Der Krieg und die Verfolgung der Kurden in Syrien haben Saleh Nemr im April 2015 nach Gerolzhofen gespült. So beherbergt die Stadt seitdem einen hochklassigen Künstler aus dem arabischen Raum in ihren Mauern.
Der 45-Jährige wiederum revanchiert sich jetzt erneut mit einem Kunstwerk der ganz besonderen Art bei der Stadt und ihren Menschen für die freundliche Aufnahme der Flüchtlinge und seiner Familie.
Mit tatkräftiger Unterstützung vom Bauhof und seinem Künstlerfreund Florian Tully schuf er in der Dreimühlenstraße aus dem Stamm eines todgeweihten Alleebaumes jetzt die plastische Skulptur „Verwurzelter Stamm – beweglicher Geist“.
Es ist aufgrund des angegriffenen Zustands der Kastanie kein Kunstwerk für die Ewigkeit, aber für die nächsten Jahre ein Hingucker. Die Idee dazu hatten Stadtgärtner André Ditterich und Bürgermeister Thorsten Wozniak. Das Stadtoberhaupt zu dem Engagement des renommierten Künstlers aus Syrien in Gerolzhofen: „Eine echte Bereicherung.“
Arbeiten, die sich selbst erklären
Auch im Fall der neuen Skater-Skulptur hält es der Kurde mit seinem künstlerischen Grundsatz. Demnach sollen sich seine Arbeiten dem Betrachter selbst erklären und jeder darin seine persönliche Interpretation finden. So hat Saleh Nemr diesmal Freizeitsport und Lernen auf verständliche Weise vereint.
Dazu balanciert die aus dem schon angegriffenen und stellenweise hohlen Baumtorso herausgearbeitete Menschenfigur voller Dynamik auf dem Skateboard, während sie gleichzeitig versucht, durch die Bücher in der Hand als Sinnbilder für Literatur und Wissen das geistige wie körperliche Gleichgewicht zu finden und zu halten. Schließlich soll die Skulptur besonders die Schüler ansprechen, die den Verbindungsweg von der evangelischen Kirche an der Nördlichen Allee zu Realschule und Gymnasium benutzen.
Nach Aussage Saleh Nemrs soll die Skulptur symbolisch auch dafür stehen, dass sich vieles im Leben von unten nach oben entwickelt und so organisch wächst. Man könnte auch sagen: „Es ist wichtig unten Wurzeln und oben einen freien Kopf zu haben.“
Mit wetterbedingten Unterbrechungen hat der Künstler einen Monat lang an der Holzskulptur gearbeitet. Pro Tag meist zwischen vier und fünf, manchmal auch bis zu sechs Stunden.
Dabei kamen alle möglichen Werkzeuge zum Einsatz, von der Kettensäge, über diverse Meißel, bis hin zur Flex. Neben der Bereitstellung von Werkzeugen sorgte der Städtische Bauhof auch für die Aufstellung des erforderlichen Gerüstes. Die Rollen fürs Skateboard brachten spontan junge Leute vorbei.
Auf die Idee, die ausgehöhlte Stelle im Stamm mit weißem Kalkmörtel zu schließen und so zugleich den sich eingenisteten und am Holz schadlos haltenden Pilz in Zaum zu halten, war schließlich Künstlerfreund und Restaurator Udo Cox gekommen.
So hat Saleh Nemr dem sterbenden Baum Stück für Stück neues Leben eingehaucht. Nun steht nur noch die entsprechende Gestaltung des kleinen Umgriffs aus.
In seiner Heimat war Saleh Nemr ein erfolgreicher Bildhauer mit zahlreichen Ausstellungen und Arbeiten im öffentlichen Raum. Zuletzt hatte er als Lehrer für Bildende Kunst und Geschichte die Klasse für Metallverarbeitung am Institut für Angewandte Kunst in Damaskus geleitet, an dem er selbst studiert hatte.
Saleh Nemr arbeitet bevorzugt mit Stein und Holz, aber auch in Bronze. Wie andere Künstler und Intellektuelle sah er sich noch dazu als Kurde zuletzt immer stärker Repressionen im Asssad-Regime ausgesetzt. 2012 musste er aus Syrien fliehen.
Über die Autonome Region Kurdistan im Irak und die Türkei kam er 2014 nach Deutschland. Hier führte ihn der Weg über die Zwischenstationen Frankfurt/Oder, Eisenhüttenstadt und Schweinfurt im April 2015 nach Gerolzhofen. Seine Frau ist inzwischen mit den zwei Kindern nachgekommen. Ihr drittes Kind wurde bereits als „kleiner Gerolzhöfer“ im Oktober 2015 im Krankenhaus in Schweinfurt geboren.
Einem Freund Nemrs war es gelungen, einen Teil seiner Skulpturen aus Syrien herauszubringen und in einem kurdischen Museum im Irak zu deponieren. Inzwischen sind sie aus Kurdistan per Luftfracht in Deutschland eingetroffen. Vier Wochen dauerte es allerdings, bis der Zoll auf dem Flughafen in Leipzig die Kunstwerke endgültig frei gab.
Die auf abenteuerliche Weise geretteten Arbeiten des Künstlers werden im Mittelpunkt einer Ausstellung stehen, die noch in diesem Jahr in Gerolzhofen geplant ist.
Größere Ausstellungen hatte Saleh Nemr zuletzt im Dezember 2016 in Bonn zum Thema Migration und Integration sowie im Mai dieses Jahres an der Folkwang-Universität der Künste in Essen, erste Adresse für das Kunststudium in Deutschland.
Dazwischen hatte der gut deutsch sprechende Syrer zeitweise befristet auf drei Monate bei der Lebenshilfe in Schweinfurt im kunsttherapeutischen Bereich gearbeitet.
Allerdings sei es schwer, auf seinem Gebiet in der Gegend eine Arbeitsstelle zu finden, obwohl er inzwischen auch den Führerschein gemacht hat, so Saleh Nemr.
Umso mehr freut es ihn, mit dem Gerolzhöfer Steinmetz und Künstler Florian Tully in dessen Atelier in Gerolzhofen und Handthal arbeiten zu dürfen.
Der Beginn einer Künstler-Freundschaft
Eines Tages war er bei Tully aufgetaucht und hatte ihn gefragt, ob er seine Werkzeuge benutzen könne. Dies sollte der Beginn einer Freundschaft der zwei Künstler werden.
„Wir liegen künstlerisch sehr nah beieinander und ergänzen uns wunderbar“, betont Florian Tully.
Beide pflegen einen figurativen Stil in abstrakter und stilisierter Form. Saleh Nemr unterstützt Florian Tully auch bei dessen Bildhauer-Workshops der Volkshochschule. Kunst verbindet Menschen.
Saleh Nemr schwebt noch eine große Freiskulptur aus Stein oder Metall vor, die er gerne als Dankeschön für Gerolzhofen schaffen und an einer exponierten Stelle im Stadtgebiet aufstellen lassen würde.
Seit Herbst 2016 schmückt die Eingangshalle des Geomaris in Gerolzhofen bereits seine vor dem Hintergrund der großen Flüchtlingswellen sowie zum Dank für die Aufnahme in Gerolzhofen gestiftete Holzskulptur mit dem Titel „Weg über das Meer“.
Die Verbindung mit dem Element Wasser macht das Bad zum perfekten Standort.