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GEROLZHOFEN
Julius Echter schaffte die Ökumene wieder ab
Zwischen Protestanten und Katholiken herrschte  bis 1586 ein gutes Auskommen, ja so etwas wie bürgerschaftliche Solidarität.  Bis die Obrigkeit in Gestalt von Fürstbischof Julius Echter eingriff. Wer sich fortan nicht zum katholischen Glauben bekannte, musste die Stadt verlassen. Ein Vorgang mit unglaublich vielen sozialen und wirtschaftlichen Folgen. Für den geschichtlich durchschnittlich Gebildeten war vieles neu von dem., was Professor Rainer Leng am Mittwoch den weit über 100 Zuhörern in der Stadthalle über das Thema Rekatholisierung in Gerolzhofen zu sagen hatte. Auch für den Historiker selbst ergaben sich beim Forschen im Stadt-, Staats- und Diözesanarchiv viele neue Aspekte. „Wenn der Herrgott vom Himmel herabsteigen würde und käme in die Stadt Gerolzhofen, so müsste er katholisch werden oder er müsste wieder hinaus.“ Das ist eines der vielen griffigen zeitgenössischen Zitate (hier ins Neuhochdeutsche übertragen), die Leng immer wieder in seinen Vortrag einstreute. Das Zitat verdeutlicht die Sicht eines Protestanten auf die Rekatholisierung. Leng berichtete zunächst, wie sich die Reformation seit dem Thesenanschlag Martin Luthers (1517) von einer eher akademischen Diskussion bis zu einer neuen Glaubensbewegung entwickelte. In den 60er und 70er Jahren des 16. Jahrhunderts begann auch in Gerolzhofen das sogenannte Auslaufen, das heißt, Bürger gingen an Sonntagen und hohen Feiertagen nach auswärts, um einen evangelischen Gottesdienst zu besuchen. In der Stadt sind inzwischen immer mehr führende Positionen mit Protestanten besetzt. Die Pfarrer schreiben etwa ab 1560 jedes Jahr einen Visitationsbericht nach Würzburg und melden darin, wie es um den Glauben in Gerolzhofen bestellt ist. Hier täuschten sie vor, dass im Sinne des Katholizismus alles in Ordnung sei. Sie wollten einfach ihre Ruhe vor Würzburg haben, denn tatsächlich war in Gerolzhofen längst so etwas wie eine Mischkonfession entstanden. Selbst bei manchen Geistlichen wusste man nicht mehr, ob sie nun katholisch oder protestantisch waren. 1575 wurde zum Beispiel die Ehefrau des vermeintlich katholischen Pfarrers Andreas Kissling verhaftet. Nach Lengs Einschätzung hat er über viele Jahre gelebt und wahrscheinlich auch gepredigt wie ein evangelischer Pfarrer und blieb dabei unbehelligt. Das war kein Einzelfall. Das Konkubinat war weitverbreitet unter der Geistlichkeit. Sie erfanden pfiffige Ausreden. Die Frau wurde als Hausmagd ausgegeben und die Kinder waren nur zu Besuch. Als Sitz eines Kapitels (das entspricht in etwa dem heutigen Dekanat) mit 30 Pfarreien war Gerolzhofen ein bedeutender Ort im Bistum. Doch auch hier waren nicht mehr alle Geistlichen linientreu katholisch. Bei einer Kapitelversammlung blieben zwei Pfarrer dem Gottesdienst fern. Einer begründete das mit der Auffassung, dass er nichts von Zeremonien wie Prozessionen halte, von denen nirgendwo etwas in der Bibel stehe. Mit Daniel Stauber kam 1583 ein Vorbote der Rekatholisierung in die Stadt. Er war der Hofkaplan Julius Echters, ein Mann mit Jesuiten-Ausbildung, ein „harter Hund“, wie Leng sagte. Er schloss Protestanten von der Beerdigung aus Bis 1585 waren trotzdem 90 Prozent der Bevölkerung protestantisch oder fühlten sich zumindest zum neuen Glauben hingezogen. Aber immer noch herrschte anders als andernorts Ruhe. „In Gerolzhofen hatten wir den allerersten Religionsfrieden, es gab eine überkonfessionelle bürgerliche Solidarität“, berichtete Leng. Auch für ihn als  Historiker sei das „einen ganz erstaunliche Feststellung“. Warum Echter in Gerolzhofen erst so spät eingriff, darüber konnte Leng nur spekulieren. Jedenfalls berief sich der Fürstbischof auf ein Ergebnis des Augsburger Religionsfriedens von 1555: „Cuius regio, eius religio “ (frei übersetzt: der Untertan muss die Religion des Landesherrschers annehmen). Ansonsten bleibt ihm nur das Recht der Auswanderung. Noch etwas, was viele nicht wussten: Wie die Betitelung schon sagt, hatte Julius Echter als Fürstbischof sowohl geistliche als auch weltliche macht. Nur als weltlicher Herrscher konnte er allerdings rekatholisieren.  Weltlicher Herrscher war er aber nur in einem Fünftel des Bistums. Dazu gehörte Gerolzhofen, das im Bistum als einträgliches Amt galt. Leng bezeichnete das Vorgehen Echters dort als „aggressiv und demonstrativ.“ Nach einem anonymen Bericht wurden zunächst 17 Personen aus der Stadt geworfen, die als harter kern des Protestantismus galten. Dann musste jeder Haushaltsvorstand ein katholisches Glaubensbekenntnis ablegen. Für viele war das ein quälender Prozess, einmal wegen der Entscheidung für oder gegen das eigene Gewissen, dann auch wegen des Verlusts der Heimat und der Aufgabe des Besitzes. 75 Haushaltsvorstände blieben ihrem Glauben treu und zogen aus. Zusammen mit den übrigen Familienmitgliedern haben wohl über 300 Menschen die Stadt verlassen, ein gehöriger Bevölkerungsverlust. Die meisten Protestanten zogen in die unmittelbare Umgebung, etwa nach Prichsenstadt. Immerhin gab es keine Enteignungen. Die Protestanten konnten ihren Besitz weiter bewirtschaften, durften aber nicht mehr dort wohnen. Wegen des Bevölkerungsschwunds brachen aber die Immobilienpreise zusammen, so dass ein Verkauf des Wohneigentums nur weit unter Preis möglich war. Jetzt fingen auch die Gerolzhöfer an, konfessionell  zu streiten. Es  gab Beleidigungen, Spott und auch Handgreiflichkeiten. Lengs Interpretation des Ganzen: Erst am obrigkeitlichen Eingriff zerbrach die bürgerliche Solidarität. Das wertete Leng auch als Lehre für heute. Die haben die Gerolzhöfer offensichtlich verstanden. „In Gerolzhofen gibt es seit Jahrzehnten ein von unten gedachtes Verständnis für Ökumene“, lobte der Historiker am Ende seines rund 90-minütigen Vortrags, der an keiner Stelle langatmig oder gar langweilig war. Nun darf man gespannt sein, in welcher Form und in welchem Ausmaß Lengs Erkenntnisse in das Wandeltheaterstück „Du musst dran glauben“ Eingang finden, das das Kleine Stadttheater im Mai aufführt.
Foto: Norbert Finster | Zwischen Protestanten und Katholiken herrschte bis 1586 ein gutes Auskommen, ja so etwas wie bürgerschaftliche Solidarität. Bis die Obrigkeit in Gestalt von Fürstbischof Julius Echter eingriff.
Norbert Finster
Norbert Finster
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:30 Uhr

Zwischen Protestanten und Katholiken herrschte bis 1586 ein gutes Auskommen, ja so etwas wie bürgerschaftliche Solidarität. Bis die Obrigkeit in Gestalt von Fürstbischof Julius Echter eingriff. Wer sich fortan nicht zum katholischen Glauben bekannte, musste die Stadt verlassen. Ein Vorgang mit unglaublich vielen sozialen und wirtschaftlichen Folgen.

Für den geschichtlich durchschnittlich Gebildeten war vieles neu von dem., was Professor Rainer Leng am Mittwoch den weit über 100 Zuhörern in der Stadthalle über das Thema Rekatholisierung in Gerolzhofen zu sagen hatte. Auch für den Historiker selbst ergaben sich beim Forschen im Stadt-, Staats- und Diözesanarchiv viele neue Aspekte.

„Wenn der Herrgott vom Himmel herabsteigen würde und käme in die Stadt Gerolzhofen, so müsste er katholisch werden oder er müsste wieder hinaus.“ Das ist eines der vielen griffigen zeitgenössischen Zitate (hier ins Neuhochdeutsche übertragen), die Leng immer wieder in seinen Vortrag einstreute. Das Zitat verdeutlicht die Sicht eines Protestanten auf die Rekatholisierung.

Reformation war am Anfang eher akademische Diskussion

Leng berichtete zunächst, wie sich die Reformation seit dem Thesenanschlag Martin Luthers (1517) von einer eher akademischen Diskussion bis zu einer neuen Glaubensbewegung entwickelte. In den 60er und 70er Jahren des 16. Jahrhunderts begann auch in Gerolzhofen das sogenannte Auslaufen, das heißt, Bürger gingen an Sonntagen und hohen Feiertagen nach auswärts, um einen evangelischen Gottesdienst zu besuchen.

In der Stadt sind inzwischen immer mehr führende Positionen mit Protestanten besetzt. Die Pfarrer schreiben etwa ab 1560 jedes Jahr einen Visitationsbericht nach Würzburg und melden darin, wie es um den Glauben in Gerolzhofen bestellt ist. Hier täuschten sie vor, dass im Sinne des Katholizismus alles in Ordnung sei. Sie wollten einfach ihre Ruhe vor Würzburg haben, denn tatsächlich war in Gerolzhofen längst so etwas wie eine Mischkonfession entstanden.

Selbst bei manchen Geistlichen wusste man nicht mehr, ob sie nun katholisch oder protestantisch waren. 1575 wurde zum Beispiel die Ehefrau des vermeintlich katholischen Pfarrers Andreas Kissling verhaftet. Nach Lengs Einschätzung hat er über viele Jahre gelebt und wahrscheinlich auch gepredigt wie ein evangelischer Pfarrer und blieb dabei unbehelligt.

Viele Pfarrer hatten Frauen

Das war kein Einzelfall. Das Konkubinat war weitverbreitet unter der Geistlichkeit. Sie erfanden pfiffige Ausreden. Die Frau wurde als Hausmagd ausgegeben und die Kinder waren nur zu Besuch.

Als Sitz eines Kapitels (das entspricht in etwa dem heutigen Dekanat) mit 30 Pfarreien war Gerolzhofen ein bedeutender Ort im Bistum. Doch auch hier waren nicht mehr alle Geistlichen linientreu katholisch. Bei einer Kapitelversammlung blieben zwei Pfarrer dem Gottesdienst fern. Einer begründete das mit der Auffassung, dass er nichts von Zeremonien wie Prozessionen halte, von denen nirgendwo etwas in der Bibel stehe.

Mit Daniel Stauber kam 1583 ein Vorbote der Rekatholisierung in die Stadt. Er war der Hofkaplan Julius Echters, ein Mann mit Jesuiten-Ausbildung, ein „harter Hund“, wie Leng sagte. Er schloss Protestanten von der Beerdigung aus

Bis 1585 waren trotzdem 90 Prozent der Bevölkerung protestantisch oder fühlten sich zumindest zum neuen Glauben hingezogen. Aber immer noch herrschte anders als andernorts Ruhe. „In Gerolzhofen hatten wir den allerersten Religionsfrieden, es gab eine überkonfessionelle bürgerliche Solidarität“, berichtete Leng. Auch für ihn als Historiker sei das „einen ganz erstaunliche Feststellung“.

Echter griff erstb spät ein

Warum Echter in Gerolzhofen erst so spät eingriff, darüber konnte Leng nur spekulieren. Jedenfalls berief sich der Fürstbischof auf ein Ergebnis des Augsburger Religionsfriedens von 1555: „Cuius regio, eius religio “ (frei übersetzt: der Untertan muss die Religion des Landesherrschers annehmen). Ansonsten bleibt ihm nur das Recht der Auswanderung.

Noch etwas, was viele nicht wussten: Wie die Betitelung schon sagt, hatte Julius Echter als Fürstbischof sowohl geistliche als auch weltliche macht. Nur als weltlicher Herrscher konnte er allerdings rekatholisieren. Weltlicher Herrscher war er aber nur in einem Fünftel des Bistums.

Dazu gehörte Gerolzhofen, das im Bistum als einträgliches Amt galt. Leng bezeichnete das Vorgehen Echters dort als „aggressiv und demonstrativ.“ Nach einem anonymen Bericht wurden zunächst 17 Personen aus der Stadt geworfen, die als harter kern des Protestantismus galten.

Dann musste jeder Haushaltsvorstand ein katholisches Glaubensbekenntnis ablegen. Für viele war das ein quälender Prozess, einmal wegen der Entscheidung für oder gegen das eigene Gewissen, dann auch wegen des Verlusts der Heimat und der Aufgabe des Besitzes.

75 Haushaltsvorstände blieben ihrem Glauben treu und zogen aus. Zusammen mit den übrigen Familienmitgliedern haben wohl über 300 Menschen die Stadt verlassen, ein gehöriger Bevölkerungsverlust. Die meisten Protestanten zogen in die unmittelbare Umgebung, etwa nach Prichsenstadt.

Immerhin gab es keine Enteignungen. Die Protestanten konnten ihren Besitz weiter bewirtschaften, durften aber nicht mehr dort wohnen. Wegen des Bevölkerungsschwunds brachen aber die Immobilienpreise zusammen, so dass ein Verkauf des Wohneigentums nur weit unter Preis möglich war.

Jetzt fingen auch die Gerolzhöfer an, konfessionell zu streiten. Es gab Beleidigungen, Spott und auch Handgreiflichkeiten.

Lob für Gerolzhöfer: von unten gedachte Ökumene

Lengs Interpretation des Ganzen: Erst am obrigkeitlichen Eingriff zerbrach die bürgerliche Solidarität. Das wertete Leng auch als Lehre für heute. Die haben die Gerolzhöfer offensichtlich verstanden. „In Gerolzhofen gibt es seit Jahrzehnten ein von unten gedachtes Verständnis für Ökumene“, lobte der Historiker am Ende seines rund 90-minütigen Vortrags, der an keiner Stelle langatmig oder gar langweilig war.

Nun darf man gespannt sein, in welcher Form und in welchem Ausmaß Lengs Erkenntnisse in das Wandeltheaterstück „Du musst dran glauben“ Eingang finden, das das Kleine Stadttheater im Mai aufführt.

 
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