Die Schutzhüllen in Grün, Gelb, Rosa oder Blau stechen sofort ins Auge. Jeder Schüler hat sein eigenes iPad vor sich auf dem Schreibtisch aufgebaut. Vor etwas mehr als drei Jahren begann die damalige 8 b am Walther-Rathenau-Gymnasium mit der Testphase iPad im Unterricht. „Wir sind in der Schweinfurter Region eine der ersten Klassen gewesen, die das ausprobiert haben“, sagt Lehrer Johannes Stöber. Nun ist bereits die vierte iPad-Klasse am Start. Zeit, um Bilanz zu ziehen.
„Das Vokabeln lernen mit dem Minicomputer macht viel mehr Spaß, und ich brauche keinen mehr, der mich abhört“, meint der 16-jährige Jan, der in der ersten iPad-Klasse dabei war. Als Nachteil sieht er, „dass man sich durch die multimediale Nutzung des Geräts schon leicht ablenken lassen kann“. Die Trennung zwischen schulischer und privater Nutzung – zum Beispiel das Anschauen von Videos, die Nutzung von Sozialen Medien oder Spielen – erfordere Disziplin.
Seine Mitstreiterin Nicola liebt die Präsentationen, die man auf dem iPad vorbereiten kann. „Das geht viel schneller und ist viel anschaulicher als ohne“, sagt sie. Positiv auch das Recherchieren und Suchen im Internet: „Mit der Zeit lernt man zu selektieren und weiß genau, wie man seine Suche optimieren kann“.
Nicht so ideal findet sie indes die „Heftführung“ auf dem Tablet. Trotz Extra-Stift ist sie wieder dazu übergegangen, auf ein Blatt Papier zu schreiben. Unvorteilhaft auch, dass es viele Unterrichtsbücher noch nicht digital gibt. Das bemängelt auch der stellvertretende Schulleiter Roland Eirich. „Ich denke aber, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Lehrmaterial auch digital zugänglich ist.“ In der iPad-Klasse sieht er eine große Chance für die Schüler, optimal auf die Berufswelt vorbereitet zu werden. Auch die Kreativität könne dadurch gefördert werden. Wichtig sei dennoch eine gesunde Mischung aus analogem und digitalem Lernen, so Eirich. Schließlich gingen sonst andere Kompetenzen verloren.
Google Earth ins Klassenzimmer holen
Für Englischlehrerin Johanna Uhl ist das Tablet ein wichtiges Unterrichtsutensil. „Ich habe soviel mehr Möglichkeiten, kann meinen Schülern das Zielland mit google earth sogar ins Klassenzimmer holen“. Ob Vokabel-Apps oder das Anhören der authentischen Sprache, zum Beispiel über Videos: „Der Unterricht wird anschaulicher.“ Durch das iPad sei man flexibel, könne jederzeit agieren und habe Zugriff auf Wissen und Informationen. „Die Schüler lernen im Internet zu selektieren.“ Zudem könne man Lehrstoff anschaulich arrangieren und ganz einfach durch farbliche Hervorhebungen kennzeichnen, sagt die Lehrerin.
Die Schüler wissen es zu schätzen: Eine Weltreise im Geografieunterricht, eine Mathe-App, bei der man den Graphen mit dem Finger ziehen kann und ein kleiner Film per iMovie über das Buch im Deutsch-Unterricht. „Das iPad bietet uns viele interaktive Gestaltungsmöglichkeiten. Das finde ich gut“, meint Jana, die Schülerin der zweiten iPad-Klasse ist. Der 15-jährige Silas will es aber trotzdem nicht übertreiben: „Ich finde eine Mischform am besten. Etwas zwischen digitaler Welt und 'old school'.“
Auf jeden Fall sollten auf dem „digitalen Lernweg“ die Eltern miteinbezogen werden, auf den Nutzen und auch die Gefahren hingewiesen werden. Denn: „Manchmal bin ich von meiner Mutter geschimpft worden, dass ich am iPad spiele, obwohl ich gelernt habe. Wenn das öfters vorkommt, verliert man die Lust am Lernen“, sagt ein Schüler.
Auch im Lehrerkollegium seien nicht alle gleichermaßen von der Anwendung der digitalen Medien im Unterricht überzeugt, weiß der stellvertretende Schulleiter. „Die moderne Zukunft anzugehen ist eine Herausforderung. Wir können uns der digitalen Entwicklung nicht sperren“, so Eirich.
„Ängste sind unbegründet“
Für die junge Kollegin Uhl kam die iPad-Klasse wie gerufen, denn sie begleitet diese auch für ihre Promotion. Ihr Thema: Informelle Sprachlernbegegnungen mit dem Englischen bei der Nutzung mobiler Technologien. Viele Ängste sieht sie als unbegründet: „Denn durch das personalisierte Lernen mit dem eigenen iPad lernen die Kinder Verantwortung zu tragen und auch Disziplin.
“ Disziplin dahingehend, „dass sie ihren Medienkonsum kontrollieren lernen und ein so genanntes Medienbewusstsein schaffen“. Trotzdem kann es auch mal vorkommen, dass beispielsweise eine Hausarbeit plötzlich verschwindet: „Mhm, da ist es nicht so leicht zu unterscheiden, ob es an der Technik lag oder die Hausaufgabe einfach nur vergessen wurde.“
Besonders in der ersten iPad-Klasse im Schuljahr 2013/2014 war der Zulauf groß. Viele Eltern waren von der Idee begeistert, mehr als Zweidrittel der zukünftigen Achtklässler meldeten sich zur iPad-Klasse an: „Da musste das Los entscheiden, wer teilnehmen darf.“ Und das, obwohl die Familien für das Tablet ihres Kindes selbst aufkommen müssen. Mit um die 500 Euro pro Gerät kein billiges Unterfangen. Für sozial schwache Familien gibt es allerdings die Möglichkeit eines Zuschusses, so Eirich.
Nun, im vierten Jahr, gebe es leider nur eine Mischklasse. Eirich führt es vor allem auf gesunkene Schülerzahlen zurück, dass nicht genügend Kinder für eine reine Tablet-Klasse zusammen kamen. „Man muss auch sehen, dass es nicht für jeden Schüler in Frage kommt. Manche Kinder sind noch nicht reif genug, die geforderte Eigenverantwortung zu übernehmen.“
Zukunft der iPad-Klasse
Auch in Zukunft soll es mit der iPad-Klasse weitergehen. Die Schüler jedenfalls haben viele Ideen, wie man das Tablet nutzen kann. „Ich finde, dass damit auch Inklusion einfacher wird“, sagt ein Schüler. Ein anderer hat die Idee, im Krankheitsfall die Hefteinträge per Mail zu schicken. Wünschenswert wäre noch ein bisschen mehr Unterstützung durch das bayerische Kultusministerium, so Eirich. „Mehr Fortbildungen und Seminare zum Thema und eines bessere Vernetzung zwischen den iPad-Klassen.“ Das Rathenau hat sich zum Beispiel mit iPad-Klassen in Bamberg und Fulda ausgetauscht, „außerdem haben wir in manchen Fragen auch die Firma Apple kontaktiert“. Es fehle aber eine Art Leitfaden. Auch eine gezielte Vorbereitung von Lehramtsstudenten auf den digitalen Unterricht findet der stellvertretende Schulleiter unerlässlich.
Inzwischen konnte das Rathenau schon anderen neu implementierten iPad-Klassen den ein oder anderen Rat geben. „Auch in Zukunft werden wir uns weiterentwickeln“ - da ist sich Eirich sicher.