Viel und oft habe ihr kleines Mädchen geschrien, sagt die 33-jährige Angeklagte vor der Großen Strafkammer des Landgerichts Schweinfurt. Nach etwa drei Monaten beruhige sich auch ein so genanntes Schreibaby, habe ihr der Arzt gesagt. Doch das sei nicht der Fall gewesen. Zehn Monate jung war das Kind, als es wieder einmal "sehr unruhig war und extrem geweint" hat. Ihr größerer Sohn sei krank gewesen, sie gestresst – und Streit habe es zuvor mit dem Kindsvater gegeben.
Was dann geschah, Anfang Juli 2020, bezeichnet die Mutter als Überreaktion. Sie habe ihr Töchterchen ins Gitterbettchen "geschmissen" und kurz darauf einen "kurzen, komischen Aufschrei" gehört. Das Kleinkind sei in Schnappatmung verfallen. "Sie lag schlaff und regungslos im Bett", sagt die Mutter unter Tränen. "Ich habe sie geschüttelt", dabei ihren Namen gerufen. In ihrer Panik habe sie dem Baby Wasser ins Gesicht getan und sogar Mund-zu-Mund-Beatmung versucht.
Kein Sturz vom Wickeltisch
Weil dies nichts half, trug die Mutter ihr Töchterchen zu Fuß ins nahe Josef-Krankenhaus, von wo die Kleine umgehend in die größere Leopoldina-Klinik verlegt wurde. "Ich weiß, es war meine Schuld, ich habe zwei Sekunden im Leben falsch reagiert", sagt die 33-Jährige, die aus der Untersuchungshaft vorgeführt worden war. Doch waren es nur zwei Sekunden Blackout, die zu dem Drama führten? Im Krankenhaus hatte die Mutter angegeben, die Kleine sei vom Wickeltisch gefallen – und das passt weder für den behandelnden Arzt, noch für den Rechtsmediziner von der Uniklinik Würzburg zum Verletzungsbild.
Ein Sturz von der Wickelkommode erkläre nicht die sehr schweren Hirnverletzungen und -blutungen, die bei dem Baby diagnostiziert wurden, sagt der Klinikarzt als Zeuge. Es seien keinerlei Sturzverletzungen festgestellt worden. Nachdem "klar war, dass der geschilderte Unfall nicht mit dem Verletzungsmuster übereinstimmt, haben wir Anzeige gegen unbekannt erstattet", so der Arzt.
Die schlimmen Folgen
Die Anklage geht davon aus, dass das Baby ein schweres Schütteltrauma erlitten haben muss. Mindestens zweimal habe die Angeklagte ihr Baby so heftig geschüttelt, dass es Hirneinblutungen, schwerste Gehirn- und auch Netzhautverletzungen erlitt und es zu einem Herz- und Atemstillstand kam. Die Folge sei, dass die Kleine nicht mehr länger als 15 Minuten selbstständig atmen könne und deshalb künstlich beatmet werden müsse. Sie müsse seither über eine Magensonde ernährt werden, verfüge nur noch über eine Hell-Dunkel-Wahrnehmung, leide unter epileptischen Anfällen "und einer spastischen Lähmung aller vier Gliedmaßen".
Das Kind lebt heute beim 34-jährigen Kindsvater, dem damaligen Lebensgefährten der Angeklagten. Seit zwei Tagen könne sie wieder selbstständig atmen, sagt er, sie werde aber weiter über eine Sonde ernährt. "Sie kann nicht sitzen, nicht essen, nicht laufen und ist fast blind." Die Ärzte sprächen von einer 100-Prozent-Behinderung. Mal sei das Mädchen etwas wacher, mal weniger.
Laut Gutachten des Rechtsmediziners können die schweren Hirnverletzungen des Babys nicht vom "Schmeißen" ins Bettchen, einem Anstoß seines Kopfes an Bettstäben oder einem Sturz vom Wickeltisch kommen. Sie seien typisch für heftiges Schütteln, bei dem der Kopf vor und zurück geschleudert wird. Davon aber sagt die Mutter nichts.
Für das Verfahren sind zwei weitere Verhandlungstage angesetzt. Als nächstes hört das Gericht einen psychiatrischen Sachverständigen.