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SCHWEINFURT
Integration: Zu wenig konkrete Konzepte und positive Visionen
Integration geglückt: Der Landesfachreferent für Migration im Paritätischen, Andreas Selig (von links), sprach mit Hani Almadloul, Yassin Almjbl, Nisreen Jumaa und Ella Schindler.
Foto: Ursula Lux | Integration geglückt: Der Landesfachreferent für Migration im Paritätischen, Andreas Selig (von links), sprach mit Hani Almadloul, Yassin Almjbl, Nisreen Jumaa und Ella Schindler.
Ursula Lux
Ursula Lux
 |  aktualisiert: 02.04.2019 12:38 Uhr

Es war ein Grund zum Feiern: Vor 50 Jahren gründete der Paritätische Wohlfahrtverband als einer der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege seine Außenstelle in der Kugellagerstadt. Es war aber auch ein Anlass zum Mahnen. Die Vorsitzende der Abteilung Verbands- und Sozialpolitik des Paritätischen in Bayern, Margit Berndl, fand deutliche Worte.

Innerhalb weniger Jahre kamen in den 1960er-Jahren 14 Millionen Gastarbeiten ins Land. Drei Millionen sind geblieben, ohne dass sich jemand um deren Integration gekümmert habe. Nicht selten seien Parallelgesellschaften entstanden, erinnerte Berndl.

2015 kamen 1,3 Millionen Flüchtlinge. 2017 lebten elf Millionen Menschen ohne deutschen Pass im Land. „Wir dürfen den Fehler von damals nicht wiederholen“, mahnte Berndl. Als in den 1990 Jahren die Spätaussiedler kamen, hatten sie es schwer, aber der politische Wille sie zu integrieren war hoch. Diesen Willen brauche es auch heute, sonst drohe eine soziale Spaltung.

Rückkehr zur Sachpolitik

Bayern nehme zwar viel Geld in die Hand für Flüchtlinge, insgesamt aber gebe es zu wenig konkrete, langfristige Konzepte und positive Visionen. Integration werde nicht gerade leichter, wenn die politischen Debatten von Ab- und Ausgrenzung geprägt seien, bemängelte Berndl und forderte eine Rückkehr zur Sachpolitik. Das „wir wollen euch hier nicht“ treffe nicht nur Geflüchtete, sondern auch gut integrierte Menschen mit Migrationshintergrund und spalte die Gesellschaft. Ankerzentren, „Massenunterkünften mit Perspektivlosigkeit“, erteilte sie eine klare Absage. Sie forderte vor allem für die vielen jungen Geflüchteten Perspektiven durch Bildung, Qualifizierung und Beschäftigung, ebenso wie Schutzzentren für meist traumatisierte Frauen und Familien.

Bezirksgeschäftsführerin Kathrin Speck und Bezirksvorsitzender Wolfgang Vogt blickten bei ihrer Begrüßung in die Geschichte zurück. Schon vier Jahre nachdem der Paritätische in Unterfranken seine Arbeit aufnahm, wurde die Außenstelle Schweinfurt gegründet. Es begann mit „Essen auf Rädern“ entwickelte sich aber schnell hin zum eigentlichen Schwerpunkt, der Arbeit mit Migranten. Die damalige Kreisgeschäftsführerin Betty Geiling und der Leiter der Außenstelle, Paul Palinski, begannen mit zwei haupt-, acht neben- und 70 ehrenamtlichen Mitarbeitern. Heute arbeitet Geschäftsstellenleiterin Petra Langer mit sechs Hauptamtlichen und etwa 30 Ehrenamtliche zusammen.

Als Dachverband fördert der Paritätische in der Region beispielsweise den Arbeiter-Samariter-Bund, die Vereine „Levi“ und „Frauen helfen Frauen“ oder „pro familia“ sowie unterschiedliche Selbsthilfegruppen. Dazu kommen immer wieder Projekte, wie aktuell die „Respect Coaches“. Migrationsdienste und -beratungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gehören ebenso zum Aufgabenspektrum des Paritätischen wie der Kleiderladen „Klamöttchen“ oder die Beratung hörgeschädigter Menschen.

In Deutschland eine Heimat finden

Nach einer Denkpause, die Fukan Cat musikalisch gestaltete, lud Moderator Andreas Selig, Landesfachreferent für Migration, zu einer Gesprächsrunde ein. Dabei zeigte sich schnell, wie schwierig der Weg der Migranten ist, wie unterschiedlich aber auch auf diese Herausforderungen reagiert wird. Yassin Almjbl und Hani Almadloul aus Syrien haben es geschafft. Beide hatten in Syrien bereits studiert und haben jetzt wieder einen Studienplatz an der FH bekommen. Almadloul kam 2015 alleine nach Deutschland, Almjbl kam mit seiner Frau. Seine fünfjährige Tochter ist „eine Schweinfurterin“ und er hofft, hier in Deutschland eine Heimat zu finden.

Nisreen Jumaa aus dem Sudan kam 2014. Sie fand mit ihren drei Schwestern ein neues Zuhause in Poppenhausen. Jetzt ist sie nach Schweinfurt umgezogen und spricht das Wohnungsproblem an. Christine Bender wundert sich. Im Landkreis, zumindest außerhalb des Speckgürtels von Schweinfurt, gebe es Wohnraum. Aber sie weiß aus Erfahrung, „alle wollen in die Stadt“ und somit verschärfe sich das Problem.

Ella Schindler kam 1992 als 16-jährige Aussiedlerin mit ihrer Familie aus der Ukraine. Gerade die Russlanddeutschen hätten „Schweinfurt gut getan“, betonte Oberbürgermeister Sebastian Remelé. Sie gehörten meist zu einer qualifizierten Bevölkerungsschicht mit ausgeprägten Familiensinn. Schindler ist ihren Weg gegangen und hat klare Forderungen an die Politik. Entsprechend dem Bevölkerungsanteil sollten auch Migranten in den Ämtern arbeiten, meinte sie. Außerdem sei interkulturelle Kompetenz heute für Behördenmitarbeiter unumgänglich.

Schlechte Beratung

Diese vermisst das Ehepaar Aliaksandr Sidorski und Ani Sidorskaja wohl eher. Die Frauenärztin und der Rechtsanwalt aus Weißrussland fühlen sich in den Behörden mitunter „diskriminiert“ und schlecht beraten. Eine angeblich falsche Auskunft führt jetzt auch zu existenziellen Nöten, denn die junge Frau fürchtet um ihren Arbeitsplatz in einer Klinik.

Für sie wäre der sogenannte Spurwechsel die Lösung, so Selig. Dieser würde es Asylbewerbern ermöglichen, vom Asylverfahren in die Fachkräfteeinwanderung zu wechseln, wenn sie gut integriert sind und einen Arbeitsplatz vorweisen.

Margit Berndl ist die Vorsitzende der Verbands- und Sozialpolitik im Paritätischen Wohlfahrtsverband Bayern. Sie fand anlässlich des 50. Jubiläums der Außenstelle Schweinfurt deutliche Worte.
Foto: Ursula Lux | Margit Berndl ist die Vorsitzende der Verbands- und Sozialpolitik im Paritätischen Wohlfahrtsverband Bayern. Sie fand anlässlich des 50. Jubiläums der Außenstelle Schweinfurt deutliche Worte.
 
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