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Keine Avantgarde: Die Künstlergruppe WIR
Gruppe WIR: Köhler, Naujoks, Rieger, Heller, Bachmayer. Die Ausstellung in der Kunsthalle führt zurück in die Zeit ab Ende der 1950-Jahre in München
Reinhold Heller, Goethe in Italien, 1964 FOTO Museum Lothar Fischer
| Reinhold Heller, Goethe in Italien, 1964 FOTO Museum Lothar Fischer
Katharina Winterhalter
Katharina Winterhalter
 |  aktualisiert: 30.04.2015 11:15 Uhr

Es war eine schwierige, aber auch aufregende Zeit für junge Künstler, damals Mitte der 1950er-Jahre. Welchen Weg sollten sie nach dem Grauen des Zweiten Weltkrieges einschlagen? Wie konnte Malerei in einem Land aussehen, in dem die meisten verdrängen wollten, was geschehen war, in einer Zeit, als die Städte grau und trostlos waren? Weitermachen wie vorher schien vielen nicht möglich.

Die Informellen experimentierten mit den unterschiedlichsten Formen von Abstraktion, die ZERO-Bewegung – um ein zweites Beispiel zu nennen – versuchte sich von allem zu lösen, was es in der Kunst gegeben hatte und wollte von diesem Nullpunkt aus ganz Neues entwickeln. Und in München fanden sich junge Künstler zusammen, die wiederum alles ablehnten, was sich Avantgarde nannte. Sie wollten figurativ arbeiten.

1959 gründeten drei Studenten der Münchner Akademie der Bildenden Künste die Künstlergruppe WIR: die Maler Florian Köhler, Heino Naujoks und Helmut Rieger. Zwei Jahre später kam der Maler Reinhold Heller dazu, 1962 der Bildhauer Hans Matthäus Bachmayer. Dieser Gruppe widmet das Museum Lothar Fischer in Neumarkt in der Oberpfalz eine große Ausstellung, die Anfang Mai zu Ende geht und drei Wochen später in erweiterter Form in der Kunsthalle Schweinfurt eröffnet wird. „Ein Muss“, könnte man sagen. Denn die Museen und Galerien der Stadt widmen sich seit langem den Münchner Künstlergruppen, die – so betonen Kunsthistoriker – sehr stark zur Erneuerung der zeitgenössischen Kunst der Nachkriegszeit beigetragen haben.

WIR existierte bis 1965 und schloss sich dann mit der Gruppe SPUR (1957–1965) zu GEFLECHT zusammen. Vor allem die SPUR-Leute sind in der Kunsthalle stark vertreten: Erwin Eisch, Lothar Fischer, Heimrad Prem, HP Zimmer und Helmut Sturm. Bei der Neuhängung der Dauerpräsentation „Wegmarken“ haben die Kuratoren Erich Schneider und Andrea Brandl den expressiven, farbstarken SPUR-Arbeiten im Westflügel viel Platz eingeräumt. Auch die WIR-Mitglieder Florian Köhler und Helmut Rieger sind hier zu sehen, wenn auch mit Gemälden, die wesentlich später entstanden sind. Köhler ist vor zwei Jahren gestorben, Rieger im August 2014, kurz nachdem Erich Schneider und Andrea Brandl ihn besucht hatten. Der 1937 geborene Heino Naujoks arbeitet nach wie vor. Er will zur Ausstellungseröffnung kommen und im Juli auch durch die Ausstellung führen.

Während die SPUR-Leute in der Öffentlichkeit ziemlich provokativ agierten, exzessiv feierten und auch Skandale inszenierten, arbeiteten die WIR-Mitglieder viel introvertierter. Sie konzentrierten sich erst einmal auf die Auseinandersetzung mit dem Barock. Die Maler besuchten viele Barockkirchen und Klöster im süddeutschen Raum. Die Deckenfresken, die Illusion von Raum faszinierte sie. Schließlich drehte Rieger mit Heller und Bachmayer den Film „Über den barocken Raum“, der auch während der Ausstellung gezeigt wird. Und in der Alten Pinakothek in München gab es genügend Gelegenheit, sich mit den alten Meistern Rubens, El Greco und Delacroix auseinanderzusetzen. Vor allem die Dynamik der barocken Formensprache, aber auch deren Themen setzten die jungen Künstler in einer expressiven Weise um.

Später öffneten sich die WIR-Leute dann Einflüssen aus den USA. Ganz deutlich werden in der Ausstellung die Beziehungen zum abstrakten Expressionismus von Jackson Pollock und Willem de Kooning deutlich. Und als sich die Pop Art ab 1964 in Europa wie ein Lauffeuer verbreitete, verschloss sich WIR auch nicht. „Anfängliche Bedenken wurden schnell zerstreut, als sich abzeichnete, dass die neuen Bildthemen und das veränderte Farbspektrum zu spannenden künstlerischen Lösungen führte“, heißt es in der Einladung zur Ausstellung.

Raster tauchten auf, die Gemälde wurden flächiger, die Farbpalette veränderte sich. Bei Florian Köhler wird der „Supermann“ in den 1960er-Jahren zum großen Thema. In einigen Bildern taucht die Comicfigur des amerikanischen Superman im typischen eng anliegenden blau-roten Kostüm als direktes Zitat auf, in anderen Bildern, wie „Supermann II“ von 1965, zeigt ihn Köhler als dunkle, unheilvolle Figur. „Die nackte, muskulöse und in Schwarz gehaltene Gestalt verheißt der weiblichen Figur nichts Gutes. Man ahnt, dass er sich ihrer mit Gewalt bemächtigen will“, schreibt Andrea Brandl, eine der Autorinnen im sehr umfangreichen und höchst spannenden Katalog.

Bei Helmut Rieger heißt eine Hauptfigur Faun, der Bildhauer Hans Matthäus Bachmayer baute aus Holzabfällen, Fundstücken und Stoffen skurrile Gnome mit weit aufgerissenen Mäulern und stechenden Augen und bemalte sie in den Farben der Pop Art: Rot, Gelb, Blau, Grün, Schwarz und Weiß. Trotz aller Inspiration von außen und trotz des kollektiven Gedankens erarbeiteten sich die WIR-Künstler jeweils eigene Bildsprachen. Was ihnen allen wichtig war, formulierten sie im Dezember 1960 in einem Manifest: „Wir erheben unsere Stimme aus einem Heer von Namenlosen, ... um für uns und unsere Mitmenschen einen Weg zu finden, ... um nicht in einer Welt, deren Materialismus schon in Versteinerung übergeht, zu ersticken, ... um mit unseren Händen das goldene Kalb, das sich wie die ,Kapitolinische Wölfin' mit seinen Zitzen über die ganze Welt beugt, zu erwürgen... Wir stellen die Echtheit des Gefühls gegen die klägliche Originalitätssucht der so genannten Avantgarde...“. Unterzeichnet von Rieger, Köhler und Naujoks.

Die Ausstellung mit ihrem umfangreichen Katalog hilft zu verstehen, wie es damals für junge Künstler im grauen Nachkriegsdeutschland war, was sie beschäftigt hat und wie sie sich entwickelt haben.

Gruppe WIR 1959 - 1965

Die Ausstellung in der Kunsthalle wird am 21. Mai, 19 Uhr, eröffnet und ist bis 13. September zu sehen. Begleitprogramm: 9. Juli, 19 Uhr, Führung mit dem Maler Heino Naujoks und Kurator Erich Schneider; 23. Juli, 19 Uhr, „Über den barocken Raum“, Film der Künstlergruppe WIR von 1961/62 mit Klavierbegleitung durch den russischen Pianisten Dimitri Rodionov; 7. Juni, 14 bis 17 Uhr, Workshop „Wir falten Kunst“ im Atelier unter den Arkaden. Zur Ausstellung erscheint ein 184-seitiger Katalog.

SPUR und WIR: Die Gruppen SPUR und WIR im Münchner Atelier von Lothar Fischer, 1965. Von links: Lothar Fischer, Heimrad Prem, Heino Naujoks, Reinhold Heller, Helmut Rieger, Hans Matthäus Bachmayer, Florian Köhler, Helmut Sturm und HP Zimmer.
Foto: Germanisches Nationalmuseum, Deutsches Kunstarchiv Nürnberg, Nachlass Lothar Fischer | SPUR und WIR: Die Gruppen SPUR und WIR im Münchner Atelier von Lothar Fischer, 1965. Von links: Lothar Fischer, Heimrad Prem, Heino Naujoks, Reinhold Heller, Helmut Rieger, Hans Matthäus Bachmayer, Florian Köhler, ...
Keine Avantgarde: Die Künstlergruppe WIR
Hans M. Bachmayer: Gnom, 1964.
| Hans M. Bachmayer: Gnom, 1964.
Keine Avantgarde: Die Künstlergruppe WIR
WIR-Werke: Links Florian Köhler, „Supermann 2, 1965 – Mitte Heino Naujoks, Höllensturz, 1960 – rechts Katalogcover.
Foto: Lothar-Fischer-Museum | WIR-Werke: Links Florian Köhler, „Supermann 2, 1965 – Mitte Heino Naujoks, Höllensturz, 1960 – rechts Katalogcover.
 
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