Das E-Bike hat nicht nur selbst einen Motor, es ist der Motor des seit Jahren boomenden Fahrradmarktes. Antiblockiersystem, Automatikgetriebe, elektronische Schaltungen oder etwa die Updates per Smartphone für den Antrieb der Motorunterstützung – auf der Eurobike in Friedrichshafen, der größten Fahrradmesse weltweit, waren sie nicht Zukunft, sondern Gegenwart. Die Branche steckt voller Neuheiten und schafft mit jedem neuen Angebot Nachfrage.
Motoren im Radsport
Es war einmal, dass ausschließlich Ketten- oder Nabenschaltungen die Muskelkraft unterstützten. Der Siegeszug des Pedelecs (Pedal Electric Cycle), bei dem der Motor nur beim Treten mit bis zu 25 Stundenkilometern pro Stunde nachhilft und das deshalb rechtlich als Fahrrad gilt, macht auch vor dem sportiven Bereich nicht Halt. So surrt beim Mountainbiker von heute immer häufiger der Mittelmotor zwischen den Pedalen.
Als Pionier und aktueller Marktführer beim E-Mountainbike gilt der unterfränkische Fahrradhersteller Haibike aus der Winora Group in Sennfeld bei Schweinfurt. Christian Malik vom Entwicklungs- und Produktmanagement sagt, dass jedes zweite Winora-Rad oder Haibike mit Motor an den Fachhandel ausgeliefert wird. Die mittlere Preisklasse beim klassischen Rad (ab 800 Euro) sei nahezu weggebrochen. Die Kundschaft steige „in Scharen“ um und gebe 2000 Euro und mehr für das E-Bike samt seinem Fahrspaß aus. Bei den Rädern ohne Motor laufen die Einsteigermodelle für 300 bis 600 Euro gut, zu denen die Kinder- und die Jugendräder zählen.
Marktführer aus Unterfranken
In Friedrichshafen glänzte Haibike heuer mit einem ersten völlig eigenen E-Bike-Komplettsystem, bei dem alle Komponenten selbst entwickelt und designt wurden. Das Flyon setzt Maßstäbe mit dem derzeit leistungsstärksten Mittelmotor (120 Nm Drehmoment). Das 5000 bis 9000 Euro teure Rad hat einen Carbon-Rahmen, in den der luftgekühlte Akku (630 Wh) integriert ist.
Vor allem: Das große Interesse bei der Präsentation sei in eine ebensolche Nachfrage umgeschlagen, berichtet Christian Malik. Entwicklungspotenzial für das E-Bike sehe man bei Winora in allen Fahrradbereichen, auch und gerade beim Lasten- und Familienrad, auf dem bis zu zwei Kinder mitfahren können.
Traum der 16-Jährigen
Stefan Seifert, Juniorchef bei Zweirad Seifert in Bergrheinfeld bei Schweinfurt, spricht von einer neuen und vor allem sauberen Art der Fortbewegung. Früher habe man gewitzelt, dass an Kunden ohne Herzschrittmacher kein E-Bike zu verkaufen sei. Jetzt träumten 16-Jährige vom E-Mountainbike. Für Radler jeden Alters sei das E-Bike oft auch ein Statussymbol, weshalb sich Modetrends wie die Integration des Akkus in den Rahmen schnell durchsetzen würden.
Bei Zweirad Seifert ist inzwischen jedes zweite verkaufte Fahrrad motorisiert. Die Auswahl unter den Modellen ist riesig – Haibike hat 180 Modelle allein bei den Mountainbikes –, die unter den Werkstätten nicht. Doch eine Werkstatt brauche fast jeder Kunde, sagt Seifert. Motoren und Akkus seien zwar schier unverwüstlich, dennoch sei eine regelmäßige Wartung angesagt. Ein Grund, warum der Zweirad-Betrieb in Bergrheinfeld mehr Leute in der Werkstatt als im Verkauf und im Büro beschäftige.
Das vernetzte Fahrrad
Räder mit ABS oder Automatikgetriebe hat Stefan Seifert für die Saison 2019 noch nicht bestellt. Diese technischen Neuerungen gelangen langsam auf den Markt, schnell komme dagegen die Vernetzung des Fahrrades, etwa durch die Integration des Smartphones, mit dem man dann viel mehr als nur Navigieren könne. Kein Thema ist für Juniorchef Stefan Seifert das Rennrad mit Motor. Da bringe dem Sportler die Unterstützung von bis 25 km/h wenig. Und beim Einsatz des S-Pedelec (Unterstützung bis 45 km/h) sei erst einmal der Gesetzgeber gefordert, der das Kleinkraftrad noch nicht für Fahrradwege freigegeben hat.
Motoren und Akkus perfekt
Bei den hohen Geschwindigkeiten, die allzu oft auch mit unerlaubt auffrisierten normalen E-Bikes erreicht werden, kommen Marco Brust von der Firma velotech größte Sicherheitsbedenken. Den Herstellern von Motoren und Akkus stellt die Schweinfurter Firma, deutschlandweit der erste und lange einzige zugelassener Gutachterbetrieb im Bereich E-Bike, ein gutes Zeugnis aus. Brust sagt: „Alle Hausaufgaben gemacht.“
Die E-Bikehersteller würden indes noch allzu oft normale Fahrradteile in die schweren Pedelecs verbauen. „Flattere“ und pendele das Rad, dann passe etwas nicht. Einzelne Komponenten seien dann nicht auf die höhere Geschwindigkeit, das schwerere Rad und auch nicht auf den durch die größeren Reichweiten mitbedingten Verschleiß abgestimmt. Den Käufern von E-Bikes rät Brust dringend, nach dem zulässigen Gesamtgewicht zu fragen, das zumeist bei 100, 130 oder 180 Kilogramm (Schwerlast) liegt – jeweils für Fahrer, Rad und Gepäck.
Schneller, weiter, schwerer
Bernhard Johanni aus der Geschäftsleitung des Fahrradkomponentenhersteller SRAM im Schweinfurter Industriegebiet Maintal bestätigt diese Herausforderungen an die Teilehersteller. Beispiel Kette: „Wir haben es mit zwei Fahrradfahrern zu tun. Mit dem Menschen, der in die Pedale tritt, und dem Motor, der die Kraft auf die Kette und so den Antrieb verstärkt.“ SRAM – nach Shimano der zweitgrößte Fahrradkomponentenhersteller der Welt – habe im sportiven Bereich dem E-Biker eine Kettenschaltung extra für das Pedelec zu bieten: eine kräftige Kette mit nur einem Kettenblatt vorne lässt dem Mittelmotor viel Platz, in die Kassette Hinterrad passen zwölf Ritzel, also Gänge.
Und weil der „SUV“ unter den E-Bikes, das E-Mountainbike, immer beliebter werde, sei diese EX1-Schaltung auch für jedes Gelände tauglich gemacht. Aber auch die Kurbeln, Bremsen oder etwa die Federungen seien von SRAM auf die höheren Belastungen abgestimmt. Bei diesem Punkt warnt Bernhard Johanni vor Tuning: Die Gefahren durch auf das Rad nicht abgestimmte Geschwindigkeiten seien vielen Fahrern nicht bewusst.
Für Gelände und Straße
„Der Trend geht zu stärkeren Motoren, höherem Drehmoment und mehr Beschleunigung“, sagt Joachim Bischof, stellvertretender Marktleiter beim Schweinfurter Radmarkt Schauer, dem größten Fahrradfachmarkt in Unterfranken. Ein Grund dafür sei die Nachfrage nach dem Lasten- und dem mehrsitzigen Familienrad. Bei den Akkus erwartet Bischof vorerst keine weiteren Entwicklungssprünge. Die seien ziemlich ausgereift und würden nahezu jede Tagestour bis zur nächsten Ladestation bewältigen.
Bei Schauer stehen indes gleich viele Fahrräder mit wie ohne Motor. Auch beim Verkauf sei das Verhältnis „noch“ ausgeglichen, so Bischof. Allerdings: „Etliche Kunden bedauern nach kurzer Zeit, sich nicht für den Motor und damit für den größeren Spaßfaktor entschieden zu haben.“ Im Trend sieht der stellvertretende Marktleiter neben dem E-Mountainbike das E-Tourenrad, das gleich der noch neuen Kategorie E-Gravelbike für Asphalt wie Schotter geeignet ist.
Neuling aus Schweinfurt
Bei dem erst 2017 gegründeten Schweinfurter Fahrradhersteller Pexco der Familie Puello (Susanne Puello war jahrzehntelang Geschäftsführerin bei Winora) startete die Eigenmarke R. Raymon in diesem Herbst mit einer Kollektion ganz ohne E-Bikes. Hochwertige E-Bikes von Pexco sind seit dem Frühjahr als Husqvarna-Bikes auf dem Markt. Bei der offiziellen Eröffnung des Firmensitzes in diesem Sommer präsentierte man den 400 Gästen im Showroom die erste Pedelec-Kollektion der Marke R. Raymon. Das Rad dreht sich also weiter.