Interview Heinrich von Zügel: „Ich würde wohl den Jagdhund wählen“
Foto: MGS
| Ein Motiv mit für Zügel eher ungewöhnlicher Dramatik: Die Sauhatz, 1907, Stadt Wörth am Rhein.
Von Sigrid Bertuleit Leiterin des Museums Georg Schäfer
| aktualisiert: 02.09.2012 11:27 Uhr
Sigrid Bertuleit hat ein fiktives Interview mit dem Maler Heinrich von Zügel geführt, dem noch bis 14. Oktober die Sonderausstellung im Museum Georg Schäfer gewidmet ist. Das Gespräch zwischen dem – recht gut vorbereiteten – Besucher und dem Maler ist ein veränderter Auszug aus dem Katalog zur Ausstellung „Heinrich von Zügel 1850–1941. Vom Realismus zum Impressionismus“.
Besucher: Sie reden nicht viel.
Heinrich von Zügel: Ich bin Maler.
Das Fach Tiermalerei existiert heute an deutschen Kunstakademien als ordentliche Professur nicht mehr.
Zügel: Was für ein Verlust.
Ja, Sie sind eine andere Wertschätzung der Darstellung des Tieres gewohnt gewesen.
Zügel: Sehr wohl. Für Tierdarstellung wurde sich zu meiner Zeit überaus eingesetzt. Um mich aus Karlsruhe von meiner ersten Professur in Nachfolge meines früh verstorbenen Kollegen Hermann Baisch nach München zu rufen, errichtete mir die Akademie der bildenden Künste dort sogar ein eigenes Atelier, den „Glaskasten“. Es war ein geräumiges, lichtdurchflutetes Haus inmitten der baumreichen Parkanlage. Hier hingen meine anatomischen Tierskelette an den Wänden. Die lebenden Modelltiere fanden ideale Bedingungen zum Einlass in das Atelier. Die Schüler samt Tierhüter hatten genügend Raum zum Anschauungsunterricht.
Sie konnten in Ihrem Fach auf große Protagonisten schauen. Der Meister des Faches in Frankreich, Constant Troyon (1810–1865), fand Eingang in die Sammlung des Musée du Louvre und war auf Weltausstellungen präsent. Troyons Mutter stiftete beeindruckenderweise den Troyon-Preis für Tierdarstellungen der École des Beaux Arts. Tiermaler zu werden, war kein Einzelfall.
Zügel: Mein Weg war dennoch mein Weg, ganz allein.
Sicher. Der Adlerblick sei trotzdem erlaubt. Die europäische Perspektive erweist sich als weit. Sie reicht unter anderem von dem eher lyrischen Bruno Liljefors (1860–1939) in Schweden, dem impressionistischen Tiermaler und Landschafter Emile Claus (1849–1924) in Belgien, dem Freund exotischer Tiere Paul Meyerheim (1846–1915) in Deutschland bis zu dem Ihnen bekannten Johannes de Haas (1832–1880) aus den Niederlanden. An den älteren Edwin Landseer (1802–1873) mit seinen stilllebenhaften Interieur-Tierbildern ließ sich natürlich nicht anknüpfen und auch an viele andere nicht. Doch sie alle etablierten auf ihre Weise ein Bewusstsein für die Darstellung des Tieres.
Zügel: Fleißiges Gerede. Der Bildermarkt, in den ich mit gerade Anfang Zwanzig einstieg, war von der Genrekunst in Deutschland geprägt. In Sachen Tierdarstellung kaufte das Gründerzeitpublikum Friedrich Voltz, und die monumentalen Bilder eines Anton Braith fingen an, sich durchzusetzen. Gibt es bei Ihnen denn keine Viecher mehr in der Kunst?
Sie, Herr von Zügel, malten das Nutztier – Kühe, Schafe, Ziegen, Schweine und hatten die kultivierte Agrarlandschaft mit dem abhängigen Menschen stets im Blick. Heute kennen wir die „Viecher“ mehr auf dem Teller (ausgenommen bei Vegetariern) als in der Kunst. Aber es gibt Hoffnung. Es wächst die Sensibilität für das Geschöpf in der bildenden Kunst wieder. Ein passendes Beispiel liefert unsere heutige große internationale Kunstausstellung, die documenta Kassel 2012.
Zügel: Ich für mein Teil blieb dem Motiv Tier und Landschaft ein Leben lang treu. Nach meinem Abschied aus dem Münchner Professorenamt im Jahr 1922 vermisste ich mein Glaskasten-Atelier sehr, und so suchte ich neue Arbeitsstätten.
Sie bauten sich im Alter von über 70 Jahren ein neues Wohn- und Atelierhaus?
Zügel: Ja, in der Possartstraße in München-Bogenhausen – dank der Unterstützung meiner Kinder und Schwiegersöhne und durch die überlegte planerische Arbeit des Schweinfurter Architekten Theodor Fischer.
Er ging auf Ihre Arbeitsweise in Großformaten selbst architektonisch ein und realisierte praktische Möglichkeiten zum Abtransport der Bilder, so den beweglichen Schlitz in der Deckenkonstruktion.
Zügel: Fischer war ein Könner.
Warum diese großen Formate? Mit 78 Jahren malten Sie das 2,00 mal 2,80 Meter große Gemälde Schwere Arbeit als späte Version von ähnlich opulenten Motiven, dessen tragender Inhalt einer Naturphilosophie Abbitte leistet. Die Natur stellt folglich das Wesentliche zur Verfügung. Doch umsonst ist das nach Ihrem Bildvokabular nicht zu haben. Der Mensch hat für sein Auskommen in der Natur zu arbeiten, er hat sie zu hegen und zu pflegen. Eine Ausbeutung der Natur kommt bei Ihnen nicht vor, auch keine Technik. 1928 gab es bereits Motorisierung und Traktoren.
Zügel: Zuviel gefragt. Ich äffe nicht die Realität nach. Zu den Formaten: Die Käufer lehnten meine großformatigen Bilder in den frühen Jahren ab, aber um 1900 hatte ich mich längst damit auf dem Bildermarkt durchgesetzt. Die Monumentalität ist Teil meiner inhaltlichen Darstellung.
Mit 19 Jahren reisten Sie mit Freunden von Stuttgart aus nach München, um die I. Internationale Kunstausstellung 1869 im Glaspalast zu sehen.
Zügel: Nach den dürftigen Erfahrungen an der Stuttgarter Akademie stand aufgrund dieses einschneidenden Erlebnisses mein künstlerischer Fortgang in München fest. Auf der Ausstellung formierte sich mein Bild über die Bedeutung der Tiermalerei. Ich konnte mehrere Gemälde von Troyon sehen.
Auch das Bild von Jean François Millet (1814–1875) fiel Ihnen sicherlich auf, ein Ausnahmewerk Der Tod und der Holzhauer, 1859. Das Motiv entnahm Millet aus La Fontaines Fabeln. Der Salon lehnte es 1859 ab, so war München 1869 weiter als Paris.
Zügel: Das Millet-Bild war nicht zu übersehen. Französische Maler gaben dem bäuerlichen Leben eine Würde, die in Deutschland unbekannt blieb. Die deutschen Maler Gauermann, Voltz, Braith studierte ich natürlich sehr wohl.
Franz Hegenbarth, Ihr Enkel, überliefert, dass die Bezeichnung „Tiermaler“ für Sie zu kurz gegriffen sei. Ihr Ziel war primär nicht Schafe und Rinder zu malen, sondern jedwedes Objekt in Licht und Luft. Daran schließe ich mich an. Die aktuelle Schweinfurter Ausstellung verdeutlicht den Weg zum ganzheitlichen Atmosphärenstück, das dem deutschen Impressionismus neue Aspekte zuteilt.
Zügel: Meine Besonderheit ist die reine Freilichtmalerei. Das kennt in dieser Form kein Liebermann, Corinth oder mein Freund Fritz von Uhde.
Sie machten die kleine Stadt Wörth am Altrhein durch Ihre fast vier Monate währenden Sommeraufenthalte mit zahlreichen Schülern zu einem Zentrum der Freilichtmalerei.
Zügel: Ich benutze Pinsel, Spachtel und Kratzmesser. Korrekturen führe ich nicht durch Übermalungen aus. Es ist schon Folgendes aus Sicht eines Schülers ganz richtig beschrieben: „Wie manches entzückend frische, unmittelbare Kunstwerk fällt unter der unerbittlichen Tätigkeit des Kratzmessers und so manches Mal sind wir in Trauer von dannen geschritten, wenn wir sahen, dass ein Werk, welches tags zuvor unser jubelndes Entzücken hervorgerufen, aufgehört hatte, zu existieren.“
Auf Bildern der Schweinfurter Ausstellung ist Ihre Experimentierfreude ablesbar. Das Gemälde Schweine auf dem Stoppelfeld bei aufkommenden Abendnebel, 1899, zeigt anschaulich den Abrieb von Farbschichten. Das Gemälde Schweineherde im Walde am Wasser, 1904, weist dagegen pastose Höhungen auf. Die wenigen ölgefirnissten Gemälde stehen desperat gegenüber dem eher trockenen Grundfarbklang.
Zügel: Technik ist nur eine Seite der Medaille. Das Tier als solches „abzumalen“, ist mir nie schwer gefallen, aber das Tier mit einer Umgebung, das heißt, in Luft und Licht, die farbige Erscheinung wiederzugeben in dem Moment, wo sie am schönsten ist, ist manchmal unbezwinglich, weil einem die Form zu viel zu schaffen macht. Form und Farbe gleichwertig hochzuhalten, hielt ich auch immer für das Erstrebenswerteste.
Nicht jeder verstand Ihre Bildsprache. Kritiker gingen grundsätzlich wohlfeil mit Ihnen um, unter ihnen Biermann, Wolf, Ostini. Zu Ihrem Sechzigjährigen formuliert Georg Jacob Wolf: „Wie Zügels Kunst sich heute darstellt, hat sie etwas Fanfarenhaftes. Sie schmettert sieghaft ihre Weisen in den Saal. Luft, Licht, Sonne, inbrünstiger Kolorismus, leidenschaftliche Bewegung, starkes Temperament und unerschöpfliches Gestaltungsvermögen – das ist der beherrschende Eindruck des Zügelschen Oeuvres.“
Zügel: Jedem konnte ich es ohnehin nicht rechtmachen, angefangen bei dem Akademiegott und Lehrer Piloty und endend bei Franz von Lenbach. Ironie des Schicksals ist, dass der von mir verehrte Kaiser meine Werke nicht mochte. Kaiser Wilhelm II. wird etwa so wiedergegeben. Er durcheilte die Berliner Zügel-Ausstellung. Die ganze Richtung passte ihm nicht. Im Eröffnungsjahr der Nationalgalerie in Berlin unter dem ersten Direktor Max Jordan kommt dennoch ein Gemälde von mir in die Sammlung, das 1875 gemalte Schafe im Erlenhain, welches 1906 auf der Jahrhundertausstellung präsentiert wird. Es sollten weitere für die Nationalgalerie folgen.
In der Schweinfurter Ausstellung stammen mehrere Motive aus Murrhardt, von der von Ihnen erstandenen Hofanlage Wolkenhof. Noch heute steht die Gebäudeanlage, Durchlässe und Stalltüren sind so auszumachen, wie Sie diese in Handlungsstücken darstellen.
Zügel: Ich war stolz, den Wolkenhof aus eigenen Mitteln erwerben zu können. Es war schließlich auch die Heimstatt meiner Eltern und Stätte meiner Kindheit – Murrhardt mein Geburtsort.
Ja, Richard Paulus berichtet darüber: „An den von zahlreichen Obstbäumen bewaldeten Südhängen liegt seit 1873 seine (Zügels) Arbeitsstätte, in der auch seit alters ein Gastbetrieb unterhalten wurde, der Wolkenhof. Im Altmühltale auf der rauhen Alb weideten die Schafe. Winters über waren sie im Stall, und im Frühjahr musste der junge Zügel, der seit 1856 unten im Dorf die Gemeindeschule besuchte, die Mutterschafe ins Freie lassen und unter seine Obhut nehmen. Da setzte er sich dann zu kurzem Verweilen auf den Boden oder auf einen Stein, um die zurückgebliebenen kranken oder säumigen Lämmer mit allem Ernste zu beobachten und zu zeichnen.“
Zügel: Ja, ja. Kinderzeiten verklären sich leider. Ich bin kein Idylliker. Als Kind hatte ich mitzuarbeiten. Später hielt ich mancherlei Modelltiere dort auf dem Wolkenhof, vor allem Esel und Schafe. Der Wolkenhof war mein friedliches Freilichtatelier.
Die eigenwillig impressionistischen Bilder der Ausstellung wie Im Spiel des Sonnenlichts, 1920, Vor dem Stall, 1919, Schäfer lässt die Schafe aus dem Stall, um 1920, Austrieb der Schafherde, um 1920/24, geben diesen erfüllten Zustand an den Betrachter weiter.
Zügel: Von den finanziell misslichen 1920er Jahren, von Inflation und großem Vermögensverlust durch mein Setzen auf wertlos gewordene Staatsanleihen, ließ ich mich nicht fangen. Das Malen trägt mich.
Eine Schlussfrage sei erlaubt. Der Dichter Max Frisch verlangt Antwort aus Der Fragebogen. „Möchten Sie lieber gestorben sein oder noch eine Zeit leben als gesundes Tier? Und als welches?“
Zügel: Auf jeden Fall nicht als Fisch.
Obwohl viel Wasser in Ihrem Werk zu finden ist?
Zügel: Nein, mehr Erdboden. Ich würde wohl den Jagdhund wählen.
Foto: Stadtarchiv München
| Heinrich von Zügel, zeitgenössische Fotografie.
Foto: Max Bergmann
| „Die lebenden Modelltiere fanden ideale Bedingungen zum Einlass in das Atelier“: Im Münchner Atelier Heinrich von Zügels mit Modell-Kuh, Fotografie aus dem Zügel-Album von Max Bergmann, Städtische Galerie ...