Michael Roth: Einen signifikanten Unterschied zwischen Ausländern und Deutschen werden Sie nicht feststellen. Die jungen Türken etwa, die heute in der dritten, vierten Generation in Schweinfurt leben und aufgewachsen sind, sprechen Deutsch wie jeder andere, der hier aufgewachsen ist. Mit dem Ausländer-Hintergrund ist da nichts mehr zu erklären. Kriminalität ist weniger ein Problem der Staatsangehörigkeit als eines der sozialen und bildungsmäßigen Herkunft.
Roth: Eigentlich reicht es aus. Die Verschärfungen, die propagiert werden, betreffen – wenn es um die Erhöhung der Höchststrafe geht – einen minimalen Bruchteil der möglichen Täter. Für den allergrößten Teil der Fälle haben wir einen völlig ausreichenden Rahmen.
Roth: Das ist individuell unterschiedlich, weil wir den Täter verurteilen müssen und auf diesen entsprechend erzieherisch einwirken wollen. Mit Sicherheit wird das bei uns in Schweinfurt so gehandhabt, dass das relativ schnell geht.
Roth: Der Warnschussarrest ist eine Ergänzung zu den bisherigen Regelungen und soll die Möglichkeit bieten, etwa bei einer Bewährungsstrafe parallel einen Arrest zu verhängen. Diese Möglichkeit gibt es bislang nicht. Es gibt aber den Jugendarrest bis zu vier Wochen Dauer, der unabhängig davon eine eigene Strafe darstellt. Die meisten haben aber, bevor sie eine Jugendstrafe bekommen, schon mal einen Arrest erhalten und verbüßt. Insofern kommt der Warnschussarrest eigentlich nur für die noch in Frage, die das erste Mal bei uns sind und gleich zu einer Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt werden – ein verschwindend kleiner Anteil Jugendlicher.
Roth: Kriminalität ist eine völlig normale Erscheinung bei Jugendlichen, sie gehört zum Erwachsenwerden dazu. Früher hat man die Äpfel beim Nachbarn geklaut, heute ist das etwas anders. Fahren ohne Führerschein ist ein Jugenddelikt seit es Mofas gibt – wobei die jungen Herren da weitaus mehr gefährdet sind als die Damen. Die meisten, die bei uns aufmarschieren haben zwei, drei Termine: wegen Ladendiebstahl, der gern begangen wird, Fahren ohne Fahrerlaubnis mit dem Mofa, das zu schnell war, oder weil die Pflichtversicherung nicht bezahlt war. Dann tauchen die nie wieder auf. Nur ein geringer Prozentsatz bleibt dauerhaft als Kundschaft übrig.
Roth: Ich habe letztes Jahr 720 Jugendstrafverfahren erledigt, darunter etwa 80 Körperverletzungsdelikte. Wenn Jugendliche im Bereich Gewalttaten im Vergleich zu Erwachsenen überrepräsentiert sind, liegt das schlicht daran, dass jugendlicher Überschwang bei den jungen Herren dazu führt, dass es beim Bierfest öfters zwischen zwei Zwanzigjährigen kracht als zwischen zwei Fünfzigjährigen. Das ist halt so.
Roth: Es steht mir nicht an, Herrn Koch zu kritisieren, aber dass eine Diskussion über das Jugendstrafrecht, über härtere Strafen, über andere Strafen in einer aufgeheizten Atmosphäre unsinnig ist, liegt wirklich auf der Hand. Das Thema ist sensibel. Es bedarf gewisser Überlegungen, was an Maßnahmen sinnvoll und nicht sinnvoll ist und sollte nicht in einer erhitzten Atmosphäre zum Gegenstand der Diskussion gemacht werden, in der sich alle mehr oder weniger fundiert dazu äußern.
Roth: Prävention ist immer besser als Repression. Was aber leider oft übersehen wird: Wenn wir die jungen Leute kriegen, sind sie 14 Jahre alt. Zu glauben, dass man sie nach 14 Jahren Erziehung mit ein, zwei Jugendstrafverfahren wesentlich beeinflusst und ändert, wage ich als vermessen anzusehen. Wenn sich abzeichnet, dass einer zum jugendlichen Intensivtäter wird – das gibt es unbestritten – sieht man eine dissoziale Entwicklung über zehn, 14 oder 15 Jahre. Präventiv kann man bei auffälligen Jugendlichen schon etwas unternehmen, zum Beispiel sie zur Teilnahme an einem sozialen Trainingskurs oder einem Anti-Aggressionstraining verpflichten. Das setzt aber voraus, dass solche Maßnahmen angeboten und finanziert werden. Zurzeit gibt es gar kein Angebot eines Anti-Aggressionstrainings mehr, weil der bisherige Träger seine Tätigkeit momentan eingestellt hat. Vorher gab es das für Jugendliche in der Stadt Schweinfurt, im Landkreis gar nicht, weil sich das Landratsamt daran nicht beteiligt hat. Es ist derzeit in der Überlegung, etwas Neues zu finden, an dem sich nach Möglichkeit alle Landkreis, Gemeinden und Städte beteiligen sollten.
Roth: Gewalt verhindere ich, in dem ich es Jugendlichen vorlebe, sie erziehe und zu Hause keine Gewalt vermittle. Menschen, die mit Gewalt aufwachsen, werden keine andere Lösungsstrategie haben, als selbst in einem Konflikt Gewalt anzuwenden. Dagegen sind Grenzsetzungen im Elternhaus und eine normale Sozialisation erforderlich – schlicht Erziehung. Wenn Erziehung aber nicht stattfindet, muss man sich nicht wundern, wenn das Ergebnis entsprechend ausfällt
Roth: Die Absenkung des Strafmündigkeitsalters ist nicht nötig. Kinder unter 14 Jahren müssen erzogen werden, und sollten nicht schon mit den Sanktionen des Jugendstrafrechtes belegt werden. Was soll ein Zwölfjähriger im Jugendvollzug lernen, was man ihm nicht auch in einer Heimunterbringung beibringen könnte? Im Übrigen könnte man eine Absenkung der Altersgrenze schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nur insgesamt für alle rechtfertigen und nicht nur für ein paar schwere Fälle.
Dieses Interview ist Auftakt für weitere Beiträge zum Thema Jugendkriminalität und der Frage, wie dieser angemessen begegnet werden kann.