„Wenn Sie etwas unternehmen wollen, dann tun Sie's JETZT. Warten Sie nicht zu lange, sonst ist Ihr Lebenstraum geplatzt. Heute beginnt der Rest Ihres Lebens.“ Diesen Appell richtete Klaus Mertens an die Besucher seiner Lesung in der Buchhandlung Vogel, bei der er sein erstes Buch, „Vino, guerra y camino“ vorstellte.
Den Jakobsweg ist er gegangen, von der Bischofsstadt Würzburg aus bis nach Santiago di Compostela, vier Monate und zwei Tage am Stück. Einen Sack voll Landschaft habe er dabei erlebt, vielfältige Erfahrungen gesammelt, so der Westfale, der in Schweinfurter sesshaft geworden ist. Im April 2016 hat er sich als damals 50-Jähriger auf den langen Weg gemacht, sich von Freunden verabschiedet, gewohnte Kontakte zurückgelassen, startete losgelöst von sozialer Kontrolle.
Ein Weg der Gegensätze
Ruhe und Einsamkeit fand er auf dem Weg durch Tauberfranken, das Gegenteil eher auf den letzten paar hundert Kilometern in Spanien. Wie unterschiedlich man Landschaften als Wanderer wahrnimmt, erspürte der Autofahrer Mertens beim Entlanglaufen an Autobahnen bis zur entfernt liegenden nächsten Querungsmöglichkeit, und: auf der anderen Seite wieder zurück.
Berührungen mit der Geschichte
Bauernkriegsland hat der Pilger durchlaufen, in mittelalterlichen Klöstern gewohnt, auf den Spuren alter Wissenschaft und Philosophie ist er gewandert. Ein Besuch am Grab von Walter Jens in Tübingen, auffällig hohe Präsenz von Soldaten in Frankreich aufgrund der aktuellen Attentate, eine Kundgebung zum 1. Mai an der französisch-schweizerischen Grenze, ein Besuch in Taizé – wie ein permanentes Pfingstcamp voll hormongesteuerter Teenager sei ihm dies vorgekommen.
Alle Arten von Unterkünften hat der lebhaft, eloquent und unterhaltsam erzählende Autor aufgesucht, Pilgerherbergen gesehen mit bis zu 1000 Betten, Wandergasthöfe, sehr unterschiedlich ausgestattete Privatunterkünfte, auch mal mit Familienanschluss, Campingplätze, Pensionen. Nicht überall gab es Privatsphäre, nicht immer konnte er seine Kleidung trocknen. Doch Begegnungen mit Menschen gab es zahlreiche. Auch Kulinarik und Weingenuss ließ Mertens nicht zu kurz kommen.
Pilgerscharen in den Pyrenäen
Viele der Fotos, die er zeigt, könnten den Titel „Morgens, Nebel, Nässe“ tragen. Durchs Elsass, die französischen Berge, an der Loire entlang, durch Burgund, die Auvergne tragen ihn seine Füße. Endlich im Süden, das Licht verändert sich, noch 870 Kilometer! Die Pyrenäen: Die Pilgerschar wird groß und größer, es schlängeln sich auch organisierte Gruppen. Die Dörfer entlang des Wegs leben von ihnen, Getränkeverkäufer mit Megaphon und Taxianbieter säumen Pfade und Straßen.
Baskenland, Pamplona, Amerikaner ohne Ende, die Contemplatio kommt ein wenig zu kurz. Navarra, Rioja, Kastilien-Leon, Weizenfelder bis zum Horizont, der Pilgerweg zieht sich in die Länge, die Wahrnehmung konzentriert sich weniger in die Ferne als auf die unmittelbare Umgebung. Burgos, Leon: Das Ende der Reise naht, nochmals zehren Berge an den Kräften. Doch auf dem Jakobsweg nimmt die Partystimmung zu, zumindest für die Jüngeren.
Die letzte Rast, unten am Berg das Ziel: Klaus Mertens heult, seine Welt, seine Empfindungen, sein Bewusstsein haben sich verändert, die Rückkehr, die Zukunft stehen bevor. Kraft dafür gibt ihm der ritualisierte Abschluss seines Pilgerwegs in der Kathedrale von Santiago. Ein hörenswerter Abend, ein lesenswertes Buch!
Klaus Mertens: Vino, guerra y camino. Würzburg. Santiago. Zu Fuss.
ISBN 978-3000585135