Der Raum in der Gabelsbergerstraße 1 ist klein aber bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Leinwand nimmt fast die ganze Breite der Wand ein.
Vor ihr, in der rechten Ecke steht Oliver Wirz. Schwarze Hose, blaues Hemd mit Krawatte und schwarzem Pullunder, darüber trägt Wirz ein graues Sakko. Die Haare sind adrett zum Seitenscheitel gekämmt.
Der erste Eindruck? Vielleicht ein wenig zu förmlich. Dann beginnt der Schweinfurter zu erzählen und die anfängliche Skepsis weicht Bewunderung. Langsam, klar verständlich und völlig frei erzählt er über seine Arbeit in Kobane – der Stadt, die von Kämpfern des so genannten Islamischen Staats fast komplett zerstört wurde.
Der Krankenpfleger war für einen Monat in den Ruinen, um mit anderen Freiwilligen beim Bau eines Gesundheitszentrums zu helfen. Schon nach den ersten Sätzen ist klar: In ein Gebiet zu reisen, in dem vor wenigen Monaten noch gekämpft wurde, ist nichts für schwache Nerven.
Wirz erzählt, wie er sechs Tage in einem Flüchtlingscamp für Kurden in der Türkei untergebracht war, bevor sie die syrisch-türkische Grenze überqueren konnten. Er erzählt über die katastrophalen Zustände im Camp, und wie sich die Freiwilligen mit braunem Wasser geduscht haben.
Er erzählt von den vielen Kindern, die sich aus Müll Drachen gebaut haben und er erzählt von der Sehnsucht der Menschen, ihre Heimat wiederzusehen: „Die Leute im Camp wollen zurück nach Kobane.“ Auch, damit sie dort eine Zukunft haben, hat sich Wirz entschlossen zu helfen.
Eigentlich hatte Oliver Wirz nicht geplant, nach Kobane zu gehen. Er sei nach Gelsenkirchen gereist, um an einem Abschiedsfest für eine der Icor-Brigaden, der internationalen Koordinierung von revolutionären Parteien und Organisationen, teilzunehmen.
Die Brigade war, wie schon einige vor ihr, auf dem Weg nach Syrien. Bei dieser Veranstaltung habe er Vertrauen gefasst. Außerdem habe ihn die Stimmung so mitgerissen, dass er beschloss, auch in das Kurdengebiet zu reisen.
Das war im Juli, im September saß Wirz dann im Flugzeug Richtung Türkei. Bepackt mit einem 30 Kilogramm schweren Koffer, in dem keine Kleidung, sondern Werkzeug war. Durch die geschlossenen Grenzen sei es nämlich nicht möglich, Werkzeug in der Türkei zu kaufen, erklärt Wirtz.
Immer, wenn das Thema auf die Türkei kommt, wird es unruhig im Raum. Es ist deutlich zu spüren, dass hier jeder seine ganz eigene Meinung hat. Wirz verweist die Zuhörer völlig gelassen auf die spätere Diskussionsrunde hin und fährt mit seinem Vortrag fort. Über den Grenzübertritt will er nicht viel erzählen. Nur so viel: Es sei kein Himmelfahrtskommando gewesen, aber auch nicht ganz legal.
Ein kurzes Nicken Richtung Technikbeauftragten reicht, ein neues Bild erscheint auf der Leinwand. Es ist ein Bild der Zerstörung. Ein Gerüst aus Beton ist zu sehen – das war einmal ein Haus. Völlig unbewohnbar. 80 Prozent der Stadt sind kaputt sagt Wirz. „Wenn man durch die Stadt läuft, sind an jedem Haus Einschusslöcher“, die von dem Häuserkampf zwischen dem so genannten Islamischen Staat und den kurdischen YPG-Truppen zeugen. Es ist aber auch der Geruch von Verwesung, der Wirz in Erinnerung bleiben wird – im September lagen teilweise noch Leichen unter den Trümmern.
Noch immer ist die Lage angespannt. Deshalb gab es Tag und Nacht bewaffnete Wachen, die für den Schutz der Baustelle und der Bauarbeiter zuständig waren. Das seien Nachbarn gewesen, die im Volkskomitee organisiert waren. „Es war ungewohnt, so viele Waffen zu sehen“, sagt Oliver Wirz.
Aber nur so hätte die Sicherheit gewährleistet werden können. Zusätzlich habe es noch zwei unbewaffnete Wachen gegeben, um die Menschen im Notfall zu evakuieren. Außerdem gebe es in jeder Brigade zusätzlich einen „Sicherheitsbeauftragten“, in diesem Fall Oliver Wirz.
Jeden Morgen vor Arbeitsbeginn um sechs Uhr hat er die Baustelle auf Sprengstoff untersucht. Und dann sagt der junge Mann, dem von Anfang an klar war, dass er in ein Kriegsgebiet reist, voller Überzeugung und aus tiefstem Herzen: „Man fühlt sich unglaublich sicher in Kobane.“
Seit Juni 2015 arbeiten die Freiwilligen an dem Gesundheitszentrum. Sie kommen nicht nur aus Deutschland, sondern beispielsweise auch aus Marokko und Frankreich. In kleinen Gruppen, den Brigaden, reisen sie für meist vier Wochen nach Syrien. Eigentlich sollte das Gebäude schon Ende September fertig sein. Anfang Januar war es dann so weit.
„Die Ärzte können da jetzt Leute behandeln“, sagt Manfred Setter, der erst im Januar aus Kobane zurück nach Deutschland kam. Der Operationstrakt fehlt jedoch noch. Trotzdem wurde das Gebäude mit den knapp 20 Zimmern bereits der Stadt übergeben.
Oliver Wirz nippt an seinem Apfelschorle, bevor er weiter über seine Arbeit in Kobane spricht. Er erzählt, wie er neun Stunden am Tag Lehmziegel goss. „Das war einer der anstrengendsten Jobs auf der Baustelle, denn es gab nie Pausen.“ Bis zu 300 Ziegel hätten sie am Tag geschafft. Vor allem am Anfang sei es schwer gewesen, die richtige Mischung rauszufinden.
Da sei die Hilfe der einheimischen Bevölkerung gut gewesen. Überhaupt sei diese immer in den Arbeitsprozess einbezogen gewesen. Auf der Baustelle arbeiteten sogar fest angestellte Männer. Bezahlt wurden sie aus Spenden – auch aus Deutschland.
Wirz erzählt aber auch von Rosa, einem Bus und Geschenk der Stadtverwaltung. Ohne Scheiben, mit drei Liter Kühlwasserverbrauch und jeder Menge Einschusslöchern „Sie war auch für dortige Verhältnisse ein eher schlechtes Auto.“ Auf die Frage, warum er das alles gemacht habe, lächelt Oliver Wirz. Es sei eine Erfahrung gewesen zu sehen, wie ein Großteil der Bevölkerung lebe, sagt der Schweinfurter. „Das war die intensivste Erfahrung, die ich bisher in meinem Leben gemacht habe.“