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SCHWEINFURT
Kirche muss zu den Menschen gehen
Stefanie Beck
 |  aktualisiert: 21.10.2017 02:56 Uhr

Mehr Teilnehmer als angemeldet waren ins Evangelische Gemeindehaus gekommen, rund 70. Neben den Synodalen hatte das Thema weitere Interessierte aus den Dekanatsgemeinden gelockt. Denn die Herbstsynode des evangelischen Dekanats bildete einen Workshop zu einem innovativen Prozess, den die Landessynode der evangelisch-lutherischen Kirche erst im März gestartet hatte. Titel dieses umfassenden missionarischen Reformvorhabens: „Profil und Konzentration“ (kurz: PuK).

Bereits die Andacht führte in die Problematik ein: Angesichts des diesjährigen Reformationsjubiläums erinnerte Pfarrerin Christel Mebert (Bad Kissingen) an das, was Luther vor allem wichtig war: weg vom „Eventcharakter“ der Kirche zur Konzentration auf Wort und Sakrament.

Ständig reformbedürftig

Da Kirche semper reformanda (ständig reformationsbedürftig) sei, müsse immer wieder ein neuer Reformprozess mit realistischem Blick in die Zukunft angestoßen werden.

Aufgrund nach unten gehender Mitgliederzahlen gelte es, Abschied von der Volkskirche zu nehmen und eine „Jüngerkirche“ anzustreben: Wie einst Jesu Jünger die Frohe Botschaft in die Welt hinaustrugen, so habe Kirche dorthin zu gehen, wo die Christen zu Hause sind, eben in ihren ganz normalen Alltag und an den Arbeitsplatz. Mit anderen Worten: Die bisherige „Komm-Struktur“ mit der Erwartungshaltung, dass Menschen zur Kirche kommen, sei abzulösen von der „Geh-Struktur“ zu den Menschen hin.

Zwei Experten für diesen neuen kirchlichen Aufbruch standen Rede und Antwort: Kirchenrat Thomas Prieto Peral, theologischer Planungsreferent, und Pfarrer Michael Maier (Erlangen) als Moderator des PuK-Prozesses. Zunächst resümierten sie anhand von Zahlen den Ist-Zustand: In Bayern gibt es 2,4 Millionen Evangelische in 1538 Kirchengemeinden.

Kirchenaustritte

Doch immer noch verlassen jährlich etwa 30 000 Menschen (0,8 Prozent) die Kirche. Im Durchschnitt hat ein Geistlicher mindestens 1222 Mitglieder zu betreuen. Zurzeit sind 2400 evangelische Pfarrer in Bayern tätig. Aber auch ihre Zahl wird in den kommenden Jahren rapide abnehmen, zum einen aufgrund einer hohen Pensionierungswelle, zum anderen, weil derzeit nur geringes Interesse am Theologiestudium besteht.

Als vier zentrale Anliegen des PuK-Prozesses nannte Prieto Peral:

1. Statt von bestehenden (teils überholten) kirchlichen Strukturen und finanziellen Zwängen her zu denken, ist vom biblischen Auftrag und von konkreten Aufgaben auszugehen.

2. Zentralisierung ist aufzugeben. Vielmehr sind inhaltliche Schwerpunkte eigenständig und dezentral vor Ort zu vereinbaren und zu steuern.

3. Es darf kein Einzelkämpfertum der Pfarrer bis zur Erschöpfung mehr geben. Kirche ist nicht unbedingt vom Pfarramt aus zu organisieren. Stattdessen muss ein Berufsgruppen übergreifender Gemeinschaftsgeist herrschen, ein Zusammenwirken der Geistlichen mit Haupt- und Ehrenamtlichen, mit Sozial- und Religionspädagogen sowie Diakonen.

4. Statt Fixierung auf den eigenen Kirchturm ist Kirche im gemeinsamen Lebens- und Sozialraum zu gestalten. Gemeindeegoismen gilt es aufzubrechen. So sollen sich Regionen bilden, die Aufgaben aufteilen und Synergieeffekte nutzen. Muss denn zum Beispiel jede Gemeinde Senioren- oder Jugendarbeit anbieten? Werden überhaupt noch parochiale Grenzen gebraucht? Die neuen Stichworte lauten: Grenzüberschreitung, Regionalisierung, doch ohne sich dabei den Menschen vor Ort zu entziehen.

Von Gewohntem trennen

Kurzum: Man werde sich von Gewohntem trennen müssen und nicht etwa noch mehr kirchliche Angebote machen, sondern „Mut zum Minus“ zeigen. Brauche es denn in allen gemeindlichen Außenstellen regelmäßig Sonntagsgottesdienste trotz nur geringen Besuches? Kirchenrat Prieto Peral: „Etwas Neues entsteht, wenn anderes gelassen wird.“

Des Weiteren listete er thesenartig auf, was denn die Grundaufgaben der Kirche sind: Sie verkündigt Christus und lebt geistliche Gemeinschaft. Sie klärt Lebensfragen und begleitet Lebensphasen seelsorgerlich. Sie ermöglicht christliche und soziale Bildung. Sie macht die Not von Menschen sichtbar und hilft Notleidenden. Sie haushaltet nachhaltig und gerecht.

Die Umsetzung

Natürlich stellte sich in diesem Workshop die Frage der Umsetzung. Unter anderem kam der Vorschlag, die seelsorgerlichen und administrativen Aufgaben im Pfarramt auf verschiedene Schultern zu verteilen. Eine Pfarrerin oder ein Pfarrer müsse mehr Zeit für Menschen haben. Einzelseelsorge sei die Grundaufgabe. „Kirche ist da, wo Menschen sind!“ Auch wie Defizite in der Kinder- und Jugendarbeit zu beheben seien und wie man das sog. „Mittelalter“ – Menschen zwischen 25 und 60 Jahren – besser erreichen könne, kam zu Sprache. Einig waren sich alle darin, dass Kirche zugänglicher sein und niederschwellige Angebote machen müsse.

Diskussionen in den Gemeinden

Und wie weiter? Bis Januar 2019 werden die einzelnen Kirchengemeinden, Dekanatsbezirke und kirchlichen Einrichtungen eine Art Bilanz hinsichtlich ihrer Gaben und Aufgaben erstellen.

Am Ende der Tagung bedankte sich Dekan Oliver Bruckmann für die vielen Anregungen. Eine große Chance liege im regionalen Denken und in der übergreifenden Kooperation und Verantwortung.

 
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