Wenn die Erinnerungen bei Kurt Mergler an die Olympischen Sommerspiele 1972 in München hochkommen und er immer mehr ins Erzählen und Schwärmen kommt, meinte man, alles wäre erst gestern gewesen. So genau hat er die Bilder und Momente noch vor Augen.
Als Vielseitigkeitsreiter ist er quasi auf den letzten Sprung als Ersatzmann der westdeutschen Military-Mannschaft noch auf den Olympia-Zug aufgesprungen, hat sich von der Heiterkeit und Leichtigkeit der Spiele anstecken lassen. Und jetzt sitzt er am 6. September 1972 mit den deutschen Athleten bei der Trauerfeier für die Opfer des Terroranschlags auf die israelische Olympiamannschaft im Olympiastadion, wie viele hin- und hergerissen zwischen „Abbrechen“ und „Weitermachen“. Da sagt IOC-Präsident Avery Brundage schließlich die Worte: „. . . but the games must go on“. Kurt Mergler: „Damit ist die gedrückte Stimmung gekippt. Es war wie eine Erlösung für alle von uns.“
Und auch 40 Jahre danach ist er sich sicher, dass es die richtige Entscheidung war, die Olympiade fortzusetzen oder wie es NOK-Chef Willi Daume später ausdrückte: „Wir wollten den Terroristen nicht auch noch erlauben, die Spiele zu ermorden.“
Dabei hatte alles so heiter, leicht und fröhlich für die Athleten begonnen. Für Kurt Mergler ist die Eröffnungsfeier am 26. August 1972 noch heute der größte Moment schlechthin. Drei Stunden lang wartet er draußen auf dem Fußballplatz und dem angrenzenden Gelände auf den Einmarsch mit der westdeutschen Mannschaft.
Der Sulzheimer Altbürgermeister und Ehrenbürger: „Es war dort wie in einem Kessel. Wir bekamen dort gar nichts mit, noch nicht einmal die Musik. Alles ging nach oben weg.“ Doch dann ist es soweit. Der damals 38-Jährige erinnert sich an das Gänsehaut-Erlebnis: „Als wir als letzte der 122 Nationen durch den Tunnel laufen und zum Lied 'Horch was kommt von draußen rein' einziehen, ist das Stadion regelrecht explodiert.“
Zur Erläuterung: Für den Einmarsch der Nationen hatte der deutsche Bigband-Leader Kurt Edelhagen mit seinen Arrangeuren nach dem Motto „Swinging Olympia“ Volksmusikstücke aus allen Erdteilen der Welt zu einem der längsten Medleys der Musikgeschichte zusammengestellt. Die Platte mit den Originalmusiken steht heute noch bei Kurt und Ingrid Mergler im Schrank.
Es regnet Taubenkot vom Stadiondach
Besonders lustig, allerdings weniger für die neben den Westdeutschen stehenden Amerikaner: Die aufgelassenen 5000 Friedenstauben finden zunächst nicht den direkten Weg nach draußen. Vor lauter Angst lassen sie unter dem Dach jede Menge Taubenmist auf die US-Mannschaft herabregnen, bis sie doch entschwinden. Kurt Mergler: „Die Amerikaner haben vielleicht ausgeschaut. Die hatten alle Hände voll zu tun, den Taubendreck von ihren Anzügen wegzuwischen.“ Der Olympia-Reservist: „Allein diese Eröffnungsfeier war die ganzen Mühen wert.“ In diesem Moment sei auch der ganze Frust von ihm abgefallen, als Ersatzmann nicht selbst reiten zu dürfen. Nur dass er im Gegensatz zu vielen anderen Athleten das strikte Fotografierverbot befolgte, ärgert ihn bis heute.
Obwohl er, wie gesagt, nicht selbst ins Military-Geschehen eingreift, ist Kurt Mergler in der ersten Woche als „Melder“ an Strecke und Parcours noch voll in die Wettkämpfe eingebunden. Doch dann sei für ihn die richtig schöne Zeit gekommen. Der Sulzheimer: „Mit unseren Olympia-Ausweisen durften wir ja überall hin“. Vor allem Springreiter-Legende Hans-Günter Winkler organisiert Busse, um damit zu den Sportstätten zu fahren. So sei man an der Rudererstrecke gewesen oder habe die Leichtathletik-Olympia-Siege der 16-jährigen Hochspringerin Ulrike Meyfarth, von Speerwerfer Klaus Wolfermann oder der 4x100-Meter-Staffel mit Schlussläuferin Heide Rosendahl mitverfolgt. Doch dann dringen arabische Terroristen am Morgen des 5. September ins israelische Mannschaftsquartier ein. Die Geiselbefreiung endet nach 21 Stunden auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck in einer Katastrophe. Alle noch lebenden Geiseln, ein Polizist und fünf der acht Attentäter sterben.
Wie viele andere Athleten haben auch die Reiter (noch) nichts von der Tragödie mitbekommen, obwohl sie im olympischen Dorf ebenfalls in der Connolly-Straße wohnen. Mergler: „Wir sind am nächsten Morgen völlig ahnungslos die Straße runtergefahren, um in den Bus nach Riem einzusteigen. Unterwegs sagte dann der Busfahrer nur, dass in der Nacht irgendetwas passiert sein muss.“
Entschädigung für die verpasste Medaille
Bald dringt die ganze schreckliche Wahrheit durch. Mit einem Schlag ist es mit der Fröhlichkeit vorbei. Doch nach Brundages Rede gehen sie dann auch für Mergler doch noch weiter die Olympischen Spiele in München, wenn auch in gedämpfter Form. Und er ist froh darüber. Kurt Mergler: „Es war dann für mich noch eine herrliche zweite Woche. Wir waren ständig zu den Wettkampfstätten unterwegs, ehe dann die Springreiter an der Reihe waren.“ Er betont: „Ich habe es voll genossen und ausgekostet.“
Das war für ihn die Entschädigung dafür, dass er selbst nicht starten und so auch keine Bronzemedaille mit der Military-Mannschaft holen konnte, während heute alle Vielseitigkeitsreiter starten dürfen und dann die drei besten für die Mannschaft gewertet werden. So hat jeder die Chance, eine Medaille zu gewinnen. Der 78-Jährige begrüßt diese Regelung wie auch verschiedene Veränderungen im früher sehr langen und den Pferden alles abverlangenden Wettkampfprogramm.
Kurt Merglers Zeit der eigenen großen Erfolge auf internationalem Parkett sollte erst nach 1972 richtig beginnen (siehe unten stehenden Bericht). Eine Medaille bei Olympia blieb ihm trotz alledem verwehrt.