Das Mädchen im weißen Kleid inmitten bunter Blumen. Sieht es nicht traurig aus? Und was ist der Grund? In der Kunsthalle Schweinfurt, vor Erich Glettes „Blumentisch mit Mädchen“, das er 1936 gemalt hat, erzählen Sechstklässer ihre Version der Geschichte. Als Tanz. Ein kurzer Tanz, der die Geschichte eines einsamen Mädchens erzählt, das mithilfe neuer Freunde entdeckt, wie schön die Welt ist.
Gabriele Katzenberger hätte mit ihrer 6b das Bild im Kunstunterricht auch in einem Buch anschauen können. Dann hätten die Schüler das Bild analysiert, sie und die Klassleiterin hätten vielleicht über die Technik gesprochen, mit der es gemalt wurde. Das Übliche. Und dann hätten wohl alle das Bild ziemlich schnell vergessen.
Ein Bild wird lebendig
Hätten. Denn tatsächlich haben sich die Schüler zusammen mit ihrer Lehrerin das Bild im Original in der Kunsthalle ganz genau angesehen. Und festgestellt: Das Mädchen sieht irgendwie traurig aus. Warum, dazu verfassten die Sechstklässer der Auenmittelschule im Deutschunterricht Geschichten. Und entwickelten dann mit Tänzerin Tanika Pelzer einen Tanz, der das Bild lebendig werden lässt und die Momentaufnahme zu Ende erzählt. Von Einsamkeit, Freunden und dem Gefühl, das nur durch Gemeinsamkeit entsteht.
Nervös waren die Kinder schon, als sie am Mittwoch in der Kunsthalle mit diesem Tanz aufgetreten sind. Und stolz. Da macht es nichts, dass der Kreis der Zuschauer kleiner ist als ursprünglich geplant. Denn eigentlich war die Aufführung im Rahmen der offiziellen Auftaktveranstaltung für das Pilotprojekt „Integration durch kulturelle Bildung“ in Schweinfurt gedacht. Doch die wurde inzwischen auf April gelegt.
Ein Projekt, rund 130 Schüler
Seit Anfang des Schuljahres läuft das Projekt für Schüler an Schweinfurter Mittelschulen. Dahinter stehen das museumspädagogische Team der Kunsthalle, Künstler des Projekts Learning Through The Arts (LTTA) und Lehrer der beteiligten Schulen. Vier Schulklassen, zwei Übergangsklassen und zwei Fördergruppen der Auen- und Albert-Schweitzer-Mittelschule mit insgesamt 130 Schülern sind dabei. Den Antrag hatte die Stadt Schweinfurt gestellt.
Ein Erfolg, hinter dem als treibende Kraft auch zwei Frauen stehen: die stellvertretende Leiterin der Kunsthalle, Friederike Kotouc, und Petra Weingart vom Zentrum für Lehrerbildung an der Universität Würzburg. Dort ist die Kunstpädagogin zuständig für die Pädagogische Programmentwicklung und das LTTA-Management. Sie hatten den Grundstein für das Projekt gelegt.
Integration durch Bildung, gerade in Schweinfurt
Aus gutem Grund, wie Weingart sagt. Der Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund ist nirgendwo so hoch wie an Schweinfurter Schulen. Nicht nur, aber auch an der Auenmittelschule, deren 6b gerade gezeigt hat, was hinter den Schlagworten steht. Die Kunsthalle ist ihnen nun ein Begriff, sie verbinden etwas mit ihr, Positives. Und: Auch Eltern sind unter den Zuschauern, die am Ende der kurzen Performance lautstark Beifall klatschen. Das Projekt soll die Kinder mit den kulturellen Einrichtungen vertraut machen, einbinden. Sie und ihr Umfeld, betonen Weingart und Kotouc, und blicken zufrieden in die Zuschauerrunde.
Und: Die Kinder profitieren von dem Ansatz von LTTA, nämlich mit Kunst leichter zu lernen, besser zu begreifen und nachhaltig. Ob in Mathematik oder in Deutsch. Schließlich, so Weingart, lernen wir 82 Prozent über die Sinne. Eigentlich logisch, dass Kunst dann beim Lernen hilft. 15 Künstler sind in Unterfranken dabei – Musiker, Schauspieler, Bildhauer, Maler oder Tänzer, die ganze Bandbreite ist im Raum Würzburg, Schweinfurt vertreten. Dort, wo laut Weingart das Zentrum der deutschen LTTA liegt.
LTTA hat in der Region längst Schule gemacht
In der Region Schweinfurt ist das Lernen durch die Künste vielerorts etabliert. In Grettstadt gibt es sogar eine Modellschule, gefördert von der Robert-Bosch-Stiftung. Auch anderorts ermöglichen Sponsoren das Projekt, bei dem Kanada eine Vorreiterrolle gespielt hat. Und so wundert es auch kaum, dass die Künstlerin, die an diesem Tag in der Kunsthalle Lehrer aus Schulen der Stadt weiterbildet, von ebendort kommt.
Mit der finanziellen Unterstützung des Kulturfonds sind solche regelmäßigen Fortbildungen für Lehrer nun möglich, kann man noch intensiver arbeiten, sagt Weingart, die sich – ebenso wie Kotouc – wünschen würde, dass sich das Projekt von der Kunsthalle und den Museen Otto und Georg Schäfer ausweiten würde. Ebenso wie der Kreis der Künstler. Orchester, Theater, man könnte noch viel mehr einbeziehen.
Das Mädchen in Weiß ist inzwischen wieder alleine. Die Lehrerfortbildung einen Gang weiter wird fortgesetzt. Die Kinder und ihre Eltern sind nach Hause gegangen. Verändert hat sich an diesem Tag ein kleines Stück auf dem Weg „Integration durch kulturelle Bildung“. Zwei Jahre haben die Verantwortlichen nun Zeit, zu zeigen und zu etablieren, was Kunst kann, sagen Weingart und Kotouc: Lernen erleichtern – und Brücken bauen.