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Kochen mit Carl Spitzweg
Kunst kulinarisch: Der Maler hat gerne gut gegessen. Seine Lieblingsrezepte hat er gesammelt und mit witzigen Wort- und Bilderspielen illustriert
Mandel-Bögen für den Gott Kronos: Carl Spitzweg hat ein antikes Relief für seine Rezeptsammlung umgedeutet. Kuratorin Karin Rhein erläutert die Herkunft der Darstellung.
Foto: Anand Anders | Mandel-Bögen für den Gott Kronos: Carl Spitzweg hat ein antikes Relief für seine Rezeptsammlung umgedeutet. Kuratorin Karin Rhein erläutert die Herkunft der Darstellung.
Von unserem Redaktionsmitglied Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 04.02.2016 18:09 Uhr

Dass Carl Spitzweg selbst gekocht hat, ist eher unwahrscheinlich. Aber er hat sehr gerne gegessen. Auf seinen Reisen und Ausflügen hat der Maler Rezepte gesammelt. Seine kulinarischen Erfahrungen hat er im Tagebuch festgehalten, etwa, wenn eine Bedienung pampig oder ein Fisch schlecht war. Auf Spitzwegs Bildern taucht das Thema Essen immer wieder auf, man denke nur an den Eremiten, der sich am Lagerfeuer in aller Behaglichkeit gleich zwei Hähnchen brät.

Für seine Lieblingsnichte Caroline hat Carl Spitzweg (1808–1885) wohl zwischen 1874 und 1878 einige Rezepte aus seiner Sammlung zu einer Art Kochbuch zusammengestellt – als Geschenk zu deren Verlobung oder Hochzeit. Wie umfangreich das gesamte Konvolut einst war, weiß man nicht, 31 Blätter aus Spitzwegs „Kochbuch für Line“ jedenfalls haben sich erhalten und wurden in den 1960er-Jahren im Nachlass der Familie gefunden. Seit 1987 sind sie als einzigartige Rarität Teil der Sammlung Georg Schäfer.

In der 40. Ausgabe der Reihe „in petto“ hat nun Karin Rhein, Kuratorin für Grafik am Museum Georg Schäfer, die Blattsammlung vorgestellt – im Original und per Beamer, was erheblich dabei half, den Witz der oft überraschend kleinen Motive zu goutieren. Denn das Kochbuch für Line ist längst nicht nur eine Rezeptsammlung. Oft hat Spitzweg sogar das eigentliche Rezept zugunsten einer möglichst geistreichen oder originellen Bebilderung weggelassen. Manche Gerichte hat er wohl nur aufgenommen, weil er dazu eine Bildidee hatte, vermutet Karin Rhein. „Das Kochbuch ist unausgewogen“, sagt die Kuratorin, „viel Suppen und Süßes, aber nur wenig Fleisch und Fisch.“ Spitzweg verbindet handschriftliche Kommentare mit Zeichnungen und Collagen. Und bringt in einem Fall sogar eine „Photographie nach der Natur“, wie er schreibt. Gemeint sind zwei Löffelbisquits, die sich als Abdruck auf einem Blatt erhalten haben. „140 Jahre altes Gebäck“, sagt Karin Rhein.

Wo immer möglich, verbindet Spitzweg das Gericht mit einem Wortspiel oder einer Art Bilderrätsel. Die „Wurzelsuppe“ etwa kommt als wildes Seestück mit braunem Treibholz daher. Die „Einlauf-Suppe“ illustrieren Amor und ein Défilé von Kindern, die Briefe in einen Briefkasten werfen wollen. „Da hätte man sich was viel Schlimmeres vorstellen können“, sagt Karin Rhein erleichtert. Doch ganz ohne Hintergedanken sieht auch Spitzweg das Motiv nicht. Auf Amor anspielend, warnt er zweideutig: „Man nehme sich vor dem Dickwerden in Acht.“

Für „Roß-Bif“ hat Spitzweg ein Pferd mit einem Rind gekreuzt, und das „Suhrfleisch“, eine ziemlich lange einzulegende Kalbskeule, besteht aus einem S, einer Wanduhr und dem Wort „Fleisch“.

Die Rezepte als solche sind unterschiedlich detailliert. Der „Gestürzte Has'“ soll nach einer hochkomplexen Liste nahezu chirurgischer Anweisungen zerlegt werden. Dafür verweist Spitzweg bei der „Marmelade von Erdbeeren“ (kalauermäßig unterlegt mit marmoriertem Papier) auf das Rezept für Kirschmarmelade. Und umgekehrt.

Als Vorbereitung auf den Abend hat Karin Rhein sich an einigen Rezepten versucht. Was nicht einfach war, schon wegen der Maßeinheiten. Das Lot, das Spitzweg meint, ist das bayerische Lot, also 17,5 Gramm. Tückisch sind auch die Temperaturangaben für den Ofen. „Geringe Temperatur bei Spitzweg sind mindestens 150 Grad, sonst wird das gar nichts“, sagt Karin Rhein. Und eine Anweisung wie „beim Auskühlen des Ofens backen“ mag mit dem holz- oder kohlbefeuerten Ofen funktionieren, nicht aber beim Elektro- oder Gasherd.

So hat es drei Anläufe gebraucht, bis die „Mandel-Bögen“ gelangen. Die sich dann aber als köstlich süße Nascherei entpuppen. Spitzweg bebildert sie mit einem antiken Relief aus den Kapitolinischen Museen, das Rhea, Mutter den Zeus, zeigt, wie sie Kronos einen eingewickelten Stein reicht – angeblich der neugeborene Sohn Zeus, den Kronos verschlingen will, damit der ihn dereinst nicht stürzen kann, wie vom Orakel prophezeit. Spitzweg ersetzt den Stein mit einer großzügigen Fuhre Mandel-Bögen, eine entschieden bekömmlichere Variante.

Dazu reicht Karin Rhein „Bischoff“, ein Getränk, dem Thomas Mann in den „Buddenbrooks“ ein Denkmal gesetzt hat: Sesemi Weichbrodt serviert es häufig und besonders zu festlichen Gelegenheiten, „einen roten und süßen Punsch, der kalt getrunken ward“. Bischoff wird aus einer Flasche Burgunder, acht bis zwölf Lot Zucker und gerösteten Pomeranzen gemischt. Letztere, auch Bitterorangen genannt, waren nicht leicht zu bekommen. Selbst das KaDeWe in Berlin musste passen, Karin Rhein fand erst in München welche. Die Mühe hat sich gelohnt: Das Ergebnis passt hervorragend zu Mandel-Bögen.

Einzigartige Rarität: Eines der Einzelblätter aus Spitzwegs „Kochbuch für Line“.
| Einzigartige Rarität: Eines der Einzelblätter aus Spitzwegs „Kochbuch für Line“.
Mandel-Bögen und Bischoff: Leckereien nebst Getränk, nach Spitzwegs Anweisungen zubereitet.
| Mandel-Bögen und Bischoff: Leckereien nebst Getränk, nach Spitzwegs Anweisungen zubereitet.
 
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