Er hat wohl jede Opernrolle von Bedeutung seines Fachs gesungen, von Mozarts Don Giovanni bis zu Wagners Hans Sachs, von Verdis Falstaff bis zu Bergs Wozzeck. Und doch hat Dietrich Fischer-Dieskau wie kein anderer vor allem das Bild des Liedgesangs unzähliger Menschen geprägt: Seine Interpretationen der großen Schubert-Zyklen „Winterreise“ und „Die schöne Müllerin“, von Schumanns „Dichterliebe“ und natürlich vieler Rückert-Lieder haben Generationen jüngerer Künstler beeinflusst – indem sie seiner einzigartigen Verbindung von musikalischem Intellekt und emotionaler Tiefe nacheiferten, oder indem sie versuchten, dezidiert andere Wege zu gehen.
Am 18. Mai ist der große Bariton, Dirigent und Schriftsteller kurz vor seinem 87. Geburtstag gestorben. Sein möglicherweise letztes Werk ist eng mit Schweinfurt und mit Rückert verbunden: Zu Band 19 der Rückert-Studien der Rückert-Gesellschaft, erschienen 2011 im Ergon-Verlag, hat Dietrich Fischer-Dieskau den Beitrag „Und die Welt ist singbar – Rückerts Gedichte und ihre Vertonungen“ verfasst. „Wer viel schreibt, muss offenbar damit rechnen, dass er etwas früher als andere wenigstens ausschnittweise vergessen wird“, schreibt Fischer-Dieskau. „Des Dichters phänomenale Erfindungsmacht erschwert es, sich ein vollkommenes Panorama seiner vielseitigen schriftstellerischen Beschäftigungen zu entwerfen.“ Vielleicht deshalb, so vermutet Fischer-Dieskau, sei Rückerts Name aus vielen Lexika unserer Zeit verschwunden.
Fischer-Dieskaus Name ist bereits seit 1977 mit Schweinfurt verbunden: als Rückert-Preisträger. Im Jahr zuvor hatte ihm die Stadt den Preis angetragen, allein, es ließ sich kein Termin für eine feierliche Verleihung finden. 1979 führte ein Liederabend Fischer-Dieskau dann doch noch nach Schweinfurt, und danach kam es zu einer eher schmucklosen Überreichung ohne Laudatio. Auch wenn sich die Größe eines Künstlers nicht nach der Menge der Auszeichnungen bemisst, die Liste derer, die Fischer-Dieskau erhielt, ist allerdings beeindruckend. Das Bundesverdienstkreuz I. Klasse bekam er bereits 1958, gerade mal zehn Jahre, nachdem er mit Schuberts „Winterreise“ im Berliner Sender RIAS debütiert hatte.
Exemplarisch für das Besondere seiner Kunst ist vielleicht seine Interpretation der „Dichterliebe“ von Robert Schumann, dieses Glücksfalls des Zusammentreffens von wunderbarer Lyrik (Heinrich Heine) und wunderbarer Musik. Auch andere Sänger haben stilbildende Aufnahmen in ganz anderem Stil abgeliefert, Hermann Prey etwa mit seiner – heute vielleicht unterschätzten – „Winterreise“. Oder Fritz Wunderlich mit seiner großartigen „Schönen Müllerin“. Aber selten hat sich in einigen wenigen – vergleichsweise schlichten – Liedern so unmittelbar der Geist eines Künstlers gezeigt wie in Fischer-Dieskaus „Dichterliebe“. Das Schwerste sind bekanntlich die einfachen Melodien. Dietrich Fischer-Dieskau verstand es, mit ihnen ganze Welten zu öffnen.