anschließend den Sieger.