Gewalt ist nie eine Lösung, mitunter wird aber zumindest ansatzweise transparent, wie es dazu kommt und welche Rolle dabei die Lebensumstände spielen. Ein 40-Jähriger, bislang ohne Vorstrafen, hatte sich vor dem Schöffengericht in Schweinfurt wegen dreier Gewalttaten wahlweise mit Taschenmesser oder Metallstangen zu verantworten. Zwischen Januar und März diesen Jahres waren bei dem Bewohner des Ankerzentrums Geldersheim die Emotionen so hoch gekocht, dass er für sich die Eskalation nicht mehr vermeiden konnte. Daraus machte er vor Gericht keinen Hehl und gestand die ihm vorgeworfenen Gewalttaten in vollem Umfang ein.
Wie kam es dazu? Ziel der ersten beiden Attacken war ein Mann, der ihm im Ankerzentrum auf dem Flur gegenüber wohnte, mit dem er sich das Badezimmer teilen musste. Ein Landsmann zwar, aber von seinen Lebensanschauungen doch ganz anders als der Angeklagte. Als sehr religiös bezeichnete der Angeklagte sein Opfer, ein Mann, der sehr viel auf seinen Glauben hält und keinen Alkohol trinkt. Und weil er, der Angeklagte, eher eine liberale Weltanschauung pflege und auch mal ein Glas Wein trinke, hätten der Stubennachbar und seine Freunde ständig über ihn hergezogen.
Als "Ungläubiger" beschimpft
Als "Ungläubiger" sei er beschimpft und seine Familie beleidigt worden. Dass die beiden alles andere als "beste Freunde" sind, war im Ankerzentrum bekannt, Reibereien und verbale Auseinandersetzungen soll es öfters gegeben haben. Am 27. Januar eskalierte eine solche Situation: Nach Streit und Schubserei mit dem Kontrahenten zückte der 40-Jährige ein Schweizer Taschenmesser und stach damit zweimal Richtung Brust und Händen des Landsmannes. Schnittverletzungen an Oberkörper und Hand waren die Folgen, keine Verletzungen mit bleibenden Schäden.
Viel schlimmer, sogar tödlich, hätte die zweite Gewalttat enden können. Der Angeklagte besorgte sich Anfang Februar einen Haltebügel, wie er in Toiletten für Körperbehinderte als Aufstehhilfe angebracht ist. Mit dieser "Waffe" in der Hand – die scharfkantige Befestigungsplatte war nach vorne gerichtet – näherte er sich seinem Kontrahenten von hinten und hätte ihm vermutlich den Schädel eingeschlagen, wenn dieser nicht im letzten Moment durch Zuruf anderer gewarnt worden wäre und sich deshalb noch wegdrehen konnte. So landete der zweckentfremdete Sanitärartikel "nur" auf der Schulter. Auch diese Verletzung blieb ohne dauerhafte Schäden. Wie ernst es der 40-Jährige allerdings meinte, lässt sich anhand des dazu ausgestoßenen Rufes "Ich bring dich um" erahnen.
Ziel war, "das Bein zu brechen"
Die dritte Gewalttat schließlich traf einen Freund des zweimaligen Opfers. Diesmal griff der Angeklagte zur Eisenstange, schlug auf das Schienbein seines Gegenübers mit dem Ziel, "diesem das Bein zu brechen", wie er unumwunden zugab. Heraus kam eine Platzwunde, die genäht werden musste. Die letzten beiden Taten sind auch bestens dokumentiert, wurden sie doch, weil im Freien passiert, von den Überwachungskameras im Ankerzentrum aufgezeichnet.
Der Angeklagte gestand ohne Wenn und Aber alle Taten, schilderte aber auch seine Not, die ihn dazu veranlasst habe. Vor solchen Leuten, er bezeichnete sie als Extremisten, sei er, der religiös liberal Denkende, einst aus seinem Land geflohen. Und hier sei er nun solcher Gesinnung wieder begegnet, mit all den daraus resultierenden Spannungen, schilderte der 40-Jährige sinngemäß seine Beweggründe.
Aus Angst vor Rache der Opfer kehrte er wenige Tage nach der dritten Gewalttat nach Frankreich zurück, wo er seit 2014 gelebt hatte. Von dort wurde er aber wieder nach Deutschland gebracht, wo er seit fünf Monaten in U-Haft sitzt.
Vorsatz und keine Notwehr
Menschen, mit denen man sich nicht versteht, geht man normalerweise aus dem Weg, notfalls hilft umziehen. In einem Ankerzentrum ist so etwas nicht möglich, womit wir wieder bei den Lebensumständen wären, die in diesem Fall das Ihrige zu diesen drei Fällen schwerer Körperverletzung beigetragen haben. So sah es auch das Gericht, nicht ohne den Hinweise, dass die Umstände trotzdem keine solchen Gewalttaten rechtfertigen würden, zumal sie nicht aus Notwehr begangen wurden. Vor allem der Schlag mit dem Metallbügel hätte schnell zum vorsätzlichen Mord werden können. Drei Jahre und sieben Monate forderte der Staatsanwalt, auf zwei Jahre und zehn Monate – ohne Bewährung – einigte sich das Schöffengericht. Gegen das Urteil ist binnen einer Woche Einspruch möglich.