Die Sammlung Joseph Hierling birgt so viele sehenswerte Werke des Expressiven Realismus, dass die Kunsthalle jedes Jahr zusätzlich zur Dauerpräsentation im Untergeschoss noch eine thematische temporäre Ausstellung anbietet. Ihr Zweck ist nicht nur, bisher nicht gezeigte Bilder aus dem Depot zu holen. Kunsthallenchef Erich Schneider sieht hier eine wichtige Aufgabe und eine Chance, sich intensiv mit jeweils einem Genre und mit dessen kunsthistorischer Einordnung zu befassen. Diesmal also „Feld-, Wald- und Wiesenlandschaften?“, so der etwas zeitgeistig-flippige Titel.
Um es klar zu sagen: der Besucher braucht keine kunsthistorischen Kenntnisse, um sich an diesen Gemälden zu erfreuen. Er kann mit Genuss durch die farbenprächtigen Gebirgslandschaften von Paul Gustav Freytag streifen, mit Grete Csaki-Coponys Spaziergängern auf einem rosa Weg im Allgäu wandeln, mit Fritz Gartz am Fluss stehen, Franz Franks Hochwasser beobachten oder bei Albert Birkle neben der Frau mit gelbem Kopftuch auf die sturmgepeitschte Hafeneinfahrt blicken – um nur einige von vielen Beispielen zu nennen.
Aber dem darüber hinaus Interessierten bieten sich dank des Katalogs spannende Zusammenhänge. Carolin Quermann, Kunsthistorikerin aus Dresden, zieht in ihrem Essay den Bogen von der frühen Landschaftsmalerei, die sich in Europa erst um 1600 etablierte, bis ins 20. Jahrhundert. Sehr interessant ist ihr Ansatz, die Landschaftsmalerei im Expressiven Realismus aus dem Impressionismus abzuleiten. Quermann nennt unter anderem das Arbeiten unter freiem Himmel und das Anliegen, die Flüchtigkeit des Augenblicks festzuhalten und das Erspürte mit knapper und unmittelbarer Pinselführung „alla prima“ zu erfassen und durch Farbflecke und Lichtreflexe Atmosphäre zu erzielen. Die expressionistische Malerei könne nicht allein als Gegenpol zum Impressionismus aufgefasst werden, betont Quermann und begründet das ausführlich.
„Vielleicht sollte man also über den Begriff 'Expressiver Realismus“ noch einmal nachdenken“, sagt Erich Schneider im Vorfeld der Ausstellung. Dieser Begriff wurde erst in den 1980er-Jahren geprägt und fasst die Generation der um 1900 geborenen Maler zusammen, die zwischen den beiden Weltkriegen und nach 1945 den Expressionismus weiterentwickelt haben, die aber lange Zeit von der Kunstwelt unentdeckt blieben. Die kunsthistorische Auseinandersetzung mit diesen gegenständlich arbeitenden Künstlern ist noch längst nicht abgeschlossen. Die Bereitschaft der Kunsthalle, an dieser Erforschung mitzuwirken, war ein wichtiger Grund für Joseph Hierling, seine geliebte Sammlung diesem Haus anzuvertrauen.
Das Fragezeichen im Titel deutet schon an, dass es sich bei den gezeigten Arbeiten keineswegs um „Feld-, Wald- und Wiesenmalerei“ handelt, also um bestenfalls Durchschnittliches, schreibt Erich Schneider im Vorwort des Katalogs. Ziel sei vielmehr, die besondere Leistung dieser Künstler auf dem Gebiet der Landschaftsmalerei hervorzuheben.
Die Ausstellung ist in Themengruppen unterteilt und beginnt mit „Berge und Gebirge“, deren Darstellung oft emotional besetzt ist. Wie unterschiedlich die Künstler dieser Generation arbeiteten, zeigen vor allem die Beispiele aus „Meere und Flüsse“. In „Wald und Flur“ wird gerne das einfache Leben auf dem Land thematisiert. Auch „Gärten und Parks“ zählen im weitesten Sinn zu Landschaft. Kurator Schneider widmet außerdem den Stadt- und Industrielandschaften ein Kapitel, „Pflanzen und Blumen“ ein weiteres und endet schließlich mit einem Blick in die „Alte und Neue Welt“. Hier finden sich viele Arbeiten aus den 1950er- bis 70er-Jahren, darunter ein großartiges Ölgemälde von Sepp Vees „Bretagne – Finistere“, das zu sehen alleine schon einen Besuch in der Ausstellung wert ist.
Feld-, Wald- und Wiesenlandschaften? Aus der Sammlung Hierling, Kunsthalle. Eröffnung 10. Juli, 19 Uhr. Bis 2. November.