
Anwohner haben Mitte September per Unterschriftenliste den nächtlichen Glockenschlag der evangelischen Kirche in Lohr zum Verstummen gebracht. In Gerolzhofen hat sich die Abschaltung des Glockenschlags der katholischen Stadtpfarrkirche in der Nacht schon vor einigen Monaten vollzogen, ohne dass die Umstellung buchstäblich an die große Glocke gehängt wurde, wie jetzt Stadtpfarrer Stefan Mai auf Anfrage dieser Zeitung bestätigte.
In Gerolzhofen sagen die Kirchenglocken des „Steigerwalddoms“ seit Mitte Juli zum letzten Mal um 22 Uhr die Zeit an und dann erst wieder um 6 Uhr morgens, unmittelbar gefolgt vom längeren Angelus-Läuten.
Die katholische Pfarrgemeinde nimmt damit besonders auf die Anwohner am und um den Marktplatz Rücksicht. Vor allem bei denjenigen, deren Wohnungen und Schlafzimmer sich auf Höhe der Schalllöcher im Kirchturm befinden, würde der Geräuschpegel über das erlaubte Maß hinausgehen, so Pfarrer Mai.
Um die Nachtruhe der Leute nicht über Gebühr zu strapazieren und zu stören, habe die Kirchenverwaltung entschieden, in der besagten Zeit die Glocken schweigen zu lassen, so Pfarrer Mai. Damit wird zugleich den Übernachtungsbetrieben am Marktplatz entgegengekommen.
Das Echo ist geteilt. Während manche Marktplatzanlieger froh sind, dass sie nun ungestört vom Klang der Glocken durchschlafen können, vermissen andere die gewohnte, nächtliche „Zeitansage“ durchs Fenster. Eine Anliegerin: „Mir fehlt etwas, seitdem die Glocken nachts abgeschaltet sind.“
Zur Erläuterung: Kirchenglocken sind über Jahrhunderte hinweg Teil unserer christlichen Kultur. Andererseits erzeugen sie einen mächtigen Schalldruck, der schlafende Anwohner schon einmal aus ihren schönsten Träumen zu holen vermag.
Aus juristischer Sicht wird zwischen dem weltlichen Stundenschlag auf der einen und dem liturgischen, also kirchlichen Läuten zu Gebet und Gottesdiensten auf der anderen Seite unterschieden.
„Mit fehlt etwas, seitdem die Kirchenglocken nachts abgeschaltet sind“
Ein Marktplatz-Anliegerin
Das sakrale Glockenläuten, zu dem neben dem Angelusläuten am Morgen, Mittag und am Abend das Läuten bei Gottesdiensten, Hochzeiten, Taufen oder auch Beerdigungen zählt, ist als Teil der Religionsausübung durch das Grundrecht der Religionsfreiheit verfassungsrechtlich geschützt. Die konkrete Handhabung fällt demnach unter das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen.
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sieht das liturgische Glockenläuten „im herkömmlichen Rahmen demzufolge regelmäßig auch nicht als gesundheitsschädliche Lärmbelastung, sondern als „zumutbare, allgemein akzeptiere Äußerung kirchlichen Lebens“ an.
Anders verhält es sich beim Zeitläuten. Der Stundenschlag hat rein weltlichen Charakter und unterliegt damit wie andere Lärmquellen auch der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm). Die bundesweit gültige Verwaltungsvorschrift unterscheidet zwischen Tags (6 bis 22 Uhr) und Nachts (22 bis 6 Uhr) und setzt je nach Schutzanspruch (Wohngebiet, Gewerbe- und Industriegebiet, Kurgebiet) Grenzwerte fest, die nicht überschritten werden dürfen. Ist der Stundenschlag lauter, hat man vor Gericht gute Chancen, mit seiner Klage Erfolg zu haben. Darauf will man es seitens der katholischen Pfarrei in Gerolzhofen nicht ankommen lassen.
Die evangelische Kirchengemeinde in Gerolzhofen hatte laut Pfarrer Jean-Pierre Barraud noch nie Probleme wegen des Läutens. Die Glocken in der Erlöserkirche schlagen auch nicht stündlich, sondern rufen nur um 7, 12 und 19.30 Uhr zum Gebet sowie zu den kirchlichen Anlässen wie Gottesdienst, Taufe, Beerdigung oder Hochzeit. Während des laufenden Umbaus der Erlöserkirche mit Neubau des Gemeindehauses zum neuen Gemeindezentrum an der Ecke Nördliche Allee/Dreimühlenstraße schweigen die Glocken ganz.
Mit der Entscheidung in Lohr am Main, das Läutwerk von 22 Uhr bis 6 Uhr abzuschalten, ist die Angelegenheit dort nicht vom Tisch. Ein weiterer Anwohner hat als Gegenreaktion eine Unterschriftenaktion für das Wiedereinschalten des nächtlichen Glockenschlags initiiert.
In Langendorf bei Hammelburg haben Messungen der Diözese auf Beschwerden aus der Gastronomie hin ergeben, dass das schwingende Metall der Kirchenglocken einen Geräuschpegel von 70 Dezibel erzeugt, erlaubt sind jedoch nur 65.
Auf die Empfehlung des Gemeinderates hin, die Glocken nachts abzustellen, plädierten jüngst bei einer Unterschriftenaktion rund 250 Gläubige von 670 Einwohnern dafür, am nächtlichen Schlag festzuhalten. Auch Pfarrgemeinderat und Kirchenverwaltung vertreten mehrheitlich diesen Standpunkt. Um die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten, soll der Zeitschlag von 22 bis sechs Uhr nun künftig gedämpft werden. Mittels neuer Platinen wird hierzu die Feldstärke der Magnetsteuerung für die Hämmer verringert.
Der Streit um den nächtlichen Glockenschlag hat in den vergangenen Jahren in Unterfranken wiederholt die Gerichte beschäftigt.